Editorial über Medien und Massenentlassung
40 gegen 40'000

Die Schweizer Medien stehen unter Druck, wie die Sparübung bei TX Group aktuell zeigt. Das ist schlecht. Ebenso schlecht ist: Gleichzeitig wächst der Staat, den sie kontrollieren sollten.
Publiziert: 01.09.2024 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2024 um 09:03 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • TX Group baut 290 Stellen ab, 90 im Journalismus
  • Gleichzeitig wächst der Staat
  • Der Bund plant 39'367 Vollzeitstellen für das Jahr 2025, 453 mehr als 2024
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Der Post auf Instagram hatte bis gestern bescheidene 157 Likes. Was kein Wunder ist. Der Beitrag kommt mit der spröden Ästhetik eines Proseminar-Vortrags daher, das sperrige Thema «Reform der beruflichen Vorsorge» erscheint auf leicht abgeschrägten Balken. «Telekolleg» lässt grüssen. 

Das alles wäre recht komisch – bis auf das Kleingedruckte: Finanziert wird diese Übung mit Ihren Steuern. Absender des Posts ist der Staat, genauer gesagt gov.ch, der Account des Bundesrats. Für ihre Social-Media-Offensive liess sich die Landesregierung vor zwei Jahren extra zehn zusätzliche Stellen bewilligen. Dazu kommen weitere Redaktoren in den einzelnen Departementen.

Diese Kultur der geschmeidigen Beschäftigungsvermehrung hat immer schon Argwohn geweckt. Besonders gilt das aber für Tage, an denen die Privatwirtschaft Federn lassen muss. Diese Woche hat der Zürcher Medienkonzern TX Group, der unter anderem den «Tages-Anzeiger» herausgibt, den Abbau von 290 Stellen bekannt gegeben. 90 davon im Journalismus. Die Massenentlassung ist zum Politikum geworden, gerade im Welschland. Verständlicherweise. Eine offene Demokratie braucht eine freie Öffentlichkeit, und eine freie Öffentlichkeit braucht unabhängige Medien.

CEO-Tamedia Jessica Peppel-Schulz gab diese Woche den Stellenabbau bei Tamedia bekannt.
Foto: keystone-sda.ch
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Dass jene schwächer werden, die die Mächtigen kontrollieren und kritisieren sollten, wäre schon genug bedauerlich – doch wird diese Asymmetrie noch zusätzlich verschärft: Der Staat, dem es auf die Finger zu schauen gilt, dehnt sich gleichzeitig aus. Die erwähnten zehn Stellen sind nur ein winziger Teil der Aufrüstung des öffentlichen Sektors, nicht nur im Kommunikationsbereich. Im soeben publizierten Voranschlag des Bundes für das Jahr 2025 sind total 39'367 Vollzeitstellen geplant, womit der Verwaltungsapparat im Vergleich zum Vorjahr um weitere 453 Stellen wachsen wird. Die Gesamtausgaben des Bundes werden die 80-Milliarden-Marke überschreiten.

Umso mehr schmücken sich Politiker gerne mit ihrem Einsatz für schlanke Strukturen. Jüngst hat sich etwa alt Bundesrat Ueli Maurer damit gebrüstet, in seinem Departement seinerzeit 700 Stellen abgebaut zu haben. Worauf Blick dieser Behauptung nachgegangen ist und aufgezeigt hat, dass es netto lediglich fünf Stellen waren. Meldungen dieser Art sucht man auf dem Insta-Kanal von gov.ch vergebens.

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