Spitzengastronomie
Eine Arbeit hart am Limit

In den Küchen der Spitzengastronomie brodelt es: Überhöhte Ansprüche, Selbstausbeutung und Tragödien sind vorprogrammiert.
Publiziert: 11.02.2016 um 15:56 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 16:42 Uhr
Michael Merz

Wir standen einst auf dem Restaurant-Parkplatz des Hôtel de Ville in Crissier VD. Sternekoch Philippe Rochat, noch um halb zwölf Uhr nachts in weisser Weste und Schürze, sah müde aus – und ich sagte es ihm auch. «Du hast recht», erwiderte er darauf. «Ich bin am Ende. Ich muss aufhören. Zwei, drei Jahre noch. Mehr geht nicht mehr. Ich habe auch schon einen Nachfolger. Benoît, einer meiner Chefs. Du kennst ihn. Er ist der Richtige. Der schafft das. Besser als ich.» Mittlerweile ist Rochat verstorben (1953–2015), und sein Nachfolger Benoît Violier auch. Er wählte vergangene Woche den Freitod.

Im Jahre 2012 wurde Benoît Violier tatsächlich Besitzer des renommierten Restaurants Hôtel de Ville. Das Haus war zuvor von Fredy Girardet und Philippe Rochat zu höchsten Höhen geführt worden. Violiers Freude an seinem Beruf, seinem Leben war fast körperlich zu spüren. Seine Energie schien unerschöpflich. «Le chef» war bereits früh am Morgen da. Und blieb, gab Order, machte, grüsste. Lächelte bis gegen Mitternacht. Erst wenn die letzten Gäste das Haus verlassen hatten, stieg er die vielen Stufen in die Wohnung im Dachstock des Hauses hoch. War das bedenkenswert? Nein. Spitzenkoch, das ist eben kein Beruf für Normalos. Und schon gar nicht, wenn einer das Ausserordentliche erreichen, in die erlesene Spitzenklasse kommen will. Also in der Küchengeschichte Wegmarken hinterlassen will, statt bloss gut oder besser kochen.

Dafür tun Köche vieles. Manche alles, ganz wenige tun noch etwas mehr. Und zerbrechen dann unter dem riesigen Druck. Andere schliddern in den Alkohol, in harte Drogen, verlieren ihre Fähigkeiten, an der Spitze mitzuhalten, verlieren den Job, ihr Haus, die Familie und damit auch das Leben.

12-Stunden-Tage, kleiner Lohn, Demütigungen: Der Weg zu den Gastrosternen ist für Köche lang und beschwerlich.
Foto: Getty Images
Sein Hôtel de Ville in Crissier wurde zum besten Restaurant der Welt erkoren: Koch Benoît Violier nahm sich am 31. Januar, 44-jährig, das Leben.
Foto: Francesca Palazzi

Vielleicht beginnt alles damit, dass ein Koch nicht besonders gut verdient, für das wenige Geld aber hart arbeiten muss. Selbst gute Köche. Nur der Sprung in die Spitzenklasse bringt ihnen gerechten Lohn. Dieser kann fünfstellig sein. Aber selten. Dafür arbeiten Köche fünf, sechs Wochentage. Zwölf Stunden mindestens – meistens länger.

Koch zu sein, bedeutet: völlige Unterordnung in einer militärischen Hierarchie. Denn ganz oben in der Pyramide der Macht steht nur einer: le chef. Er ordnet an. Er leitet. Alles. Er sagt, was gekocht wird. Wie gekocht wird – und von wem. Und auch wann: Denn ganz grosse Küche entsteht immer im aller­letzten Moment. Vor ihr stehen die besten Produkte und eine perfekte Maschinerie aus Dutzenden von Händen, Nasen, Zungen, Augen.

Damit all die Rädchen surren, muss ein Chef Druck ausüben. Druck, der bis hinunter ins letzte Kettenglied wirkt – ohne dass die Gäste etwas davon wahrnehmen. Um diesen Druck zu erzeugen, schreien, beleidigen, erniedrigen manche Köche ihr Fussvolk. Der grosse Eckart Witzigmann etwa hatte ziemlich raue Umgangsformen, und auch Harald Wohlfahrt, Deutschlands bester Koch, regiert die Brigade der Schwarzwaldstube in Tonbach (D) väterlich streng. Die härteste Tour schlug die französische Küchen­legende Alain Chapel an, und er brauchte dafür nicht mal Worte, wie ihr Meisterschüler Alain Ducasse später schilderte. Chapel soll tagelang der Küche ferngeblieben sein, um plötzlich aufzutauchen. «Dann ging er wortlos zwischen uns durch die Küche, schaute sich um, betrachtete uns und unsere Arbeit nachdenklich mit seinen hellen Augen und ging wieder, ohne ein Wort zu sagen. Und wir wussten: Wir sind Anfänger.»

Michael Merz, kulinarischer Kolumnist der BLICK-Gruppe, kennt die Branche gut.

Im Laufe der Zeit lernt man, solchem Druck standzuhalten. Oder man geht. Oder fliegt. Etwa jeder zweite Lernende wechselt die Lehrstelle oder gibt ganz auf. Köche, die aussteigen, sind Alltag. Und jene, die bleiben, müssen allerlei hinnehmen: die kleinen Löhne, die langen Arbeitstage, das ständige Stehen, die stickige Küche, der raue Umgangston, die kleinen und grösseren Bosheiten in einer oft frustrierten Gruppe. Und sind trotzdem noch weit weg vom Ende der Fahnenstange.

Denn: Viele Köche träumen von der grossen Karriere, vom Eintritt in ein besonders gutes Haus. Einem sternebepunkteten Restaurant. Dafür tun sie alles. Sie arbeiten noch länger, bringen einen noch höheren Einsatz, mehr Kreativität, mehr Präsenz. Und greifen mitunter zu etwas Alkohol, zu einem Nasenstüber weissen Pulvers. Der Druck aber bleibt. Die Weingläser werden öfters gefüllt, die gezogenen Linien häufiger. Bis die Sucht grösser ist als die Arbeitsfähigkeit. Aus!

Es ist ja nicht so, dass nach der Lehre die Karriere beginnt. Wie sagte einst Fredy Girardet: «Ein Koch, der etwas werden will, muss zehn Jahre durch gute und grosse Häuser ziehen.» Zehn Jahre sind aber eine lange Zeit bei derart harter Arbeit, geringem Lohn und punktgenau gezielten Herabsetzungen. Aber: In diesen Wanderjahren werden die Eigenwahrnehmung und die küchentechnischen Fähigkeiten bis zur Vollkommenheit geschliffen. Der Charakter des Kochs entsteht und bringt ihn mit Glück an die schmale Spitze. Wenn er erstens die richtige Position findet und zweitens sich dort behaupten kann. Denn auch «da oben» bleibt der Beruf derselbe: harte Arbeit unter suboptimalen Bedingungen. Die Bezahlung wird besser.

Und die Perspektive? Irgendwann ist das eigene Lokal da und damit die Verschuldung. Rendite muss her, und diese ergibt sich vor allem aus der Ausbeutung seiner selbst und der Partner. Jetzt sind die Tage endlos. Das Familienleben – wenn man denn eines hat – liegt flach.

Die Jagd nach den Sternen fordert nicht nur den Körper, sie frisst auch an der Seele. Und hat man die Punkte endlich, wächst die Angst, sie zu verlieren. Denn damit verliert man auch Kunden, das Publikum besteht ja längst nicht nur aus Kennern. Kochen ist Mode.

Gewiss: Spitzenköche leben in einem Hamsterrad, das nicht sie selbst antreiben, sondern die Öffentlichkeit. Es ist ein Rad, das deshalb nie stillsteht. So rennen sie bis zur Erschöpfung.

Nicht alle sehen die Lage so klar wie der Däne Claus Meyer, der das Spitzenlokal Noma in Kopenhagen erfand und mir vergangenes Jahr vom «overinflated ego», vom übergrossen Ego der Köche erzählte. Kurze Zeit später verkaufte er die Mehrheit am weltberühmten Lokal, Ende 2015 wurde es geschlossen. Meyer lebt mittlerweile in New York und eröffnet dort im Februar ein neues Lokal. Ohne Meisterkoch, dafür mit Personal, das er in den ärmsten Vorstädten der Stadt rekrutiert und ausbildet.

Nicht alle Spitzenköche sind so klug wie Paul Bocuse, der in seinem Restaurant seit Jahr und Tag das Gleiche auftragen lässt, der seit Jahrzehnten nicht mehr selbst kocht, sondern ein Heer von Chefköchen beschäftigt. Ihn lassen niedrige Punktezahlen kalt, weil seit 51 Jahren drei Michelin-Sterne über seinem Lokal strahlen – obwohl der er längst am Rollator durchs Lokal zieht. Sein gesunder Menschenverstand, das Mass dafür, wie viel Kraft und Aufwand man für ein so vergängliches Produkt wie eine Mahlzeit einsetzen darf, ist in der Welt der Hochküche nicht mehr gefragt.

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