«Systemfehler, der geändert werden muss»
Deshalb gibt es zu wenig Pflegeeltern in Zürich

Ein neues Gesetz im Kanton Zürich verschärft den Mangel an Pflegefamilien. Leidtragende sind Kinder und Jugendliche.
Publiziert: 27.06.2023 um 15:49 Uhr
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Aktualisiert: 27.06.2023 um 15:57 Uhr
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Andrea M. Haefely
Beobachter

Immer mehr junge Menschen brauchen eine Auszeit von der Familie. «Allein bei uns sind letztes Jahr 170 Anfragen eingegangen – mehr denn je», sagt Sandra Aebersold. Sie ist Geschäftsführerin von Projekt Perspektive. Die Organisation bietet Alternativen zu Heimplatzierungen in professionell begleiteten Pflegefamilien an. Man habe aber mangels Pflegefamilien weniger Plätze als in den Vorjahren vermitteln können.

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«Vor allem Pflegefamilien, die Kinder für wenige Wochen aufnehmen, haben die nicht ganz unberechtigte Angst, auf den Kosten sitzenzubleiben.»
Sandra Aebersold, Geschäftsführerin Projekt Perspektive
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Grund ist das neue Kinder- und Jugendheimgesetz des Kantons Zürich: Seit 2022 müssen Pflegefamilien die Auslagen für ihr Pflegekind selbst bei der Herkunftsfamilie einfordern. Im Schnitt rund 1000 Franken im Monat für Kostgeld und Nebenkosten. «Für mich ein Systemfehler, der geändert werden muss», so Aebersold. Familien zu finden, sei jetzt noch schwieriger. «Vor allem Pflegefamilien, die Kinder für wenige Wochen aufnehmen, haben die nicht ganz unberechtigte Angst, auf den Kosten sitzenzubleiben.» Die Ausstände bei getrennten Eltern einzufordern, sei besonders aufwendig.

«Dass Pflegeeltern das Geld bei den Herkunftseltern eintreiben müssen, ist in keiner Weise förderlich», sagt auch Rolf Tobler vom Sozialpädagogischen Zentrum Gfellergut in Zürich. Er sieht noch ein Problem: «Dadurch, dass die Pauschalen für alle Herkunftsfamilien gleich hoch sind, wurden mit dem neuen Gesetz zwar wohlhabende Familien entlastet, mittelständische aber stärker belastet.»

Sandra Aebersold ist Geschäftsführerin von Projekt Perspektive. Sie beklagt, dass es immer schwierig wird Pflegeplätze zu finden.
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Vertrag nicht mehr verlängert

Rolf Widmer, Geschäftsführer und Gründer des Ostschweizer Vereins Tipiti, der Kindern und Jugendlichen aus schwierigen Umständen ausserfamiliäre Aufenthalte ermöglicht, nennt das Zürcher Gesetz einen «Rückschritt». Es sei mit hohem administrativem Aufwand verbunden und widerspreche einer prozesshaften und durchgehenden Begleitung. Man habe daher den langjährigen Leistungsvertrag mit dem Kanton Zürich nicht mehr unterzeichnet.

Das zuständige Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB), das seit Anfang 2022 einen eigenen Pool von rund 300 Pflegefamilien führt, sagt dazu: «Eine aktuelle Umfrage des AJB bei allen Pflegeeltern, die sozialversicherungsrechtlich beim Kanton Zürich angestellt sind, zeigt, dass in 80 Prozent der Fälle, bei denen der Verpflegungsbeitrag von den Pflegeeltern eingefordert wird, dieser von den leiblichen Eltern auch gezahlt wird. Andernfalls können sich die Pflegeeltern an die Sozialbehörde wenden.»

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