Streitfall Zölibat
Wie kam die Enthaltsamkeit in die katholische Kirche?

Das Zölibat ist die umstrittenste Regel innerhalb der katholischen Kirche. Sogar Schweizer Bischöfe sind mittlerweile für die Abschaffung. Doch wie ist das Zölibat entstanden? Ein Experte erklärts.
Publiziert: 30.09.2023 um 14:20 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2023 um 16:57 Uhr
Nataša Mitrović

Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der Pilotstudie über sexuellen Missbrauch im Kirchlichen wird hitzig über das Zölibat debattiert. Auch prominente Kirchenvertreter wie Bischof Gmür (57) sehen die Zeit reif, die Enthaltsamkeitspflicht abzuschaffen. 

Doch seit wann propagiert die Kirche die enthaltsame Lebensform für Priester und Bischöfe? Und wie ist es überhaupt zu dieser gekommen? Darüber haben wir mit Markus Ries (64) gesprochen. Er ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern.

1. Jahrhundert n. Chr.

Asketische Lebensweisen prägten den Alltag der frühen christlichen Gemeinschaften.
Foto: Shutterstock

Die zunächst überschaubare Gruppe der Anhängerschaft von Jesus ist mittlerweile um einiges grösser. Diverse Gemeinschaften haben sich gebildet. Ihr Glaube an Jesus verbindet sie, in ihrer Lebensweise unterscheiden sie sich.

Ob Fasten oder sexuelle Enthaltsamkeit – die Askese soll dazu führen, sich von weltlichen Bedürfnissen zu lösen und Gott näher zu sein.
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Die asketische Lebensführung spielt bei einigen schon damals eine zentrale Rolle. Wer Askese betreibt, schränkt seinen Körper ein, durch Fasten oder sexuelle Enthaltsamkeit. «Christ-gläubige Menschen versuchten, durch die asketische Lebensweise Gott näher zu sein und sich von weltlichen Bedürfnissen zu lösen», sagt Ries.

In den ersten zwei Jahrhunderten lebten die christlichen Gemeinschaften mit ihren ganz unterschiedlichen Lebensweisen und religiösen Praktiken nebeneinander.

3. Jahrhundert n. Chr.

Synode von Elvira – so wird die Kirchenversammlung in Spanien zwischen 295 und 314 bezeichnet.
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Zwischen 295 und 314 findet eine Kirchenversammlung in Spanien statt, bei der Kirchenvertreter das tägliche Zusammenleben der Gläubigen diskutieren und strenge sittliche und moralische Vorschriften erarbeiten. «Die Enthaltsamkeit wurde dort zum ersten Mal festgeschrieben», sagt Ries.

Die neue Regel gilt zunächst nur für verheiratete Priester und Bischöfe in Spanien. Sie mussten zwar ihre Frau nicht verlassen, aber in ihrer Ehe galt die Regel: kein Sex.

Lange Zeit war die Enthaltsamkeit nicht für alle geweihten Amtsträger Pflicht. Das änderte sich, nachdem es im Jahr 1054 zur Spaltung in eine Westkirche mit Hauptsitz in Rom und eine Ostkirche mit Hauptsitz in Konstantinopel, heute Istanbul, kam.

12. Jahrhundert n. Chr.

Rom wurde der Sitz der Westkirche und später der katholischen Kirche. Im Bild zu sehen ist die Kuppel des Petersdoms im Vatikan.
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Unter Papst Innozenz II muss sich die Westkirche neu orientieren und ausrichten. «1139 wurde das Zölibat gesetzlich festgeschrieben, damit wurde es zur Signatur der Westkirche», sagt Ries. Diese dient als Abgrenzungsmerkmal zur Ostkirche.

Die enthaltsame Lebensweise wird mit dem Eheverbot ergänzt und gilt ab 1139 für die gesamte Westkirche. Geweiht werden jetzt nur noch unverheiratete Kirchenmänner. Wer nach der Weihe heiratet, dessen Ehe wird als ungültig erklärt. Wer verheiratet bleibt, der darf sein Amt als Geistlicher nicht weiterführen.

Es gibt wenig bis keinen Widerstand gegen die kirchlichen Lehrsätze: «Zu jener Zeit galt das Priesteramt als attraktive Aufstiegsmöglichkeit», sagt Ries. Geheiratet wird zwar nicht mehr, aber Kinder zeugen die Geistlichen weiterhin. Ohne Konsequenzen. «Priester und Bischöfe waren angesehene Amtsträger mit einer grossen Autorität bei den Herrschenden, deshalb waren sie wenig angreifbar», sagt Ries.

Es gibt auch ganz praktische Gründe für die Zölibatspflicht: der Schutz von Eigentum und Macht. «Wenn der Geistliche unverheiratet und kinderlos blieb, so stand sein gesamter Besitz nach seinem Ableben der Kirche zu, weil er keine legitimen Erben hinterliess», so Ries. Ehefrauen kamen zu jener Zeit gar nicht erst als rechtmässige Erbinnen infrage. Lange waren nur Kinder, die in oder vor einer Ehe gezeugt wurden, erbberechtigt. Deswegen tolerierte die Kirche auch die unehelichen Priesterkinder. Die Erbfolge spielte in dieser Zeit eine zentrale Rolle beim Bekleiden von wichtigen gesellschaftlichen Positionen, dem wirkte das Zölibat entgegen, «die Gründung von Priesterdynastien wurde so verhindert», sagt Ries. Somit habe man frei gewordene Ämter in der Kirche durch Wahlen neu besetzt. Dazu sagt Ries: «Das war aber leider auch kein Garant dafür, dass die Fähigsten diese frei gewordenen Posten übernahmen.»

16. Jahrhundert n. Chr.

Die Reformation 1517 prägte die katholische Kirche nachhaltig. Im Bild Reformatoren und katholische Geistliche.

Das Zölibat in der Westkirche ist salonfähig geworden und es wird nicht mehr daran gerüttelt, bis 1517 die nächste kirchliche Erneuerungsbewegung in Form der Reformation folgt. Die Reformatoren lehnen das Zölibat ab. Die katholische Kirche beginnt, das Zölibat als urchristliche Eigenschaft hochzustilisieren, und versucht, sich so von der Reformation abzugrenzen. «Durch nichts wurde das katholische Zölibat mehr bestärkt als durch die Reformation», so Ries.

Während die reformierten Pfarrer heiraten und Kinder zeugen, geht es für die katholischen Geistlichen weiter wie bisher. Dagegen beginnt sich Widerstand zu regen. Auch in der Schweiz: «In Luzern haben im März 1577 mehrere Dutzend Geistliche eine Petition bei der Regierung eingereicht und verlangt, dass sie ihre Lebensgefährtinnen bei sich behalten dürfen», sagt Ries. Die Begründung für den Verzicht war von praktischer Natur: «Man sorgte sich darum, wer den Hof der Priester bewirtschaften soll», sagt Ries. Dafür war bisher immer die Magd zuständig, die zugleich die Frau und die Mutter der Kinder der geistlichen Amtsträger ist. Aber nichts änderte sich.

Auch beim grössten und einschneidendsten kirchlichen Ereignis der katholischen Kirche Mitte des 20. Jahrhunderts, dem Zweiten Vatikanischen Konzil, stand die Lockerung der Zölibatspflicht nicht zur Debatte. 


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