Radikalisierung von Kindern
Oberste Lehrerin fordert Ombudsstellen für Schulen

Wenn sich Jugendliche radikalisieren, sind Schulen stark gefordert. Die Politik dürfe Bildungseinrichtungen nicht im Stich lassen, sagt Dagmar Rösler. Als höchste Lehrerin der Schweiz fordert sie die Einrichtung unabhängiger Ombudsstellen.
Publiziert: 19.04.2024 um 00:08 Uhr

Die Beschuldigten sind jung, eigentlich noch Kinder. Sie sollen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) unterstützt und sogar Anschläge in der Schweiz geplant haben. Am vergangenen Wochenende hat die Kantonspolizei Schaffhausen zwei Teenager festgenommen. Einer ist 15 Jahre alt, der andere 16.

Einen Monat zuvor bekannte sich ein 15-Jähriger in Zürich zum IS, griff zu einem Messer und stach auf einen Juden ein. In der Schule soll er ein Einzelgänger gewesen sein, manchmal habe er das N-Wort benutzt, erzählten Mitschülerinnen. Auch die beiden Teenager aus Schaffhausen sind vor ihrer Festnahme in der Schule aufgefallen. Sie kritzelten Symbole auf Papier und an die Wand, sagte der Schulleiter zu Blick. Daraufhin wurde die Polizei eingeschaltet. Es gilt die Unschuldsvermutung.

«Die Schule kann nicht jedes Problem lösen»

Nebst den Eltern haben auch die Schulen einen staatlichen Erziehungsauftrag. «Bei solchen Fällen sind die Schulen aber sehr stark gefordert», sagt Dagmar Rösler (52), die Präsidentin des Lehrerverbands. Wenn sich junge Menschen online radikalisieren, sei das nicht immer sichtbar. «Es ist daher schwierig, eine Radikalisierung auf dem Radar zu haben.»

«Die Schule kann nicht jedes gesellschaftliche Problem lösen», sagt Dagmar Rösler, die Präsidentin des Schweizer Lehrerverbands.
Foto: Thomas Meier
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Der Lehrplan 21 schreibt vor, den Kindern und Jugendlichen Medienkompetenzen zu vermitteln. Aber: «Die Schule kann nicht jedes gesellschaftliche Problem lösen», so Rösler. Denn das Problem komme aus der Mitte der Gesellschaft. «Wir können nicht mehr tun, als aufzuklären und zu sensibilisieren.» Teils geschieht dies auch durch externe Programme, die Schulen integrieren. So wie ein Angebot von Palästinensern und Jüdinnen, die gemeinsam in den Unterricht kommen, um über Rassismus und Antisemitismus zu sprechen.

Wer sich radikalisiert, ist oft sozial isoliert

Weiter können Schulen Experten einladen. Einer davon ist etwa Daniele Lenzo (55), Leiter der Krisenambulanz Schweiz, die auch an Schulen Präventionsarbeit leistet. Bei Besuchen im Unterricht setzt er vor allem auf das Thema Ausgrenzung. Denn: «Viele Jugendliche, die sich online radikalisieren, sind sozial isoliert und auf Identitätssuche.» Es sei deshalb extrem wichtig, möglichst alle Jugendlichen in der Klasse zu integrieren.

Wenn der Experte den Unterricht besucht, arbeitet er etwa mit Umfragen, um Gruppendynamiken zu analysieren. «Darin wird zum Beispiel gefragt, ob man jemanden in der Klasse hat, dem man vertraut.» Wenn das nicht der Fall sei, versuche man, zusammen eine Lösung zu finden. Immer wieder würden Schülerinnen und Schüler zudem einen Verdacht melden, wenn sich jemand zunehmend isoliere oder merkwürdige Inhalte online konsumiere. «Dann gehen wir proaktiv auf die Jugendlichen und ihre Eltern zu.»

Solche Programme können helfen. Doch die Schulen dürften vor allem auch von der Politik nicht alleine gelassen werden, sagt Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz. «Es braucht eine unabhängige Ombudsstelle in den Kantonen.» An diese könnten sich Eltern, das Lehrpersonal und Schülerinnen wenden, in Fällen von Antisemitismus, Rassismus oder Radikalisierung. Mitte März hat die Stadt Zürich entschieden, eine solche Meldestelle schaffen zu wollen.

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