Sachbücher zum Sterben und vererben
Was nach dem Tod übrig bleibt

Erinnerungsstücke wecken 
Gedanken an ihre toten Vorbesitzer: Gleich drei neue Sachbücher setzen sich mit dem Nachlass und 
seiner Bedeutung auseinander.
Publiziert: 21.11.2018 um 14:29 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2018 um 15:33 Uhr
Im November gedenken Christen traditionellerweise der Toten und besuchen Gräber auf den Friedhöfen …
Foto: Keystone
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Daniel Arnet

Klamm, kalt und kurz sind die Tage im November, kahl sind die Felder und Bäume: Vieles lässt zurzeit ans Sterben denken, weswegen dieser Monat traditionellerweise im Zeichen der Erinnerung an Tote steht – gleich zu Beginn am 1. und 2. die katholischen Gedenktage ­Allerheiligen und Allerseelen, am 11. der Remembrance Day für die Gefallenen der beiden Weltkriege in einigen europäischen Ländern und in einer Woche der protestantische Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt.

Kein Zufall also, widmen sich aktuell gleich mehrere Sachbücher dem Tod. Die interessantesten drei Neuerscheinungen sind «So sterben wir» des Münchner Reporters Roland Schulz (42), «Mein Vater, die Dinge und der Tod» des in Hamburg wirkenden Germanisten Rainer Moritz (60) und «Was bleibt» der Londoner Kuratorin Susannah Walker (51).

Schulz spricht den Leser gleich mit Du an und zeigt ihm klipp und klar auf, wie er dereinst sterben wird, was dabei im Körper vorgeht und danach mit seinen irdischen Überbleibseln passiert. Auf diesen Nachlass richten Moritz und Walker das Augenmerk und erkunden, was die Dinge über die tote Person aussagen. Beim Deutschen sind es die geordneten Erbstücke des Vaters, bei der Engländerin das Chaos, das ihre Mutter hinterliess – sie war ein Messie.

In der Schweiz werden jährlich rund 60 Milliarden vererbt

Wohl wahr, das letzte Hemd hat keine Taschen. Reich gefüllt sind dafür die Taschen, die Tote ihren Nachkommen vererben: Alleine in der Schweiz vermachen die jährlich über 60 000 neu Verstorbenen ein Vermögen von rund 60 Milliarden Franken – mehrheitlich Geld, Wertschriften und Immobilien, aber auch wertvolle Gegenstände wie Uhren, Möbel oder Geschirr.

«Vaters Uhr trage ich jetzt manchmal, eine silberne Omega-Sea­master Automatic», schreibt Rainer Moritz. «Das schwarze Barington-Lederarmband fasert an den Löchern aus, hat Vaters Schweiss aufgenommen.» Eine persönliche Duftnote, die wohl nur direkte Verwandte zu schätzen wissen. Wobei: Riechen dürfte der Schweiss kaum mehr, denn wie mahnt uns Roland Schulz in seinem Buch «So sterben wir»: «Dein Geruch zählt zu den Eindrücken, die am ehesten verfliegen, er ist aber ein extrem machtvoller Anker der Erinnerung.»

Wie stark uns Gerüche frühere Empfindungen ins Gedächtnis rufen können, zeigte zu Beginn des 20. Jahrhunderts der französische Schriftsteller Marcel Proust (1871–1922) in seinem Roman «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit». Darin erinnert sich der Protagonist dank des Duftes einer Madeleine an seine Kindheit. Spätere Forschungen bestätigten: Kein Sinn ist so unmittelbar mit dem Hirn verknüpft wie der des Geruchs.

Dafür lassen sich die Erinnerungskrücken für die anderen Sinne besser für die Nachwelt bewahren, wie Schulz aufzeigt: «Fotos spiegeln dein Gesicht. Filme enthalten deine Art zu lachen, zu gehen, zu schimpfen, zu tanzen. Deine Stimme und einige Dinge, die sie sagte, liegen womöglich auf Anrufbeantwortern oder im Speicher deines Mobiltelefons.»

Über die Dinge Kontakt mit den Dahingegangenen

Tondokumente, Familienfilme und Ferienfotos sind in Nachlässen die monetär bedeutungslosesten Erinnerungsstücke, die gleichzeitig aber den grössten persönlichen Wert haben. «Die Fotoalben gaben mir noch lange zu denken, nachdem ich sie weggelegt hatte», schreibt Susannah Walker.

Umgekehrt verhält es sich mit wertvollen Erbstücken wie etwa Schmuck: Je mehr Geld man dafür kriegt, umso geringer wird der Erinnerungswert, und man ist zum Verkauf bereit. «Unsere Verbindung zu unserer Urgrossmutter mag uns mehr als fünfhundert Pfund wert sein», schreibt Walker, «doch wenn uns fünftausend angeboten werden, ändert sich die Lage vielleicht.»

Den Erinnerungswert sollte man allerdings nicht unterschätzen. Durch die Aufklärung hat zwar «die Welt der Dinge ihre Lebensenergie verloren», wie Kuratorin Walker ausführt, doch «wir leben fast alle inmitten von Gegenständen, die lebendig, beseelt und mit Erinnerungen verwoben sind». Und sie folgert: «Familienerbstücke vermitteln uns das Gefühl, die Toten würden an unserer Seite weiterexistieren.» Oder wie es der Schweizer Schriftsteller Gerhard Meier (1917–2008) im Buch von Rainer Moritz formuliert: «So hat man über die Dinge immer auch Kontakt mit den Dahingegangenen.»

Von diesem Glauben an die Dinge leben auch Auktionshäuser, die ein Kleid viel teurer versteigern, nur weil es einst Marilyn Monroe trug. Roland Schulz kommt so zum Schluss, dass sich die Trauernden im Rückblick wie Kuratoren, ja Direktoren eines gewaltigen Museums fühlen, das einem einzigen Menschen gewidmet ist: der verstorbenen Person.

Rainer Moritz, «Mein Vater, die 
Dinge und der Tod», Kunstmann-Verlag.

Roland Schulz , «So sterben wir – 
unser Ende und was wir darüber wissen sollten», Piper-Verlag.

Susannah ­Walker , «Was bleibt – über die Dinge, die wir zurücklassen», Kein & Aber-Verlag.

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