Verkaufsrekorde wegen Hitzewelle
Gibts in der Schweiz bald so viele Klimaanlagen wie in den USA?

In den USA hat die Klimaanlage die Geografie des Landes geprägt. In der Schweiz hatte die Kühlmaschine lange einen schweren Stand. Doch jetzt sind die Absatzzahlen so hoch wie noch nie in der Geschichte.
Publiziert: 19.07.2022 um 15:30 Uhr
Silvia Tschui, Benno Tuchschmid

Stell es dir vor: kühle Luft aus einer Wundermaschine, die deinen aufgeheizten Körper angenehm erfrischt … Könntest du haben. Mit einer Klimaanlage. Doch die Wirkung dieser Geräte geht weit über den Kühleffekt hinaus. Sie haben die Welt verändert – und könnten unsere Zukunft formen.

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Beispiel gefällig? Die USA. Dort sind Air Conditioner (A/C) in Wohnungen und Büros Standard. Mehr als das: Das US-Magazin «The Atlantic» veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel «Wie die Klimaanlage das moderne Amerika möglich machte». Und tatsächlich: Die Vereinigten Staaten wären heute nicht dasselbe Land, hätte der US-Erfinder Willis Carrier im Jahr 1902 nicht den A/C erfunden. Erst nur in der Industrie eingesetzt, begann das Gerät mit dem Einzug in die Privathaushalte die Geografie der USA zu verändern.

Beispiel Phoenix, Arizona: 1950 hatte die Wüstenstadt knapp 100'000 Einwohner. Dann kam die Klimaanlage. Heute hat die Stadt 1,5 Millionen Einwohner. Und gehört zum wirtschaftlich und demografisch boomenden Sun-Belt, der sich vom Südwesten bis nach Florida erstreckt – und ohne Klimaanlage nicht denkbar wäre. Das Phänomen ist nicht auf Amerika begrenzt. Dubai ohne Klimaanlagen? Kaum vorstellbar. Und das gilt praktisch für jede Mega-Stadt in der Nähe des Äquators.

Soziologin Katja Rost sagt: «In den USA ist es ein Statusphänomen, seine Räumlichkeiten auf 16 Grad zu kühlen. Davon sind wir in der Schweiz noch immer ein grosses Stück entfernt.»
Foto: Philippe Rossier
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Anders die Schweiz. Hier spielten Klimaanlagen in Wohnräumen lange keine grosse Rolle. Man rümpfte eher die Nase. Soziologin Katja Rost (46) von der Universität Zürich sagt dazu: «In den USA ist es ein Statusphänomen, seine Räumlichkeiten auf 16 Grad zu kühlen. Davon sind wir in der Schweiz noch immer ein grosses Stück entfernt.» Doch klar ist: Auch in der Schweiz hat der heisse Sommer Auswirkungen. Die Detailhändler verzeichnen Rekordverkäufe bei den Klimaanlagen. Bei Interdiscount und Microspot seien letzte Woche die Zahlen regelrecht «explodiert». Bei Digitec Galaxus schreibt man gar Rekorde. Sprecherin Seraina Cadonau sagt: «Es gab kein Jahr, in dem wir im Juni und Juli mehr Geräte verkauften als 2022.»

Unsere Mentalität ist besser für den Planeten

Fürs Klima ist das keine gute Nachricht. Klimaanlagen sind Energiefresser und Klimasünder und benötigen pro Monat so viel Energie wie eine Kühlschrank/Tiefkühl-Kombination in einem Jahr. Sie kühlen zwar Räume, heizen aber die Umgebung ausserhalb der Kühlzone auf: um bis zu 1 Grad. Soziologin Rost sagt dazu: «Es ist ein Wohlstandsphänomen, dass wir aus egoistischen Gründen auf kühle Räume setzen, obwohl wir wissen, dass es dem Klima schadet.» Es sei nun mal schwieriger, den Lebensstil den Temperaturen anzupassen, weil davon ganz viele Lebensbereiche betroffen sind. Siesta in der Schweiz? Unvorstellbar. Erst um 22 Uhr Znacht? Undenkbar.

Trotzdem dürfte es in der Schweiz länger dauern, bis wir aufs Kühl-Niveau der USA kommen. Mit ein Grund sind die Gesetze: Von aussen sichtbare Klimaanlagen sind in der Schweiz bewilligungspflichtig. Soziologin Rost rechnet damit, dass in der Schweiz eine öffentliche Debatte über die Klimaverträglichkeit der Raumkühler entstehen wird.

Energie zu sparen, gehört insbesondere in den nördlicheren Ländern zum guten Ton – mit für andere Nationalitäten manchmal unverständlichen Techniken. In Internetforen machen sich Amerikaner über die europäische Technik (bei Hitze Fensterladen schliessen!) lustig. Gar nicht zum Lachen sind dagegen folgende Zahlen des Rocky Mountain Institutes: Die nächsten 30 Jahre werden weltweit jede Sekunde zehn Klimaanlagen verkauft.


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