Mehr ist nicht gleich besser
Wie viel Protein benötigen wir eigentlich?

Für die Muskeln, Knochen und das Bindegewebe sind Eiweiss unabdingbar. Aber Produkte mit extra Protein kosten viel – und sind oft ungesund. Ein Ernährungswissenschaftler erklärt, was die Gründe sind.
Publiziert: 09.05.2024 um 13:50 Uhr
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Aktualisiert: 10.05.2024 um 11:03 Uhr
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Nicole Krättli
Beobachter

Die Protein-Marketing-Teams der Detailhändler haben die letzten Jahre einen brillanten Job geleistet. Protein ist in aller Munde. Wortwörtlich. Durchschnittlich konsumieren Schweizerinnen knapp 70 Gramm Protein pro Tag, Männer fast 100 Gramm täglich. Das ist deutlich mehr als die deutsche, die österreichische und die schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfehlen.

Überraschend ist das nicht. Jahrelang wurde Fett verteufelt, und die Autoren unzähliger Low-Carb-Diäten wollten uns weismachen, dass wir bereits dick werden, wenn wir nur schon Kohlenhydrate riechen – da bleibt nicht mehr viel anderes übrig als Proteine.

Das High-Protein-Signet zieht

Und so geht der Griff im Lebensmittelgeschäft seit einiger Zeit nicht mehr automatisch zu fettarmen, zuckerreduzierten oder laktosefreien Produkten. Nein, er geht zu «High Protein»-Produkten. Egal, ob Protein-Riegel, Protein-Shakes, Protein-Quark, Protein-Joghurt oder Protein-Milchdrinks – das «High Protein»-Signet auf der Verpackung scheint bei den Konsumenten zu ziehen. Die Lebensmittelgeschäfte freuts. Denn ein Preisvergleich zwischen regulären Produkten und jenen mit Proteinzusatz zeigt: Wer extra Eiweiss will, muss dafür tief in die Tasche greifen.

Bei Sportlern sind High-Protein-Produkte besonders beliebt.
Foto: Getty Images/Westend61
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Bei Migros etwa kostet ein regulärer Milchshake Fr. 0.56 pro 100 Milliliter, ein Milchshake derselben Marke mit einem High-Protein-Zusatz hingegen stolze Fr. 0.88. Dasselbe Bild präsentiert sich bei Aldi: Der reguläre Mozzarella kostet Fr. 0.76 pro 100 Gramm, der proteingestärkte Bruder etwa anderthalbmal so viel. Neben dem Kostenaspekt stellt sich aber auch die Frage: Wie gesund sind die High-Protein-Produkte überhaupt?

Um diese Frage zu beantworten, muss man verstehen, was Proteine sind. Proteine, auch bekannt als Eiweiss, gehören neben Kohlenhydraten und Fetten zu den drei Hauptnährstoffen, die der Körper braucht, erklärt Diego Moretti, Professor für Ernährungswissenschaften an der Fernfachhochschule Schweiz. «Proteine sind beteiligt am Aufbau von Muskeln und Knochen, transportieren lebenswichtige Stoffe wie Fett und Sauerstoff, unterstützen die Muskel- und Immunfunktion, reparieren Zellen, fördern die Gesundheit von Nägeln und Haaren und sind wichtig für Bindegewebe und Knorpel.»

Protein hat einen anabolischen Effekt, was dabei hilft, Muskeln aufzubauen.
Foto: Getty Images

Obwohl Eiweiss viele positive Attribute aufweist, bedeutet es keineswegs, dass Proteine besser oder wichtiger sind als Fette und Kohlenhydrate. «Es kommt wie immer bei der Ernährung auf die Balance an», stellt Moretti klar.

Besessen von Protein

Und genau dieses Gleichgewicht ist bei vielen High-Protein-Produkten nicht vorhanden. Denn Pudding bleibt Pudding und Schokoriegel bleibt Schokoriegel – egal, ob Eiweiss hinzugefügt wurde oder nicht. «Viele dieser Produkte enthalten reichlich zugesetzten Zucker oder Süssstoffe. Das High-Protein-Logo ist Augenwischerei», sagt der Ernährungswissenschaftler. Ausserdem finden sich auch viel Fett und Konservierungsmittel in den hochverarbeiteten Produkten. Die Eiweisse werden zudem in aufwendigen Verfahren extrahiert und den Produkten beigesetzt. Fazit: Manche High-Protein-Produkte kosten nicht nur viel, sie sind auch weit davon entfernt, eine natürliche, gesunde Eiweissquelle zu sein.

Besonders fragwürdig ist das, weil die Menschen in der Schweiz – jedenfalls, wenn sie auch tierische Produkte essen – meist ohnehin genügend Protein zu sich nehmen. «Der Mittelwert ist fast doppelt so hoch wie die empfohlenen 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Die Gesellschaft ist besessen von Protein», sagt Forscher Diego Moretti.

Auch das liegt nicht zuletzt an ausgefuchsten Marketingexpertinnen und -experten, die regelmässig propagieren, dass der Konsum von Eiweiss schlank macht. «Es stimmt, dass Eiweissquellen einen höheren Sättigungseffekt als Kohlenhydrate und Fette aufweisen. Trotzdem kommt es letztlich auf die Energiebilanz an. Wer mehr Kalorien zu sich nimmt, als er verbraucht, wird zunehmen – auch mit einer eiweissreichen Ernährung», sagt Moretti.

Erhöhter Eiweissbedarf

Oder anders formuliert: Wer auf dem Sofa liegend High-Protein-Shakes trinkt wie ein Spitzensportler nach einem Marathon, darf sich nicht wundern, wenns zum Schluss doch eher Rettungsringe statt eines Waschbrettbauchs gibt. Protein hat allerdings durchaus einen anabolischen Effekt – Eiweiss hilft also dabei, Muskeln aufzubauen. Entsprechend empfiehlt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) Menschen, die regelmässig Sport treiben, ihre Proteinzufuhr auf rund 1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht zu erhöhen.

Auch älteren Menschen empfiehlt das BLV eine erhöhte Proteinzufuhr, damit es nicht zu einer Mangelernährung kommt. «Wenn der Energiebedarf und das Hungergefühl niedrig sind, ist es wichtig, auf Produkte zu setzen, die einen hohen Anteil an Proteinen haben», sagt Moretti. Eine Auswertung des Bundesamtes zeigt jedoch, dass der Proteinkonsum mit zunehmendem Alter bei Männern wie auch Frauen abnimmt. Das ist gefährlich, denn wenn der Körper zu wenig Protein bekommt, schaltet er auf Notversorgung um und holt sich die fehlenden Bausteine aus der Muskulatur. In der Folge leiden Betroffene häufig unter Müdigkeit, Antriebsschwäche sowie Schmerzen beim Sitzen, weil die Gesässmuskulatur immer schwächer wird.

Natürliches Eiweiss wie beispielsweise Poulet reicht oft aus, um den täglichen Bedarf an Protein zu decken.
Foto: Getty Images

Natürlich ist besser

Dennoch empfiehlt Ernährungswissenschaftler Moretti, so häufig wie möglich auf natürliche Proteinquellen zu setzen – pflanzliche und tierische. Tierische Eiweisse, wie sie in Fleisch, Fisch und Milchprodukten vorkommen, enthalten eine breitere Palette an Aminosäuren: den Bausteinen, aus denen der Körper Protein herstellt.

Deshalb sind sie in ihrer Zusammensetzung den Proteinen im menschlichen Körper ähnlicher und für den Körper leichter verwertbar. Das erhöht ihre biologische Wertigkeit. «Das bedeutet, dass der Körper sie effizienter nutzen und in körpereigenes Protein umwandeln kann», sagt Moretti. Auf der anderen Seite bieten pflanzliche Eiweisse, die in Hülsenfrüchten wie Linsen, Kichererbsen, Bohnen und Lupinen enthalten sind, wichtige Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe, die zur Förderung der allgemeinen Gesundheit beitragen.

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