Fanny «Shotty» Chollet (33) wird die erste Schweizer Testpilotin
«Genderdiskussionen haben hier keinen Platz»

Sie war bereits die erste Schweizerin Kampfjetpilotin. Jetzt wird Fanny Chollet in den USA zur Testpilotin gekürt. Ein Gespräch über Patriotismus, die Vorzüge des F-35 und Gleichstellung im Cockpit.
Publiziert: 02.06.2024 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2024 um 10:23 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Sie schrieb Geschichte als erste Schweizerin im Cockpit eines F/A-18. Fanny «Shotty» Chollet (33) hat den Rang eines Hauptmanns bei der Luftwaffe. Im Vorfeld der Beschaffung des Kampfjets F-35 trat sie an der Seite von Verteidigungsministerin Viola Amherd (61) auf. Jetzt erlebt sie ihren Karrierehöhepunkt: Sie schliesst an der US Air Force Test Pilot School auf der Edwards Air Force Base in der Mojave-Wüste nordöstlich von Los Angeles ihre einjährige Ausbildung zur Testpilotin ab. Blick hat mit der Ausnahmefrau ein Telefoninterview geführt – bei dem sehr viel gelacht wurde.

Fanny Chollet ist die erste F/A-18-Pilotin der Schweiz
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2019 in Payerne VD vorgestellt:Fanny Chollet ist die erste F/A-18-Pilotin der Schweiz

Hauptmann Chollet, Sie sind drauf und dran, den modernsten Kampfjet der Welt zu fliegen. Nervös?
Das Thema der Ausbildung hier an der Testpilotenschule der US Air Force war nicht ein Übergang auf den F-35, sondern die Ausbildung zum Testpiloten, die vom Flugzeugtyp unabhängig ist. Ich bin viele verschiedene Flugzeuge geflogen, sowohl Kampf- als auch Transportflugzeuge, um die erforderlichen Fähigkeiten zu erlangen. Der Wechsel von Schweizer Piloten auf den F-35 wird erst in einigen Jahren beginnen. Natürlich bin ich aufgeregt!

Chollet vor einer F-16 auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien.
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Immer wieder gibt es Berichte über rätselhafte Unglücksfälle mit dem F-35. Am Dienstag ist ein Flieger im US-Bundesstaat New Mexico kurz nach dem Start abgestürzt. Haben Sie kein mulmiges Gefühl?
Die Durchführung einer Mission mit einem Kampfflugzeug ist mit Risiken verbunden, die so weit wie möglich minimiert werden – ohne sie jedoch vollständig ausschliessen zu können. Der F-35 ist da keine Ausnahme.

Jetzt geben Sie sich sehr gelassen.
Wie jede Pilotin und jeder Pilot bin ich mir der Risiken bewusst, die mit dem Beruf verbunden sind. Nach jedem Unfall, sei es mit der F-35 oder einem anderen Flugzeug, wird eine gründliche Untersuchung durchgeführt, um die Ursachen zu verstehen. Diese sind meist eine Kombination aus mehreren menschlichen, technischen oder umweltbedingten Faktoren. Die Untersuchung hilft, das Risiko bei zukünftigen Missionen zu minimieren.

Warum wurden Sie ausgewählt?
Das ist schwierig zu beantworten. Dass jemand in ein Auswahlverfahren zum Testpiloten in der Schweiz kommt, passiert nicht so oft. Es gibt bei Armasuisse neun Testpiloten, sechs davon «Fixed Wing»-Testpiloten, und drei Helikopter-Testpiloten. Es ist also wirklich ein kleines Team.

Was erwarten Sie vom F-35?
Es wird ein extrem kompetentes Flugzeug sein, für alle Bedürfnisse ausgerichtet. Bisher trainierte ich vor allem mit dem F-16 und dem T-38. Aber ich habe natürlich mit F-35-Piloten über ihre Erfahrungen geredet.

Sie werden bis 9 G auf dem Körper aushalten müssen, also die neunfache Erdanziehungskraft.
Wir Kampfjet- und Testpiloten sind sehr auf unsere Mission fokussiert. Wenn wir mit einem Flieger einen Erprobungsflug durchführen, achten wir nicht so sehr auf Körpergefühl oder Beschleunigung. Von meinen Einsätzen in der Schweizer Staffel kenne ich 7,5 G als stärkste Belastung. Ich habe hier in den USA das Zertifikat für die 9-G-Belastung erhalten, dafür trainierte ich in der Zentrifuge, da der F-16 bis 9 G zugelassen ist.

Und wie fühlt sich das an?
Es ist enorm, wenn du spürst, wie der Körper eingesetzt werden muss, um nicht bewusstlos zu werden. Man fühlt das neunfache Körpergewicht. Das ist unbeschreiblich. Alles wird bleischwer, du kannst deine Arme nicht mehr bewegen.

Sie reden immer von Ihrer Mission. Was heisst das?
Zur Mission in einer operationellen Fliegerstaffel gehören Aufgaben im Bereich Luftpolizei oder Luftverteidigung. Die Missionen für den Testpiloten oder die Testpilotin sind Flugerprobung während Evaluationen, Zulassungen, Abnahmen oder Technische Prüfflüge.

Wenn Sie im Dienst über die Schweizer Alpen fliegen – entwickeln Sie da spezielle patriotische Gefühle?
Meine patriotischen Gefühle sind nicht darauf beschränkt, wenn ich über die Alpen fliege. Ich habe mich entschieden, für die Eidgenossenschaft zu arbeiten, und freue mich, zum Schutz und zur Verteidigung der Schweiz beizutragen. Ich bin hier bei der US Air Force, das ist eine sehr spezielle Angelegenheit.

Weshalb?
Die Edwards Air Force Base beinhaltet ein grosses historisches Erbe. Hier in der Mojave-Wüste wurde zum allerersten Mal mit einem Flugzeug die Schallmauer durchbrochen. Es ist einzigartig für mich, die Schweiz an der USAF-Testpilotenschule zu repräsentieren.

Rund um die Beschaffung des F-35 gab es in der Schweiz eine heftige Debatte. Der Kauf wurde kritisiert. Haben Sie das eng verfolgt?
Persönlich war ich ja nicht in das Projekt involviert, dafür gab es Experten. Ich war nicht Teil der Evaluation.

Aber Sie sind an der Seite von Verteidigungsministerin Viola Amherd aufgetreten. Ihre Militär- und Neutralitätspolitik steht im Inland unter Druck, das Thema ist seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs emotional sehr aufgeladen.
Ich bin klar der Meinung, dass die Schweiz eine schlagkräftige Armee und eine starke Luftabwehr braucht, mehr denn je! Und davon will ich Teil sein. Ich will, dass die Schweiz die am besten geeigneten Systeme hat, und diesem Ziel widme ich meine Karriere. Das ist existenziell für unsere Bevölkerung, für unsere Werte, das beste System für unsere nationale Sicherheit.

Wünschen Sie sich, dass die Schweizerinnen und Schweizer dies mehr wertschätzen?
Ich wünsche mir, wir könnten der Öffentlichkeit besser erklären, was wir machen und warum wir es machen. Das ist wichtig, denn nicht jeder ist ein Experte für nationale Sicherheit. Es ist nicht einfach, das Thema nationale Sicherheit zu verstehen. Darum ist es sehr wichtig, zu kommunizieren. Weil wir davon überzeugt sind, das Richtige zu tun.

VBS-Chefin Amherd will die Frauen in der Armee stärken. Als Frau in diesem Beruf stehen Sie mehr im Fokus als Ihre männlichen Kollegen. Sie dienen dem Militär auch als «Role Model». Nervt oder freut Sie das?
Ich fühle mich extrem glücklich, dass ich diesen Job machen darf. Nicht speziell als Frau, sondern einfach als Mensch. Nicht jeder hat dieses Privileg. Das fühlt sich natürlich als riesige Chance an. Wir waren nur 24 Teilnehmer in der diesjährigen Klasse. Und ich war der einzige weibliche Pilot, dazu gab es zwei Ingenieurinnen. Als Frau sehe ich keinen Unterschied in meinem Job.

Aber alle Augen scheinen auf Sie gerichtet!
Ja, vielleicht habe ich etwas mehr Aufmerksamkeit. Der Hauptfokus liegt aber darauf, dass ich diese Ausbildung der US Air Force absolviere, was sehr speziell ist für die Schweiz.

Frauen fahren vernünftiger Auto als Männer. Sind sie auch die besseren Pilotinnen?
Es gibt nicht wirklich einen Unterschied. Ausser natürlich auf individueller Ebene. Was ein Team grossartig macht, ist die Zusammensetzung von individuell sehr verschiedenen Mitgliedern. Als Frau spüre ich weder einen Vorteil noch einen Nachteil.

Also ein ganz normaler Umgang untereinander?
Absolut.

In der Kultur werden Kampfjetpiloten als Machos der Lüfte dargestellt, denken wir an den Film «Top Gun».
Mit «Top Gun» hat das nichts zu tun. Bei der US Air Force ist man sehr auf Gleichstellung bedacht. Wir werden hier alle gleich behandelt. Es geht um die Mission. Irgendwelche Geschlechter- oder Genderdiskussionen haben hier keinen Platz. Wir sind auf unsere Mission konzentriert.

Sie sind sich hohe Geschwindigkeiten in der Luft gewohnt. Wie sind Sie am Steuer eines Autos? Sind Sie eine Raserin?
Nein. Testpiloten sind gewöhnlich nicht adrenalinsüchtig. Testpiloten sind darauf aus, ihren Auftrag möglichst gut zu erfüllen, und nehmen nicht unnötige Risiken in Kauf.

Sie haben etwas erreicht, was nur sehr wenige erreichen. Was würden Sie Mädchen und jungen Frauen raten, die ein so ambitioniertes Ziel haben?
Ich höre oft andere sagen: Da drin wäre ich nicht gut, das kann ich nicht und so weiter. Ich sage: Macht einfach! Versucht es! Es ist wichtig, sein Ziel im Auge zu behalten, sich immer bestmöglich vorzubereiten und motiviert zu bleiben.

Sie haben gut reden. Was sollen Junge konkret tun, die Ihren Beruf wollen?
In der Schweiz gibt es die Ausbildungsplattform Sphair. Diese ist offen für alle zwischen 17 und 23 Jahren, die Pilot werden wollen. Versucht es! Und wenn ihr es versucht, stellt euch auf einen wirklich langen, zähen Prozess ein. Man muss alle Kapazitäten aufwenden, um das Ziel zu erreichen, aber es lohnt sich.

Dann ist ein gutes persönliches Umfeld von Vorteil.
Oh ja! Ich bin glücklich und dankbar, dass mich meine Familie all die Jahre unterstützt hat.

Diesen Mittwoch starten und landen F/A-18 Kampfjets auf der A1. Blick.ch überträgt die Übung live.

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