Hier sterben die Tiere glücklicher
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Hoftötung wird erlaubt:Hier sterben die Tiere glücklicher

Nils Müller und Claudia Wanger praktizieren die Weidetötung
Hier sterben die Tiere glücklicher

So geht Fleischkonsum klimafreundlich und moralisch vertretbar: durch stressfreie Schlachtung direkt auf dem Hof. Bald ist das in der ganzen Schweiz erlaubt.
Publiziert: 25.02.2020 um 21:58 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2020 um 11:36 Uhr
Nils Müller mit seinen Tieren auf der Weide auf seinem Hof «Zur chalte Hose» in Küsnacht ZH.
Foto: Gabriela Müller
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Silvia Tschui

Fleisch hat einen zunehmend schlechten Ruf: wegen des hohen Getreide- und Wasserverbrauchs, den insbesondere die Rinderzucht aufweist. Aber auch der Stress für die Tiere – bei Rindern etwa durch die Trennung von der Herde und den darauffolgenden Transport zum Schlachthof wie auch den Aufenthalt im Schlachthof selbst – steht schon lange in der Kritik. So dass auch einzelne Bauern sagen: «Da machen wir nicht mehr mit.» Notfalls auch gegen das Gesetz. Denn die Schlachtverordnung schreibt bis heute die Schlachtung im Schlachthof vor.

Jahrelanges Lobbyieren für eine ethische Tötung

Nils Müller (42), der mit seiner Partnerin Claudia Wanger (40) den Hof «Zur chalte Hose» am Küsnachter Berg oberhalb von Zürich betreibt, hat sich gewehrt. Er lobbyiert seit neun Jahren so erfolgreich, dass er 2014 schliesslich eine Sonderbewilligung für ein neues Konzept erhalten hat: die Weidetötung.

Zehn seiner Rinder durfte er zunächst direkt auf seinem Hof töten. In der Folge wurde die Bewilligung verlängert. Seither sterben bei ihm die Tiere komplett stressfrei. «Ich hingegen schlafe in der Nacht vorher schlecht», sagt Müller. Immerhin habe er das Tier aufgezogen, zwei Jahre mit ihm gelebt, das Töten falle ihm nicht leicht.

Keine Sekunde Stress für das getötete Tier

Um das Tier zu töten und schliesslich zu schlachten, kommen ein Veterinär und ein Metzger auf den Hof – Müller muss eine Woche vorher melden, wenn er ein Tier töten und schlachten will. Der Veterinär begutachtet das betroffene Vieh, der Metzger kommt unmittelbar nach der Tötung zum Einsatz.

Eine Hof- und Weidetötung ist Teamwork, bei dem auch Müllers Partnerin Wanger mithilft: Sie lässt die Tiere vom Stall auf die Koppel, von der aus sie dann auf die Wiese gelassen werden. Inzwischen hat Müller auf dem Jägerhochsitz Platz genommen. Er schiesst von dort aus regelmässig in einen Sandsack, wenn die Tiere auf der Koppel stehen – damit sie sich an das Geräusch gewöhnen.

Am Tag der Schlachtung wartet er, bis das ausgewählte Rind ihm den Kopf zuwendet. Dann tötet er es mit einem sauberen Kopfschuss. Das Rind fällt sofort um, war so keinen Moment lang von seiner Herde getrennt und hatte keine einzige Stresssekunde. Das hat einen Einfluss auf die Fleischqualität, denn Stresshormone wirken sich auf den Geschmack aus.

Auch die Herde nimmts gelassen

Und die anderen Tiere? Die sehen doch, wie ihr Gspänli urplötzlich zusammenbricht. «Um das zu beantworten, muss man etwas über die Verhaltensweisen von büffelartigen Tieren wissen, zu denen Kühe ja gehören», sagt Müller. In freier Wildbahn, erklärt er, hielten sich solche Arten stets in der Herde auf, fühlten sich in der Herde also sicher. Wenn ein Krokodil oder ein anderes Raubtier auflauere, packe es plötzlich zu. Dass ein Tier unmittelbar zu Boden geht – ein solches Ereignis ist genetisch in Kühen als «normal» verankert. Das sehe man auch daran, meint Müller, dass seine Tiere zwar kurz aufschreckten, aber nach «spätestens zehn Sekunden» wieder ruhig Heu frässen.

Zerlegt wird im nahen Schlachthaus, verwertet wird selbst

Wanger öffnet das Tor zur Weide, die Kühe und Rinder verlassen die Koppel. Der Metzger und Nils Müller hingegen eilen nach dem Schuss sofort mit einem mobilen Hochlader zum liegenden Tier, ziehen es nach der Betäubungskontrolle hoch. Der Metzger sticht ihm dann die Brustschlagader auf.

Nur drei bis fünf Minuten nach dem Tötungsschuss ist das Tier bereits ganz ausgeblutet. Nun schieben die beiden das Tier direkt zu einem Hygieneanhänger mit einer Bahre. In diesem geht es zum nur zwei Kilometer entfernten Schlachthaus, wo das Tier innert einer halben bis maximal einer Dreiviertelstunde nach dem Schuss ausgenommen ist.

Das so entstehende Fleisch verwerten Müller und Wanger selber. Müller ist nicht nur gelernter Landwirt und patentierter Jäger, sondern hat auch jahrelang in der Spitzengastronomie gearbeitet – in der berühmten Fischerzunft bei der Gastronomie-Legende André Jäger mit 19 Gault-Millau-Punkten. Dieses Wissen setzt er mit Wanger in ihrem gemeinsamen Hofrestaurant um – «Sie ist übrigens die bessere Köchin», sagt Müller. Dort gibt es nach Voranmeldung einmal im Monat ein Festmahl. Den Rest des Fleisches vertreibt das Paar über den Hofladen. Dies trägt den Hof seit nunmehr sechs Jahren.

Gras fressende Kühe erhalten Grasland – ein wichtiger CO2-Speicher

Und was sagt Müller zum Getreide- und Wasserverbrauch? «Wasser hat es in der Schweiz momentan genug. Kühe und Rinder fressen ausschliesslich Gras. Grasland ist ein riesiger CO2-Speicher. Unsere Grasfresser helfen mit, diesen zu erhalten. Wir nehmen wie in der freien Natur nur den Überschuss, den die Herde produziert – es ist also sowohl ökologisch wie auch moralisch vertretbar, die Tiere zu essen.»

Müller plädiert für einen massvollen Konsum von qualitativ bestem Fleisch: «Lieber einmal pro Woche richtig guten Sonntagsbraten, statt ständig billig und mit viel Leid produziertes Fleisch. Damit wäre fürs Klima schon viel getan.»

Den Bund hat er nach seiner jahrelangen Arbeit überzeugt: Noch diesen Mai, sagt Eric Meili vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau, soll die Schlachtverordnung geändert und die Hoftötung offiziell überall dort erlaubt werden, wo die Tierhalter die strengen Auflagen erfüllen.

Die Alternativen zu Fleisch

Forscher arbeiten in diverse Richtungen, um den Fleischkonsum ethischer und ökologischer zu machen oder um Alternativen anzubieten.

Firmen reagieren zögerlich

Ein paar Zellen einer Kuh in eine Nährlösung in einer Petrischale geben, etwas abwarten – und den so «gewachsenen» Burger direkt von der Petrischale in die Bratpfanne schmeissen. Das ist schon seit rund fünf Jahren möglich. Für sehr viel Geld: Umgerechnet 250'000 Franken kostete der Laborburger des Maastrichter In-vitro- und Muskelzellen-Forschers Mark J. Post damals. Seither versprechen diverse Marketingabteilungen diverser Firmen die baldige Markteinführung von laborgezüchtetem Fleisch.

Wie so oft sieht die Realität aber anders aus als das Marketing: Noch ist die Nährlösung, die heute noch fötales Kälberserum enthält – also eine Flüssigkeit aus dem Blut von Kuhföten –, teuer und alles andere als tierfreundlich. Auf Anfragen zum Serum reagieren die Herstellerfirmen zögerlich bis ausweichend. So etwa Aleph Farms, ein israelisches Start-up, in welches unter anderen die Migros investiert hat. Auf Nachfrage ist da nur von der «Forschung» die Rede, welche die Nährlösung pflanzen- und hefebasiert machen soll. In der Zukunft.

Würste, Burger und «Poulet» aus Erbsenprotein

Erfolgreicher sind seit jüngster Zeit vegane Fleischalternativen aus Erbsenprotein. So etwa die Produkte der kalifornischen Firma Beyond Meat. Die veganen Würste und Burger sind in der Migros erhältlich.

Coop hat hingegen ein in der Schweiz entwickeltes Produkt eingeführt: Das Start-up Planted, eine Firma befreundeter junger ETH-Lebensmittelingenieure, hat aus Erbsenprotein einen Fleischersatz entwickelt, der sich wie Poulet zubereiten lässt. Seit rund einer Woche ist das Ersatzpoulet auf Erbsenbasis im Handel. Migros und Coop zeigen sich auf Anfrage «sehr zufrieden mit dem Absatz» der Erbsenprodukte.

Insekten

Insekten sind ein gesundes Lebensmittel – sie bieten Proteine, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Vitamine und Mineralstoffe. Die Herstellung verbraucht zudem viel weniger Futter, Wasser und Platz als Fleisch und hinterlässt so einen viel geringeren ökologischen Fussabdruck.

Coop wie auch Migros bieten Insektenprodukte an, allerdings mögen sie bis jetzt nicht sehr viele Menschen essen. Beide Grossverteiler sagen, der Absatz ihrer Insektenprodukte sei insgesamt «stabil auf tiefem Niveau». Insekten sind also weiterhin ein Nischenprodukt. Eines mit viel Potenzial.

Professor Mark Post zeigt an der Universität Maastricht einen laborgewachsenen Burger. Dieser hier wurde 2016 aus wenigen Muskelzellen entwickelt, die zuvor einer Kuh entnommen worden waren.

Forscher arbeiten in diverse Richtungen, um den Fleischkonsum ethischer und ökologischer zu machen oder um Alternativen anzubieten.

Firmen reagieren zögerlich

Ein paar Zellen einer Kuh in eine Nährlösung in einer Petrischale geben, etwas abwarten – und den so «gewachsenen» Burger direkt von der Petrischale in die Bratpfanne schmeissen. Das ist schon seit rund fünf Jahren möglich. Für sehr viel Geld: Umgerechnet 250'000 Franken kostete der Laborburger des Maastrichter In-vitro- und Muskelzellen-Forschers Mark J. Post damals. Seither versprechen diverse Marketingabteilungen diverser Firmen die baldige Markteinführung von laborgezüchtetem Fleisch.

Wie so oft sieht die Realität aber anders aus als das Marketing: Noch ist die Nährlösung, die heute noch fötales Kälberserum enthält – also eine Flüssigkeit aus dem Blut von Kuhföten –, teuer und alles andere als tierfreundlich. Auf Anfragen zum Serum reagieren die Herstellerfirmen zögerlich bis ausweichend. So etwa Aleph Farms, ein israelisches Start-up, in welches unter anderen die Migros investiert hat. Auf Nachfrage ist da nur von der «Forschung» die Rede, welche die Nährlösung pflanzen- und hefebasiert machen soll. In der Zukunft.

Würste, Burger und «Poulet» aus Erbsenprotein

Erfolgreicher sind seit jüngster Zeit vegane Fleischalternativen aus Erbsenprotein. So etwa die Produkte der kalifornischen Firma Beyond Meat. Die veganen Würste und Burger sind in der Migros erhältlich.

Coop hat hingegen ein in der Schweiz entwickeltes Produkt eingeführt: Das Start-up Planted, eine Firma befreundeter junger ETH-Lebensmittelingenieure, hat aus Erbsenprotein einen Fleischersatz entwickelt, der sich wie Poulet zubereiten lässt. Seit rund einer Woche ist das Ersatzpoulet auf Erbsenbasis im Handel. Migros und Coop zeigen sich auf Anfrage «sehr zufrieden mit dem Absatz» der Erbsenprodukte.

Insekten

Insekten sind ein gesundes Lebensmittel – sie bieten Proteine, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Vitamine und Mineralstoffe. Die Herstellung verbraucht zudem viel weniger Futter, Wasser und Platz als Fleisch und hinterlässt so einen viel geringeren ökologischen Fussabdruck.

Coop wie auch Migros bieten Insektenprodukte an, allerdings mögen sie bis jetzt nicht sehr viele Menschen essen. Beide Grossverteiler sagen, der Absatz ihrer Insektenprodukte sei insgesamt «stabil auf tiefem Niveau». Insekten sind also weiterhin ein Nischenprodukt. Eines mit viel Potenzial.

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