Kommt der US-Präsident wirklich an die Ukraine-Konferenz?
Der grosse Biden-Bluff

Niemand weiss, ob der mächtigste Mann der Welt auf dem Bürgenstock erscheinen wird. Doch entsprechende Gerüchte werden eifrig gestreut. Was Bidens Botschafter auf die Palme brachte.
Publiziert: 19.05.2024 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 19.05.2024 um 10:23 Uhr

Für Bundespräsidentin Viola Amherd (61) und Aussenminister Ignazio Cassis (63) ist es das Prestigeprojekt schlechthin: Am 15. und 16. Juni ist auf dem Bürgenstock eine weltweite Ukraine-Konferenz anberaumt. Natürlich läuft die Suche nach Teilnehmern für das Treffen auf dem Ausflugsberg über dem Vierwaldstättersee auf Hochtouren – wenn auch nur hinter den Kulissen. Und natürlich ist der Anlass nicht zufällig just auf den Abschluss des G7-Gipfels in Italien terminiert. Mehr als 60 Staatsvertreter hätten sich bereits angemeldet, wie man im Aussendepartement nicht ohne Stolz mitteilt. 

Was aber wäre diese Begegnung ohne den mächtigsten Politiker der Welt, ohne den amerikanischen Präsidenten Joe Biden (81), überhaupt wert?

Biden-Gerüchte begünstigen Zusagen von Dritten

Die Schweizer Gastgeber wissen das sehr genau, und ihnen bleiben im Grunde nur Lobbyieren, Beten und Hoffen. Doch all das blieb bislang erfolglos: Biden hat sich bis dato nicht in der Schweiz angekündigt.

Ausflugsberg Bürgenstock: Mitte Juni kommt es zum grossen Gipfel.
Foto: Thomas Meier
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Nach aktuellem Stand weiss also noch niemand, ob der Amerikaner tatsächlich anreisen wird – vielleicht weiss Biden es nicht einmal selber. Weil aber bereits die Erwartung seiner Teilnahme die Zusage anderer prominenter Gäste begünstigt, wäre es für Amherd und Cassis gar nicht mal so schlecht, wenn wenigstens das Gerücht darüber zirkuliert. Obwohl man nicht über eine offizielle Zusage verfügt, haben Akteure im Hintergrund deshalb damit begonnen, die – hoffentlich – sich selbst erfüllende Prophezeiung munter zu befeuern. 

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Cassis blieb genüsslich mehrdeutig

Den Anfang machte die «NZZ» am 9. April: «Wie die NZZ aus mehreren zuverlässigen Quellen erfahren hat, soll der amerikanische Präsident Joe Biden an der Konferenz teilnehmen», vermeldete das freisinnige Blatt. Die Nachricht machte sofort die Runde. «Auch der amerikanische Präsident Joe Biden soll an der Konferenz teilnehmen, wie mehrere Quellen gegenüber der NZZ sagen», berichteten die CH Media – um zur Sicherheit noch hinzuzufügen: «Eine definitive Zusage erfolge kurzfristig.» Die Story – beziehungsweise die Spekulation – schlug also ein. Und sie verselbständigte sich: «Joe Biden offenbar auf dem Bürgenstock», lautete nächsten Tages eine Schlagzeile, anderswo hiess es: «Biden könnte an Ukraine-Gipfel auf dem Bürgenstock teilnehmen.» Ein Blatt fragte vorsichtig: «Kommt Joe Biden auf den Bürgenstock?»

Nun ist die Vorstellung natürlich abwegig, dass die Bundespräsidentin und der Aussenminister selbst auf die riskante Tour gehen, derlei Unschärfen in die Welt zu setzen. Das wäre unter der Würde der Magistraten. Auffällig ist aber, wie sich die beiden verrenken, wenn dieses Thema erwähnt wird. An der bundesrätlichen Medienkonferenz wurde Cassis auf das Biden-Gerücht angesprochen. Und der Tessiner hätte einfach sagen können: «Über eine Anmeldung des US-Präsidenten ist mir bis jetzt nichts bekannt. Aber wir würden seine Teilnahme begrüssen.» Oder: «Das sind alles nur Spekulationen.» Stattdessen blieb Cassis genüsslich mehrdeutig: «Über die Teilnahme von einzelnen Gästen kann ich noch nichts sagen.» Derweil stocherte die «NZZ» weiter im selbst erzeugten Nebel: «Von Konrad Adenauer bis Joe Biden – wie auf dem Bürgenstock Weltpolitik gemacht wird.»

«Der Präsident hat seine Teilnahme NICHT bestätigt»

Und auf welche Weise geht Amherd öffentlich mit der Biden-Personalie um? Auch die VBS-Chefin zeigt Hemmungen, das Gerücht klipp und klar als solches einzustufen. In einem Tamedia-Interview am 11. April wird sie gefragt: «Rechnen Sie damit, dass Präsident Joe Biden persönlich nach Nidwalden reisen wird?» Darauf betont die Walliserin nicht etwa, derzeit handle es sich noch um Fantastereien, sondern sagt: «Wir werden die Einladungen in den nächsten Tagen verschicken. Zuvor können wir nicht sagen, wer definitiv in die Schweiz reisen wird.» Mit anderen Worten: Sie kann sagen, wer noch nicht definitiv in die Schweiz reisen wird.

Dieses politischen Schlinger-Bewegungen müssen einen Berner Diplomaten besonders erzürnt haben: US-Botschafter Scott Miller (45). Nach Blick-Recherchen wandte sich der Amerikaner auf informeller Ebene mit deutlichen Worten an Mitarbeitende des EDA – sein Chef in Washington habe sich bislang mit keiner Silbe zu einer Teilnahme am Treffen auf dem Bürgenstock geäussert. Aus dem engsten Stab der US-Regierung sei Miller gar um Klärung gebeten worden, wie es zu diesem «Swiss Gossip» (Schweizer Tratsch) gekommen sei. All dies hat den Abgesandten offenbar dazu bewogen, am 10. April auf der Plattform X eine in ihrer Deutlichkeit ungewöhnlich undiplomatische Klarstellung zu publizieren: «Der Präsident der Vereinigten Staaten hat seine Teilnahme an der Ukraine-Konferenz NICHT bestätigt. Gegenteilige Gerüchte sind reine Spekulation.»

«Das EDA hat sich nie geäussert»

Die Gerüchteküche sei nicht im Schweizer Aussendepartement entstanden, betont ein Sprecher des EDA auf Anfrage: «Das Gerücht über eine mögliche Teilnahme von US-Präsident Biden wurde von Medien, unter anderem dem Blick, gestreut.» Man selbst habe sich dazu «nie geäussert». Botschafter Miller liess entsprechende Fragen zu seiner Intervention unbeantwortet.

All dies bedeutet freilich keineswegs, dass Joe Biden nicht auf den Bürgenstock reist – es ist auch möglich, dass er sich erst am Abend zuvor festlegen wird. Der US-Präsident steckt im Wahlkampf und wird mit seinem Team situativ über die beste Strategie beraten. Nützt ihm Mitte Juni ein Auftritt in der Schweiz, wird er kommen. Nützt er ihm nicht, wird er fernbleiben. Immerhin scheint Bidens Teilnahme nach Einschätzung von Beobachtern immer noch wahrscheinlicher als die von Xi Jinping (70). Über die Teilnahme des chinesischen Staatschefs kursieren bislang nicht einmal Gerüchte.

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