«Das habe ich in der Welt der Tiere verpasst»
1:19
Für einen Tag Tierpflegerin:«Hier vergeht der Tag viel schneller als im Büro»

Redaktorin Lea Ernst lebt im Zoo Zürich ihren Traumberuf aus
Für einen Tag Tierpflegerin sein

Als Kind wollte Redaktorin Lea Ernst Tierpflegerin werden. Zum heutigen Zukunftstag schnuppert sie einen Morgen lang im Zoo Zürich. Von Seehundschnauzen, Zoo Tycoon und Papageiengaggi.
Publiziert: 09.11.2023 um 00:20 Uhr
Lea Ernst (Text) und Linda Käsbohrer (Fotos)

Ein Lichtstrahl huscht durchs Dunkle. Aus den Bäumen trillern exotische Vögel, es riecht nach Tier und nach Stroh. Es ist noch nicht mal sieben Uhr im Zoo Zürich. Normalerweise läge ich um diese Zeit mit Kafi im warmen Bett. Heute folge ich der Taschenlampe des Tierpflege-Lernenden Andrin (25) durch den herbstlichen Nieselregen zum Seehundbecken.

Tierpflegerin – als Kind war das mein absoluter Traumberuf. Den ganzen Tag mit Elefanten, Flamingos und Ameisenbären zu verbringen, erschien mir das einzig erstrebenswerte Lebensziel zu sein. Näher als im Computerspiel Zoo Tycoon bin ich dem Traum leider nie gekommen, stattdessen habe ich als Eventplanerin, Bewerbungsschreiberin, Kauffrau und in der Kommunikation gearbeitet. Vor drei Jahren bin ich schliesslich Journalistin geworden.

Zeit, das zu ändern! Zum Zukunftstag schnuppere ich einen Morgen lang Zooluft und erfahre, was ich in der Tierwelt verpasst habe. Ich werde lernen, weshalb man im Lori-Gehege immer eine Mütze tragen sollte, wie sich ein Seehundschnäuzchen in der Handfläche anfühlt und dass Emus garantiert nie meine Lieblingstiere werden.

Es ist noch dunkel, doch die Seehunde warten bereits auf ihr Frühstück.
Foto: Linda Käsbohrer
1/14

Hering zum Frühstück

Kann es sein, dass Fisch am Morgen besonders intensiv riecht? Drinnen tauen die gefrorenen Heringe auf, draussen warten runde Knopfaugen bereits auf ihr Frühstück. Die fünf kegelförmigen Körper gleiten flink durchs dunkle Wasser.

Das Seehundbaby Xanjo stupst mit seiner Schnauze gegen die Scheibe und dreht sich verspielt kopfüber. So munter wie diese Seehunde haben mich die Gspänli auf der Redaktion noch nie empfangen. Eins zu null für die Tierpflege.

Im Maschinenraum unter dem Becken schraubt Andrin an der Filteranlage. «Viele denken, als Tierpfleger füttere man hauptsächlich Tiere, dabei gehört auch viel Technisches dazu», sagt er. Andrin hat nach der Oberstufe Zimmermann gelernt, bis er sich für die Lehre im Zoo entschied. Unterdessen ist er im dritten Lehrjahr. «Klar, das Putzen ist manchmal mühsam», sagt er. Doch einen schlechten Tag hatte er hier bisher noch nie.

Diese Traumberufe haben Kinder heute

Im Sturm veränderte die Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten die Welt. Die Berufswünsche von Kindern blieben jedoch überraschend traditionell, wie eine Studie des Marktforschungsinstituts Appinio zeigte: Statt Influencer, Bloggerin oder App-Entwickler besetzen nach wie vor Berufe wie Pilotin und Lehrer die vordersten Plätze.

Knapp 2000 junge Menschen wurden gefragt, was ihre ersten Berufswünsche als Kinder waren. Mit je zwölf Prozent die absoluten Spitzenreiter: Polizist und Tierärztin. Auch das All wollen Kinder nach wie vor als Astronautin erforschen, als Feuerwehrperson Brände löschen, als Ärztin Leben retten, wollen Fussballer, Prinzessin oder Schauspieler werden.

Im Sturm veränderte die Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten die Welt. Die Berufswünsche von Kindern blieben jedoch überraschend traditionell, wie eine Studie des Marktforschungsinstituts Appinio zeigte: Statt Influencer, Bloggerin oder App-Entwickler besetzen nach wie vor Berufe wie Pilotin und Lehrer die vordersten Plätze.

Knapp 2000 junge Menschen wurden gefragt, was ihre ersten Berufswünsche als Kinder waren. Mit je zwölf Prozent die absoluten Spitzenreiter: Polizist und Tierärztin. Auch das All wollen Kinder nach wie vor als Astronautin erforschen, als Feuerwehrperson Brände löschen, als Ärztin Leben retten, wollen Fussballer, Prinzessin oder Schauspieler werden.

Mehr

Papagei versus Kamera

Der Lärm ist ohrenbetäubend. Vor der Seehundfütterung kümmern Andrin und ich uns noch um die Regenbogenloris. Über zwanzig australische Papageien hocken auf den Pfefferbäumen, zwitschern und schreien in voller Lautstärke. Von meiner Redaktion kenne ich ein oder zwei Exemplare, die gerne volltönig durchs Büro krähen. Gegen diese Papageien hätten sie keine Chance.

«Hier», sagt Andrin und reicht mir eine Mütze. «Von den Loris kommt ganz schön was runter.» Und tatsächlich: Schon hat der Vogelgaggi die Kamera der Fotografin Linda erwischt. Andrin putzt die Scheiben des grossen Glashäuschens, ich schrubbe den künstlichen Teich. Beinarbeit statt Bürostuhl, und die restliche Müdigkeit verfliegt.

«Die Leidenschaft und die Liebe für Tiere sind wichtig», sagt Andrin über seinen Beruf, der jeden Tag um zwanzig nach sechs beginnt. Im ersten Lehrjahr hat er sich um das Exotarium mit den vielen Fischen sowie um die Pinguine gekümmert. Im Zweiten ging es zu den Raubtieren. Im dritten und letzten Jahr ist er für die Seehunde, die Australien-Anlage und die Gibbons zuständig.

Die Sonne geht auf, die Loris leuchten feuerrot und kobaltblau. Trotz Lärm ist die Stimmung zwischen den Pfefferbäumen friedlich. Als ich die Futterschalen auffüllen will, tunken die Vögel ihre kleinen Zünglein direkt in den Krug in meiner Hand.

Ein Leben auf 27 Hektar

Um zehn stehen wir wieder im Seehundgehege für die Fütterung. Es fühlt sich an, als hätte ich bereits einen ganzen Arbeitstag erlebt. Während ich in der Redaktion am Montag selten weiss, was mich in der Woche erwartet, ist der Zeitplan hier strikt vorgegeben.

Skadi, Xanjos Mutter, robbt auf mich zu. Sie stupst ihr weiches Schnäuzchen in meine Hand. Fast unglaublich, wie niedlich so ein Tier aussehen kann. «Trotzdem, sie sind Wildtiere und ziemlich scheu», erinnert mich Andrin. Skadi springt aus dem Wasser meterhoch in die Luft, er wirft ihr einen Fisch zu. «Das darfst du wirklich jeden Tag machen?», frage ich ungläubig.

Als letzte Station geht es zu den Wallabys. Die Mini-Kängurus kauern in der Ecke der Australien-Anlage, während Andrin und ich ihre Unterstände ausmisten und Stroh auffüllen. Dabei verfolgt uns ein Emu-Weibchen, das mir mit lidlos starrendem Blick zu verstehen gibt: Du und ich werden keine Freundinnen.

Für mehr Inklusion in der Arbeitswelt

Am Zukunftstag laden Hunderte Schweizer Betriebe Schülerinnen und Schüler ein, Einblicke in die Berufswelt zu erhalten. Jugendlichen mit einer kognitiven Beeinträchtigung steht eine markant kleinere Auswahl an Berufen zur Verfügung.

Die Stiftung Züriwerk organisiert deshalb jährlich Berufswahltage, um ihnen den Einstieg zu erleichtern. «Das Ziel muss irgendwann sein, dass wir noch weiter in die Arbeitswelt vorstossen und der allgemeine Arbeitsmarkt zum Beispiel am Zukunftstag seine Türen auch für beeinträchtigte junge Menschen öffnet», wird Lehrer für Berufswahl und Lebensvorbereitung, Roman Durisch, in der Medienmitteilung der Stiftung zitiert. «Letztlich ist Arbeit für beeinträchtigte Menschen genau so Arbeit wie für nicht beeinträchtigte. Die Frage ist, ob die Gesellschaft bereit ist, Inklusion in der Arbeitswelt zuzulassen.»

Am Zukunftstag laden Hunderte Schweizer Betriebe Schülerinnen und Schüler ein, Einblicke in die Berufswelt zu erhalten. Jugendlichen mit einer kognitiven Beeinträchtigung steht eine markant kleinere Auswahl an Berufen zur Verfügung.

Die Stiftung Züriwerk organisiert deshalb jährlich Berufswahltage, um ihnen den Einstieg zu erleichtern. «Das Ziel muss irgendwann sein, dass wir noch weiter in die Arbeitswelt vorstossen und der allgemeine Arbeitsmarkt zum Beispiel am Zukunftstag seine Türen auch für beeinträchtigte junge Menschen öffnet», wird Lehrer für Berufswahl und Lebensvorbereitung, Roman Durisch, in der Medienmitteilung der Stiftung zitiert. «Letztlich ist Arbeit für beeinträchtigte Menschen genau so Arbeit wie für nicht beeinträchtigte. Die Frage ist, ob die Gesellschaft bereit ist, Inklusion in der Arbeitswelt zuzulassen.»

Mehr

Der zweitgrösste Vogel der Welt ist flugunfähig und gibt das seltsamste Geräusch von sich, das ich je gehört habe: Eine Art Trommeln aus dem Hals. Bis zu zwei Kilometer weit kann man es hören, sagt Andrin. Ich bin froh, als ich die Anlage wieder verlassen kann.

Die Leidenschaft ist noch da

Am Mittag sitze ich wieder im Tram nach Hause. Müde, etwas durchgefroren, meine Arme sind schwer, die Kleider stinken nach Fisch, meine Schuhe sind voller Mist. Doch das ist egal, denn mein Zukunftstag war ein Erfolg: Die Leidenschaft von früher ist immer noch da, der Job überraschend vielfältig. Sobald ich wieder an die Tiere denke, muss ich lächeln.

Dass ich tatsächlich jemals als Tierpflegerin arbeiten werde, wage ich zu bezweifeln. Sobald der Zoo Zürich eine Spätschicht einführt, könnte ich es mir überlegen. Aber wer weiss, vielleicht lade ich mir ja wieder einmal Zoo Tycoon herunter?

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?