Zu viel Kontrolle kann schaden
Darum sollen bereits Erstklässler die Ufzgi alleine lösen

Eltern können ihre Kinder bei den Hausaufgaben sowohl im Negativen als auch im Positiven beeinflussen. Psychologe und Lerncoach Fabian Grolimund (44) verrät, was entscheidend ist, damit Kinder in der ersten Klasse möglichst selbstständig arbeiten.
Publiziert: 14.08.2023 um 12:22 Uhr
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Aktualisiert: 15.08.2023 um 13:54 Uhr
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Jana GigerRedaktorin Service
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Wie viel Zeit müssen Erstklässler für die Hausaufgaben aufwenden?

Als obere Grenze für die tägliche Hausaufgabenzeit geben viele Kantone für Erst- und Zweitklässler 10 bis 20 Minuten an. Fabian Grolimund (44), Psychologe und Learncoach aus Freiburg FR, sagt: «Kinder sollten in der ersten Klasse nicht zu lange an den Hausaufgaben sitzen, da sie ausreichend Erholung benötigen.» Zudem lautet die Faustregel für die Konzentrationsspanne «Lebensalter mal zwei». Das heisst, ein 7-jähriges Kind kann sich rund 14 Minuten fokussieren. Kinder, die damit grosse Mühe haben, sollten laut Experte nach sieben Minuten eine kurze Pause machen.

Für Eltern, deren Kind bei den Ufzgi herumtrödelt, hat Grolimund folgenden Tipp: «Stellen Sie einen Wecker auf sieben oder 14 Minuten und geben Sie dem Kind ein klares Startsignal, um mit den Hausaufgaben zu beginnen.» Das bewirke, dass es konzentrierter arbeite. Dauern die Hausaufgaben viel zu lange, sollte man gemäss Experte mit der Lehrperson vereinbaren, dass das Kind die Ufzgi nach der festgelegten Zeit abbrechen darf.

Zu viel Druck vonseiten der Eltern wirkt sich laut Experte negativ auf die Motivation des Kindes aus.
Foto: Getty Images
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Darf man dem Kind ständig über die Schultern schauen?

Das habe einen negativen Einfluss auf die Selbstkompetenz des Kindes, sagt Grolimund. «Studien zeigen, dass Kinder hilfloser und unselbstständiger werden, wenn die Eltern sie bei den Hausaufgaben dauernd kontrollieren.» Es ist gemäss Experte eine bessere Grundlage, wenn man die Unterstützung darauf ausrichtet, dass das Kind möglichst viel selbstständig erledigt. «Idealerweise verschafft man sich zuerst gemeinsam mit dem Kind einen Überblick über den Auftrag, um allfällige Unklarheiten zu klären.»

Im Alter von sieben Jahren kann ein Kind etwa 14 Minuten lang fokussiert bleiben.
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Danach könne das Kind die Aufgaben lösen, die es sich alleine zutraut. Im Anschluss an die Ufzgi ist es laut Grolimund hilfreich, die Selbstständigkeit hervorzuheben. «Ein Satz wie ‹Wow, jetzt bist du aber weit gekommen alleine› motiviert das Kind, die Aufgaben beim nächsten Mal zuerst selbst zu versuchen, bevor es die Eltern um Hilfe bittet.» Macht das Kind Fehler, rät der Experte, sich als Eltern zurückzuhalten. «Es bringt nichts, wenn das Kind mit fehlerfreien Hausaufgaben in die Schule geht.» Das sei für die Lehrperson keine adäquate Repräsentation der Leistung des Kindes.

Kinder erst spielen zu lassen, wenn sie die Hausaufgaben erledigt haben, ist laut Experte langfristig keine gute Taktik.
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Was bewirkt der Satz: «Du darfst erst spielen, wenn du die Ufzgi gemacht hast»?

Laut Experte ist diese Strategie auf lange Sicht kontraproduktiv. «Wenn die Eltern zu viel Druck ausüben, widersetzt sich das Kind und es kommt zu Konflikten.» Das führe dazu, dass das Kind die Hausaufgaben mit Stress und Streit in Verbindung bringe. «Das ist etwas vom Hinderlichsten für die Motivation.» Das Hilfreichste, was Eltern gemäss Grolimund tun können, ist für eine angenehme Stimmung beim Lernen zu sorgen.

«Sobald Frustration und Ärger überhandnehmen, sollte man dem Kind sagen, ‹Jetzt wird es stressig, lass uns eine Pause machen›.» In den meisten Fällen beruhige sich das Kind innerhalb von etwa 30 Minuten und mache sich dann wieder an die Aufgaben. «Wenn nicht, geht es ausnahmsweise ohne erledigte Hausaufgaben in die Schule», sagt Grolimund. Das sei besser als Streit oder Drohungen und vermittle dem Kind, dass die Hausaufgaben in seiner Verantwortung liegen.

Er entwickelt Lernstrategien

Fabian Grolimund (44) ist Psychologe und leitet seit 2011 gemeinsam mit Stefanie Rietzler die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Zum Thema Hausaufgaben bieten sie auf ihrer Website einen Online-Kurs für Eltern an. Als Co-Autor hat Grolimund bereits diverse Kinderbücher und Ratgeber für Eltern veröffentlicht, wie «Clever lernen» oder «Erfolgreich lernen mit ADHS und ADS». Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Freiburg.

Franziska Messner

Fabian Grolimund (44) ist Psychologe und leitet seit 2011 gemeinsam mit Stefanie Rietzler die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Zum Thema Hausaufgaben bieten sie auf ihrer Website einen Online-Kurs für Eltern an. Als Co-Autor hat Grolimund bereits diverse Kinderbücher und Ratgeber für Eltern veröffentlicht, wie «Clever lernen» oder «Erfolgreich lernen mit ADHS und ADS». Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Freiburg.

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Was tun, wenn das Kind die Hausaufgaben dauernd vergisst?

Vielen Erstklässlern fällt es gemäss Experte schwer, nach dem Kindergarten auf einmal mehr Verantwortung zu übernehmen und an Dinge wie das Aufschreiben der Hausaufgaben zu denken. «In solchen Fällen sollte man nicht auf der Vergesslichkeit des Kindes herumhacken.» Das führe dazu, dass es sich mit seinen Schwächen identifiziere und diese nicht mehr loswerde. Stattdessen ist es laut Grolimund hilfreich, dem Kind mittels Wenn-dann-Sätzen versuchen beizubringen, in einer gewissen Situation an eine bestimmte Handlung zu denken:

  • Wenn die Lehrerin die Ufzgi an die Tafel schreibt, dann nehme ich sofort das Hausaufgabenheft und schreibe es ab.
  • Wenn es läutet, dann schaue ich ins Aufgabenheft und packe alles ein, was ich zu Hause brauche.
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