Expertin über Alkoholverzicht
«Der Dry January ist ein super Trend»

Nach den Weihnachts- und Silvesterexzessen verzichtet im Januar so mancher auf Alkohol. Warum das eine gute Sache ist, auch wenn man nachher wieder normal trinkt, erklärt Sabin Bührer von der Suchtfachstelle Zürich.
Publiziert: 12.01.2023 um 10:17 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2023 um 18:57 Uhr
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Frau Bührer, spüren Sie die Neujahrsvorsätze? Suchen im Januar mehr Leute bei der Suchtfachstelle Hilfe?
Nicht in signifikantem Masse. Es gibt immer ein paar Menschen, die solche Neujahrsvorsätze haben und dann auch kommen, aber meistens sind es individuelle Auslöser, weshalb jemand Hilfe sucht.

Welche Auslöser sind das?
Etwa wenn der Partner ein Ultimatum stellt und droht, die Beziehung wegen des Alkoholkonsums zu beenden. Oder wenn Freunde, Vorgesetzte oder Arbeitskollegen einen ansprechen. Oft gibt es auch Zwänge, etwa wenn man den Führerschein abgeben musste. Manchmal reicht auch ein Beinahe-Unfall. Manchmal merken aber Menschen selber, dass ihnen nicht mehr wohl ist mit ihrem Konsum, dass dieser ausser Kontrolle ist, und sie kommen deshalb.

Gibt es Frühwarnzeichen, die man beachten sollte?
Es ist manchmal schwierig, diese zu erkennen, weil in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen oder auch Ländern ein unterschiedliches Trinkverhalten und unterschiedliche Mengen als gesellschaftlich akzeptabel gelten. Ein grosses Warnzeichen ist es, wenn der Alkoholkonsum automatisiert ist, man also jeden Abend – egal, ob das jetzt im Ausgang ist oder daheim – automatisch Wein, Bier oder sonstigen Alkohol trinkt und gar keinen aktiven Entscheid für oder gegen den Alkoholkonsum mehr trifft. Dies ist ein sehr gutes Frühwarnzeichen. Ein bereits etwas schwereres ist es, wenn man merkt, dass man Alkohol braucht, etwa um lockerer zu sein und Spass zu haben, negative Gedanken abzustellen oder um einschlafen zu können. Sobald ich Alkohol brauche, um etwas «wegzumachen», ist das ein grosses Alarmzeichen.

Sabin Bührer von der Suchtfachstelle Zürich findet den «Dry January» eine super Sache.
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Und wenn man das ignoriert?
Dann kommt der Moment, da man gar nicht mehr verzichten kann, trinken muss, um den Ausgang «cool» zu finden, einschlafen zu können oder vermeintlich nicht in Depressionen zu verfallen. Und noch etwas später kommen die bekannten Entzugserscheinungen dazu, wenn man doch zu verzichten versucht: Unruhe, Zittern, Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Schweissausbrüche und auf der psychischen Seite Depressionen oder Angstzustände.

Apropos Verzicht: Im Januar verzichten viele ganz auf Alkohol. Nützt das überhaupt etwas, wenn man nachher wie gehabt weitertrinkt?
Absolut! Der «Dry January« ist ein super Trend. Aus drei Gründen: Zum einen bietet dieser trockene Monat die Gelegenheit zu erkennen, ob der Alkoholkonsum noch okay ist. Wenn es einem leichtfällt zu verzichten und man trotzdem schöne Abende verbracht hat, kann man beruhigt sein. Merkt man aber, dass es sehr schwergefallen ist – sei es wegen sich selber oder dem Freundeskreis –, man sich beispielsweise stets rechtfertigen muss, nicht zu trinken, dann ist dies ein deutlicher Warnhinweis. Der zweite Grund ist, dass viele nach einem «Dry January» längerfristig bewusster mit Alkohol umgehen. Und der dritte: Der Körper beginnt sofort mit Aufbau- und Reparaturarbeiten, auch wenn man nur eine Woche lang – oder besser natürlich einen Monat – keinen Alkohol trinkt.

Verzichten heute eigentlich mehr Menschen auf Alkohol als früher?
Es kommt auf das Umfeld an, in dem sie sich bewegen. Einen Peak gibt es bei den 65-Jährigen nach der Pensionierung. Was leider auch zugenommen hat, ist das Rauschtrinken bei Jugendlichen, von 15 bis 19 Jahren, insbesondere auch bei Mädchen. Tatsächlich ist der gesamtgesellschaftliche Alkoholkonsum in der Schweiz aber seit dem Jahr 2000 klar rückläufig.

Das sind gute Neuigkeiten! Was sind die Gründe dafür?
Einige Kreise der Gesellschaft sind gesundheitsbewusster geworden und schauen kritischer darauf, was sie zu sich nehmen. Wenn das gesamtgesellschaftlich dazu führt, dass sich Nicht-Trinker nicht ständig rechtfertigen müssen, ist das eine sehr gute Sache.


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