Silvia Tschui über ihre Nominierung und das Schreiben
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Nominiert für Bachmann-Preis:Silvia Tschui über ihre Nominierung und das Schreiben

SonntagsBlick-Autorin Silvia Tschui ist für den Bachmann-Preis nominiert
Nazis, Freimaurer und Hells Angels

Normalerweise geben wir uns Mühe, objektiv zu sein. Nun ist unsere Kollegin Silvia Tschui für einen der wichtigsten 
Literaturpreise im deutschen Sprachraum nominiert. Hurra!
Publiziert: 13.05.2019 um 11:45 Uhr
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Aktualisiert: 13.05.2019 um 19:29 Uhr
SonntagsBlick-Journalistin Silvia Tschui ist nominiert für den Bachmann-Preis in Klagenfurt.
Foto: Jessica Keller
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Benno Tuchschmid

Manchmal brodelt es in ­Silvia Tschui. Wenn sich eine Redaktionssitzung zähflüssig in die Länge zieht, kann es sein, dass sie sich ungeduldig 
in ihrem Stuhl windet, bis sie es ­irgendwann nicht mehr aushält. Dann platzt es aus ihr heraus: «Ich muss im Fall noch etwas sagen.»

Silvia Tschui muss Dinge sagen. Und dann schreiben. Und weil man den Dingen, die sie sagt und schreibt, anmerkt, dass sie gesagt und geschrieben werden müssen – und zwar mehr als das meiste, was andere glauben, sagen zu müssen –, erfassen einen ihre Texte wie ein Sturm.

Silvia Tschui ist eine sehr gute Journalistin. Aber nicht nur. Silvia Tschui hat Dinge zu sagen und zu schreiben, die den journalistischen Rahmen sprengen. Und zwar so kunstvoll gut, dass sie nun für einen der wichtigsten Literaturpreise der deutschsprachigen Welt nominiert ist: den Ingeborg-Bachmann-Preis im österreichischen Klagenfurt.

Tschui trägt Dinge in sich, die raus müssen

Silvia Tschui kann über alles ­schreiben. Für das SonntagsBlick Magazin zum Beispiel über nervende Piepstöne, Plastikverschmutzung, das Schlachten von Tieren, Sonntagabendkrimis, Schwarze Löcher oder über den Massenmörder von Rupperswil – wofür sie ungefragt auch gleich die Illustrationen aus dem Gerichtssaal liefert. Nebensächliches, Grundsätzliches, Grosses, Kleines. Silvia Tschui trägt Geschichten in sich, die rausmüssen.

Während ich diese Zeilen schreibe, hat sie übrigens angerufen. Sie musste was sagen. Es ging um eine arbeitslose Frau, die gerade beim RAV ist und dort etwas erlebt, über das Silvia Tschui nun schreiben muss. Das alles bedeutet Arbeit. Viel Arbeit. Silvia Tschui ist Mutter von Max (7). Auch das ist, nicht nur, aber eben doch auch: nochmals sehr, sehr viel Arbeit.

Das Leben einer Frau kann ein Tanz auf Messers Schneide sein. Das lernt man, wenn man mit ­Silvia Tschui das Büro teilt und ihr dabei zuschaut, wie sie wie eine Tellerjongleurin Sohn, Job, eigenes ­Schreiben, ihr Leben balanciert. Und das, obwohl alles immer unterschiedlich schnell rotiert. Redaktionsschluss und eine Augenverletzung des Sohnes fallen zusammen, ihr Verlag wechselt gleichzeitig den Verlagsleiter, und ein Sturm fegt den Zaun ihres Gartens um. Silvia Tschui geht hart am Limit; manchmal denkt man, Mist, jetzt gibts ­einen Scherbenhaufen. Aber am Ende drehen immer noch alle Teller auf den Stecken der Lebens­akrobatin Tschui.

Ihr Debütroman spielt in einer düsteren Vergangenheit

2014 erschien ihr erster Roman ­«Jakobs Ross» im renommierten Zürcher Verlag Nagel & Kimche. Es geht darin um die musikbegeisterte Magd Elsie, die in der düsteren Schweiz im 19. Jahrhundert lebt. Mit präziser Recherche hat sich Silvia Tschui die Lebenswelt einer Hausangestellten vor 150 Jahren erarbeitet. Mit kühner Leichtigkeit bedient sie sich einer eigens dafür entwickelten Kunstsprache, die ­irgendwo zwischen Mundart und Hochdeutsch umensürmlet, heepet oder chrächzet. Sprachlich passiert in dem Roman, was in allen Texten von Silvia Tschui passiert: Es brodelt, es zischt, es spritzt und dampft. Wer kalte Nüchternheit sucht, wird bei ihr nie fündig werden.

Als Silvia Tschui ihren ersten ­Roman fertig schrieb, tat sie das in den Pausen, in denen ihr kleiner Sohn nebenan schlief. Als sie 2018 ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub nahm und ihren zweiten Roman schrieb, da war Max gerade in die erste Klasse gekommen. In der neuen Geschichte, die im Frühling 2020 erscheinen wird und «Der Wod» heisst, geht es unter anderem um Nazis, Hells Angels, Freimaurer und Geheimdienste. Etwas Un­aufgeregteres hätte nicht gepasst.

Aus diesem neuen Roman wird 
sie in Klagenfurt lesen. Egal, wie das Resultat des Wettbewerbs ausfallen wird: Für mich ist Silvia Tschui die Hauptfigur einer Heldinnen­geschichte, bei der man sich nach genauem Hinschauen unweigerlich fragt: Wie macht die das bloss alles?

Einfach dass es noch gesagt ist: Bevor sie Journalistin wurde, hat Silvia Tschui in London mit Best­note ihr Grafikdesignstudium abgeschlossen, als Animationsfilmregisseurin in einer hoch angesehenen Produktionsfirma in London gearbeitet, wo die Arbeit interessant und die Bezahlung so schlecht war, dass sie zeitweise aus Geldmangel heimlich im Büro gelebt hat. In ihrer Freizeit schreibt sie auch mal politische Gesangskabaretts, die sie dann an Orten wie dem Theater Neumarkt oder am Mundartfestival Arosa aufführt. Silvia Tschui ist ein Universaltalent.

Eines der letzten intensiveren Gespräche mit ihr drehte sich übrigens um Furzkissen.

Entschuldigen Sie den Übergang, aber es gibt Dinge, die einfach rausmüssen. Bei Silvia Tschui sind es ­Geschichten. Was von unserer Seite jetzt noch rausmuss: Wir sind stolz auf Silvia Tschui, Bachmann-Preis-Nominierte des Jahres 2019. 

Bachmann-Preis: 2015 gewann die Schweizerin Nora-Gomringer

Der Ingeborg-Bachmann-Preis ist eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschen Sprachraum – und mit Sicherheit die spannendste: denn hier wird nicht ein Buch ausgezeichnet, sondern ein Lesevortrag. An drei Tagen wird im österreichischen Klagenfurt vorgelesen, unter dem kritischen Blick einer sagenumwobenen Jury. Seit 1976 spielten die Literaturkritiker immer eine wichtige Rolle in Klagenfurt, manchmal sogar die Hauptrolle. Marcel Reich-Ranicki, Iris Radisch oder Hellmuth Karasek verwandelten die Preisverleihung zuweilen in ein öffentliches Scharf­gericht. Die 25-minütigen Lesungen werden live auf 3sat übertragen. Blutig wurde es 1983, als sich der deutsche Autor Rainald Goetze während seines Vortrags mit ­einer Rasierklinge in die Stirn schnitt und die Lesung blutüberströmt beendete. Die letzte Schweizer Gewinnerin war Nora Gomringer im Jahr 2015. Vierzehn Autoren sind insgesamt pro Jahr für Klagenfurt nominiert.

Der Ingeborg-Bachmann-Preis ist eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschen Sprachraum – und mit Sicherheit die spannendste: denn hier wird nicht ein Buch ausgezeichnet, sondern ein Lesevortrag. An drei Tagen wird im österreichischen Klagenfurt vorgelesen, unter dem kritischen Blick einer sagenumwobenen Jury. Seit 1976 spielten die Literaturkritiker immer eine wichtige Rolle in Klagenfurt, manchmal sogar die Hauptrolle. Marcel Reich-Ranicki, Iris Radisch oder Hellmuth Karasek verwandelten die Preisverleihung zuweilen in ein öffentliches Scharf­gericht. Die 25-minütigen Lesungen werden live auf 3sat übertragen. Blutig wurde es 1983, als sich der deutsche Autor Rainald Goetze während seines Vortrags mit ­einer Rasierklinge in die Stirn schnitt und die Lesung blutüberströmt beendete. Die letzte Schweizer Gewinnerin war Nora Gomringer im Jahr 2015. Vierzehn Autoren sind insgesamt pro Jahr für Klagenfurt nominiert.

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