Kongresse, Sponsoring, Weiterbildung: Mediziner und Spitäler kassieren jährlich 163 Millionen
So kauft die Pharmaindustrie unsere Ärzte

Die Pharmaindustrie greift tief in die Tasche, um Ärzte, Spitäler und Apotheken mit Spenden, Honoraren, Reisekosten und Sponsoring zu beglücken. Warum das problematisch ist.
Publiziert: 10.04.2019 um 23:14 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2019 um 20:14 Uhr
Vinzenz Greiner, Simon Huwiler
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Mutmassliche Korruption, Betrug und Untreue werfen deutsche Behörden dem Pharmariesen Roche vor und durchsuchten deshalb die Räumlichkeiten des Unternehmens, wie gestern bekannt wurde. Mit Sponsoring zugunsten des Unternehmens eines Arztes soll Roche dafür gesorgt haben, dass seine Medikamente verschrieben werden.

Sponsoring von Ärzten, Spitäler und Organisationen durch Pharmamultis ist auch in der Schweiz gang und gäbe. Das zeigt eine grosse Analyse jener Daten über geldwerte Leistungen an Berufstätige und Organisationen in der Gesundheitsbranche, die die Pharmafirmen seit 2015 offenlegen. BLICK hat sie gemeinsam mit «Beobachter», «Handelszeitung» und «Le Temps» in aufwendiger Kleinstarbeit ausgewertet und auf www.pharmagelder.ch zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis: Waren es 2015 noch 140,6 Millionen, flossen zwei Jahre später schon rund 162,6 Millionen Franken an Ärzte und Co. – das sind fast 16 Prozent mehr.

Unispitäler bekommen Millionen

Vor allem wuchsen die Summen erstatteter Kongresskosten und die Sponsoring-Budgets. Fast jeder bekommt was ab: Kantonsspitäler, Hausärzte, ein «Rheumakränzli». Ein Arzt bekam 2017 einen Reisekostenzuschuss von läppischen 4.12 Franken, ein Kollege liess sich von einer Firma Kongresskosten in Höhe von 1721 Franken erstatten, der Zürcher Apothekerverband wurde mit 20'000 Franken gesponsert. Am meisten aber fliesst an Stars in ihrem Forschungsbereich und Organisationen mit grossem Einfluss – in der Branche nennt man sie «Opinion Leader», also Meinungsmacher.

Pharmafirmen zahlen Millionen an Ärzte, Spitäler und Organisationen. Zusammen mit «Beobachter», «Handelszeitung» und «Le Temps» hat BLICK diese Zahlungen ausgewertet. Viele der Topempfänger arbeiten beim selben Spital.
Foto: Keystone
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Unter den Gesundheitsorganisationen, die 2017 am meisten bekamen, befinden sich die Unispitäler Basel, Lausanne und Zürich sowie die Inselgruppe, zu der auch das Berner Unispital gehört. Sie erhielten je deutlich über 2 Millionen Franken. Das Zürcher Unispital erklärt auf Anfrage, gezielte Kooperation mit der Industrie sei «heute für die Entwicklung der Medizin unabdingbar».

Spitzenempfänger in der Krebsforschung

Auch andere Unternehmen werden kräftig gesponsert. Zum Beispiel Excemed, das sich als «führenden globalen Anbieter» medizinischer Bildung bezeichnet. Insgesamt bekam die Genfer Organisation rund 4,7 Millionen Franken. Auf Platz eins liegt Esmo in Viganello TI: Allein 10,3 Millionen Franken bekam die Gesellschaft für Krebsforschung im Jahr 2017 – 95 von 100 Franken als Spenden und Sponsoring. Esmo ist eine Bank in der Onkologie – sie richtet Kongresse aus, besitzt wissenschaftliche Journale und eine Gefolgschaft von 20'000 Mitgliedern weltweit.

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Aber nicht nur auf Organisationen fokussieren die Pharmafirmen, auch Ärzte werden mit Geldern beglückt. Vorne weg: Rolf Stahel, eine Instanz in der Onkologie und Leiter des Comprehensive Cancer Centers (CCCZ) am Unispital Zürich. Er bekam im Jahr 2017 über 98'900 Franken von Firmen wie Bayer, Roche oder AstraZeneca, deklariert als Honorare. Auch sein Stellvertreter am CCCZ, Michael Weller, wird von der Pharmabranche kräftig unterstützt. Er erhielt über 58'300 Franken. Allgemein zeigt sich: Die Belegschaft des Unispitals Zürich scheint ein interessantes Ziel der Pharmafirmen zu sein. Auch mit 67'100 Franken die Nummer zwei unter den Top-Empfängern, Jan Steffel, arbeitet als stellvertretender Klinikdirektor am Universitären Herzzentrum Zürich.

Klare Regeln für Geld-Annahmen

Ist ihre Unabhängigkeit durch die Gelder der Pharmamultis damit in Gefahr? Viele von ihnen erklären: Die Gelder würden die eigene Forschung und Arbeit nicht beeinflussen, man sei unabhängig und nicht voreingenommen. Rolf Stahel will keine Stellung zu seinem Spitzenplatz auf der Empfängerliste nehmen. Schreibt aber: «Ich habe die geldwerten Leistungen, die ich erhalten habe, freiwillig deklariert.» Die Zusammenarbeit der Ärzteschaft am Unispital sei «klaren Regeln unterworfen».

Solche gibt es auch für die Pharmafirmen selbst. Sie müssen sich an den sogenannten Pharma-Kooperations-Kodex (PKK) des Dachverbands Science Industries halten. Dieser regelt zwar nicht, wie genau die Firmen ihre Transparenz-Reports der Öffentlichkeit zugänglich machen sollen, was einige Unternehmen ausnützen (siehe zweiter Text). Er besagt aber klar und deutlich: Diese Zahlungen dürfen «keinen Anreiz begründen, bestimmte Arzneimittel der Humanmedizin zu empfehlen, zu verschreiben, zu erwerben, zu liefern, zu verkaufen oder zu verabreichen».

Das ist das Recherche-Netzwerk

Sehen Sie selbst, welche geldwerten Leistungen die Pharmaindustrie Ärzten, Spitälern und anderen Institutionen der Gesundheitsbranche zukommen liess: Auf www.pharmagelder.ch machen die Schweizer Medien des Ringier Axel Springer Research Network entsprechende Daten zugänglich und für jeden durchsuchbar. Die Daten stammen von 60 Pharmafirmen, die sie gemäss Pharma-Kooperations-Kodex des Verbands Scienceindustries offengelegt haben.

«Pharmagelder Schweiz» ist ein Projekt des Ringier Axel Springer Research Network. Im Netzwerk arbeiten Journalisten verschiedener Medien bei transnationalen, datengetriebenen oder investigativen Projekten zusammen. Teil davon sind: Beobachter, «Blick»-Gruppe, «Handelszeitung» und «Le Temps» (Schweiz), «Welt» und «Bild» (Deutschland), «Pulse» (Nigeria), «Politico» (Belgien), «Onet» (Polen), «Aktuality.sk» (Slowakei), «Libertatea» (Rumänien), «Blic» (Serbien), «Blikk» (Ungarn), «Business Insider» (Vereinigtes Königreich).

Sehen Sie selbst, welche geldwerten Leistungen die Pharmaindustrie Ärzten, Spitälern und anderen Institutionen der Gesundheitsbranche zukommen liess: Auf www.pharmagelder.ch machen die Schweizer Medien des Ringier Axel Springer Research Network entsprechende Daten zugänglich und für jeden durchsuchbar. Die Daten stammen von 60 Pharmafirmen, die sie gemäss Pharma-Kooperations-Kodex des Verbands Scienceindustries offengelegt haben.

«Pharmagelder Schweiz» ist ein Projekt des Ringier Axel Springer Research Network. Im Netzwerk arbeiten Journalisten verschiedener Medien bei transnationalen, datengetriebenen oder investigativen Projekten zusammen. Teil davon sind: Beobachter, «Blick»-Gruppe, «Handelszeitung» und «Le Temps» (Schweiz), «Welt» und «Bild» (Deutschland), «Pulse» (Nigeria), «Politico» (Belgien), «Onet» (Polen), «Aktuality.sk» (Slowakei), «Libertatea» (Rumänien), «Blic» (Serbien), «Blikk» (Ungarn), «Business Insider» (Vereinigtes Königreich).

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Warum zahlen dann die Firmen, wenn sie ihre eigenen Produkte nicht bewerben dürfen? Von Roche bis Novartis tönt es ähnlich. Es gehe um Wissensaustausch und um Zusammenarbeit mit Ärzten – und das sei «für die Erforschung und Entwicklung neuer Therapien unerlässlich».

Alles also gar kein Problem?

«In diesem Jahrhundert nicht mehr hinnehmbar»

Studien zeigen: Schon kleine Beträge an Ärzte, zum Beispiel in Form eines Nachtessens, haben einen signifikanten Effekt auf die Wahl der Medikamente. Ab Beiträgen von über 5000 US-Dollar stieg die Verschreibung von Originalmedikamenten in den USA gar um 19 Prozentpunkte. Ein junger Arzt aus dem Kanton Zürich beschreibt die Problematik: «Wenn ich die Wahl zwischen zwei wirkungsgleichen Medikamenten unterschiedlicher Hersteller habe, von denen mir einer – in welcher Art auch immer – Geld hat zukommen lassen: Warum soll ich genau das Medikament der Firma verschreiben, von der ich nichts bekam?»

Einer, der es wissen muss, ist Thomas Cerny (66), Präsident Krebsforschung Schweiz. Es könne zu Interessenkonflikten führen, wenn man als Mediziner persönliche Zahlungen von Pharmafirmen annehme. Der ehemalige Chefarzt der Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie am Kantonsspital St. Gallen kritisiert konkret die Top-Empfänger unter den Ärzten. «Dass Mitarbeiter an öffentlichen Spitälern geldwerte Leistungen von Pharmafirmen im insgesamt sechsstelligen oder hohen fünfstelligen Bereich bekommen, wie Herr Stahel, kann ich nicht verteidigen.» Gerade in höheren Positionen habe man ja schon gute Löhne. Cerny: «Solche persönlichen Zahlungen sind für mich generell in diesem Jahrhundert nicht mehr hinnehmbar und rufschädigend.» 

«Unabhängigkeit hochhalten»

Cerny sagt zwar auch, dass es schwierig zu beantworten sei, ob man unbewusst von zahlenden Pharmafirmen abhängig werde, wenn man von ihnen Gelder annehme. Gerade einflussreiche Mediziner mahnt er dennoch zur Sensibilität. Je mehr man Meinungsmacher sei, «desto mehr sollte man die Unabhängigkeit hochhalten mit der nötigen Distanz zur Pharmaindustrie».

Was also stellen die Pharma-Zahlungen mit den Empfängern an? Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

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