Editorial über die US-Wahlen
Die Bilanz für die Medien? Verheerend

Diesen Sommer dominierte die Weltpolitik die Schlagzeilen – doch die Journalisten lieferten vor allem Fehlprognosen. Erinnerungen an den Trump-Sieg 2016 werden wach.
Publiziert: 11.08.2024 um 15:42 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Geliebt werden zu wollen ist laut Friedrich Nietzsche die grösste aller Anmassungen. Bei Publizisten und Autoren dürfte es die Forderung sein, dass man sie liest und erhört.

Eine wesentliche Rolle spielen dabei, wie in der Liebe, Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Womit wir beim Medienproblem dieses Sommers sind. In der Berichterstattung über die Weltpolitik dominierten bislang Fehleinschätzungen. Am deutlichsten zeigt sich das beim US-Wahlkampf: Unter dem Eindruck des tatterig wirkenden Amtsinhabers sah das Gros der Journalisten – auch der Verfasser dieser Zeilen – Joe Bidens Herausforderer Donald Trump schon als gesetzten Sieger im November. Nach dem gescheiterten Attentatsversuch gegen Trump warf sich die vormals so kritische Presse dem 78-Jährigen vor die Füsse, als hätte er in Drachenblut gebadet.

Feuerwerk der Irrtümer

Dass Bidens Rückzug aus dem Wahlkampf einer historischen Zäsur gleichkommt und den Demokraten solchen Aufwind verleiht, hatte so gut wie kein Meinungsmacher auf der Rechnung. Der mögliche Joker Kamala Harris wurde der Öffentlichkeit als chancenlos verkauft. Nun liegt sie mit ihrem Vize-Kandidaten Tim Walz in den Umfragen vor Trump – selten wurde journalistische Arbeit schneller vernichtet. Manche Experten übersahen sogar das gerissene Manöver von Methusalem Biden, mit seinem Rückzug bis nach dem Parteitag der Republikaner zu warten, damit seine Gegner noch möglichst viel Pulver gegen ihn verschiessen. Ein Kommentator der «Süddeutschen» erkannte darin einfach nur «Glück» für die Demokraten.

Niemand hatte Joe Bidens Rückzug aus dem Wahlkampf zugunsten von Kamala Harris auf dem Radar.
Foto: DUKAS
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Das Feuerwerk der Irrtümer betraf indes nicht nur Amerika – so galt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Marine Le Pens Topresultat bei den Parlamentswahlen im Juni als taktischer Vollpfosten, ehe er sich nach der Korrektur beim zweiten Wahlgang über Nacht zum Meisterstrategen mauserte. Das bittere Aus der konservativen Regierung von Rishi Sunak im Juli schien auch für die Grossbritannien-Kenner in den Redaktionen vom Himmel gefallen zu sein, während Israels Premier Benjamin Netanyahu seit bald einem Jahr täglich das politische Ende prophezeit wird.

Im Fall der USA werden Erinnerungen an Donald Trumps Wahlsieg von 2016 wach. Die gesamte Experten-Riege hatte damals vorab den Sieg Hillary Clintons verkündet. Was für eine Anmassung.

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