«Für die Nährwerte von Fleisch muss kein Tier sterben»
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Startup «Planted» will zeigen:«Für die Nährwerte von Fleisch muss kein Tier sterben»

Judith Wemmer vom Fleischersatz-Produkte-Hersteller Planted
«Unsere Produkte können besser sein als tierisches Fleisch»

Das Schweizer Start-up Planted hat soeben 70 Millionen Franken Finanzierung für die Lancierung neuer pflanzlicher «Fleischprodukte» erhalten. Judith Wemmer, Chefin Produktentwicklung, erklärt, warum das nötig ist – und warum die Politik der Realität hinterherhinkt.
Publiziert: 18.09.2022 um 17:11 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2022 um 09:21 Uhr
Interview: Silvia Tschui

Frau Wemmer, essen Sie gern?
Ja! Essen muss lecker sein und Spass machen! Als ich Kind war, hatte gutes, qualitativ hochwertiges Essen in unserem Haushalt einen sehr hohen Stellenwert.

Wie ernähren Sie sich jetzt?
Ich bin seit zwei Jahren Vegetarierin und ernähre mich zu 90 Prozent pflanzlich. Durch meine Arbeit bei Planted habe ich ganz aufgehört, tierisches Fleisch zu essen.

Aus ideologischen Gründen?
Hauptsächlich, weil ich einfach kein Bedürfnis mehr hatte: Unsere Produkte decken meinen Bedarf an Proteinen und Verarbeitungsmöglichkeiten komplett ab.

Judith Wemmer (31), Chefin Produktentwicklung von Planted …
Foto: Philippe Rossier
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Sie sagten vorher «tierisches Fleisch». Aber pflanzliches Fleisch gibt es doch nicht!
Aber unsere Produkte sind wie Fleisch verarbeitbar und sind auch in der Textur, also im Biss, wie auch im Nährwert so wie Fleisch.

In gewissen Kreisen ist heutzutage ständig ein Thema, wie man sich ernährt. In Ihrem Umfeld auch?
Ja natürlich. Nur schon durch meine Arbeit ist dies auch in meinem privaten Umfeld ein ständiges Thema.

Ist Ernährung eine Ersatzreligion geworden?
So würde ich das nicht bezeichnen. Ich denke, die Diskussion darüber ist eine gute, äusserst wichtige Sache. Wir müssen uns als Gesellschaft dringend darüber unterhalten, wie und was wir essen. Allein die Tierwirtschaft ist für 14,5 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen weltweit verantwortlich. Wenn wir unsere Lebensgrundlage erhalten wollen, müssen wir uns anders ernähren.

Aber der Fleischkonsum bleibt konstant …
Der durchschnittliche Schweizer isst 51 Kilo Fleisch pro Jahr. Das ist viel zu viel, nicht nur aus umwelttechnischen, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen. Viele Gefässkrankheiten, aber auch Diabetes oder Krebs könnten vermieden werden durch einen geringeren Fleischkonsum. Aber man könnte sagen: Der hohe Fleischkonsum hat auch politische Gründe.

Inwiefern?
Unsere Politik setzt nicht die richtigen Anreize und subventioniert oft an der falschen Stelle. Die Fleischwirtschaft wird vom Bund direkt geschützt und sogar gefördert. So erhält beispielsweise der Fleischverband Subventionen vom Bund – unter anderem auch für Werbung. Wir haben aber auch aus der Tradition heraus sehr viele Regeln in der Schweizer Landwirtschaft, die den Wandel in Richtung nachhaltigere Landwirtschaft schwierig machen. Ich glaube nicht, dass dies der richtige Ansatz ist, um den Klimawandel zu bekämpfen.

Persönlich

Judith Wemmer (31) ist in Langnau am Albis ZH aufgewachsen und hat an der ETH in Lebensmittelverfahrenstechnik doktoriert. Seit Anfang 2020 ist sie in der Geschäftsleitung des Schweizer Start-ups Planted tätig und wurde 2020 in dieser Funktion im Wirtschaftsmagazin «Forbes» auf die exklusive «30 unter 30»-Liste gesetzt. Ihr erklärtes Ziel ist es, nachhaltige Produkte zu entwickeln, die den Fussabdruck der
Lebensmittelwertschöpfungskette verringern – und dazu noch gut schmecken. Sie liebt die Natur und die Regale von Supermärkten und lebt mit ihrem Mann in Zürich.

Philippe Rossier

Judith Wemmer (31) ist in Langnau am Albis ZH aufgewachsen und hat an der ETH in Lebensmittelverfahrenstechnik doktoriert. Seit Anfang 2020 ist sie in der Geschäftsleitung des Schweizer Start-ups Planted tätig und wurde 2020 in dieser Funktion im Wirtschaftsmagazin «Forbes» auf die exklusive «30 unter 30»-Liste gesetzt. Ihr erklärtes Ziel ist es, nachhaltige Produkte zu entwickeln, die den Fussabdruck der
Lebensmittelwertschöpfungskette verringern – und dazu noch gut schmecken. Sie liebt die Natur und die Regale von Supermärkten und lebt mit ihrem Mann in Zürich.

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Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ja. Schweizer Bauern, die für uns oder generell für die menschliche Ernährung Erbsen anbauen möchten, erhalten bislang keine Subventionen. Wenn sie dies aber für die Tierwirtschaft tun, wenn sie also dieselben Erbsen als Futtermittel anbauen, dann werden sie subventioniert. Das ist der aktuelle Stand.

Wandelt sich das langsam?
Es ist aktuell eine Verordnung in der Vernehmlassung, und eine Änderung wird auf 2023 erwartet. Wenn man sich die politischen Diskussionen darüber ansieht, welche Produkte als «Fleisch» bezeichnet werden dürfen, dann sieht man schon, dass es in der Schweiz eher darum geht, Traditionen zu bewahren, anstatt einen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit anzustossen. Wir nehmen aber die Schweizer Konsumenten und auch Gastronomen als sehr offen wahr. Auf dieser Ebene spüren wir einen starken Bewusstseinswandel.

Sind Sie politisch aktiv?
Über meine Arbeitsstelle. Wir haben gemeinsam mit grossen Fleischherstellern wie Migros, Bell und Kündig einen Verband gegründet, die Swiss Protein Association, den Schweizer Verband für alternative Proteine. Der Verband soll auf politischer und gesellschaftlicher Ebene einen Bewusstseinswandel anstossen. Denn diesen braucht es. Insbesondere die Politik hat einen riesigen Einfluss darauf, wie schnell Regeln und Systeme umgestellt werden können oder eben nicht.

Aber die Verarbeitung von Erbsen oder Bohnen, die vielen Fleischersatzprodukten zugrunde liegt, benötigt auch Energie und Wasser. Beides könnte man sich komplett sparen, wenn man die Erbsen direkt essen würde.
Das ist eine vielschichtige Problemstellung. Zuerst zum Energieverbrauch: Im Vergleich zu tierischem Poulet produziert die Herstellung von «Planted Chicken» 74 Prozent weniger Treibhausgas und benötigt 46 Prozent weniger Wasser. Die Herstellung von Fleisch ist extrem ineffizient: Um ein Kilo Hühnerfleisch herzustellen, braucht man drei Kilo pflanzliche Futtermittel. Beim Rindfleisch ist es noch viel extremer: Dort ist der Faktor eins zu sechzehn. Ausserdem kommt bei den Rindern ein riesiger Wasserverbrauch und der Methangasausstoss dazu. Tierisches Fleisch durch pflanzliches zu ersetzen, reduziert also unseren Ressourcenverbrauch stark. Und die Leute wollen diese Produkte.

Warum? Warum isst man als Vegetarier nicht einfach gesunde pflanzliche Proteine aus Bohnen und Linsen?
Weil Fleisch ein Genussmittel ist und Essgewohnheiten stark kulturell bedingt und nur schwer veränderbar sind. Essen hat einen sozialen und kulturellen Wert: Wer mit Burgern und Pouletgeschnetzeltem aufgewachsen ist, will dieses Erlebnis im Biss nicht missen und sich deshalb, auch wenn er keine Tiere essen will, vielleicht lieber ein pflanzenbasiertes Riz Casimir kochen, wie er es von seiner Mutter kennt, statt Linseneintopf. Ausserdem sind die Nährwerte, was Proteine betrifft, bei Linsen und Bohnen geringer als bei Fleisch. Unsere Produkte sind jedoch genau gleichwertig und haben erst noch Ballaststoffe drin, die für die Verdauung wichtig sind. Und in unseren Produkten sind, anders als im Fleisch, kaum gesättigte Fettsäuren drin.

Hochverarbeitete Lebensmittel gelten aber als sehr ungesund, egal ob es sich um tierisches oder pflanzliches Rohstoffmaterial handelt.
Auch hier ist die Antwort mehrschichtig. Die Verarbeitung von Lebensmitteln ist nicht per se ungesund, auch Brot ist ein verarbeitetes Lebensmittel. Das ursprüngliche, historische Ziel der Verarbeitung von Lebensmitteln war, diese bekömmlicher, gesünder, schmackhafter und haltbarer zu machen. Wir pasteurisieren Milch und stellen Käse daraus her – weil Dinge so haltbarer sind und erst noch gut schmecken. Und Planted benötigt nicht viele Produktionsschritte.

Sie vergleichen industriell hergestelltes Planted mit Brot?
Durchaus. Ich würde Planted-Produkte auch nicht hochprozessiert nennen. Es sind nur sehr wenige Rohstoffe und keinerlei Zusatzstoffe darin.

Was ist denn genau drin?
Erbsen, Wasser, Rapsöl. Genauer: Erbsenfasern und Erbsenproteine. Und wir setzen Vitamin B12 hinzu, weil das nur in tierischen Produkten vorkommt und daher in rein pflanzlicher Ernährung ergänzt werden muss.

Und wie werden diese Erbsen zu Fleischersatz-Geschnetzeltem?
Durch ein Verfahren, das sich Extrusion nennt. Es wird auch zur Herstellung von Spaghetti angewendet und ist sehr einfach: Erbsenmehl, Rapsöl und Wasser wird durch Rotation zweier Schrauben erhitzt und unter Druck gesetzt. Dieser heisse Teig fliesst dann durch eine Düse und wird abgekühlt, wobei sich durch das Fliessen aus den Proteinen und Ballaststoffen eine faserige Struktur bildet, die mit der Muskelstruktur von tierischem Fleisch verglichen werden kann. So können wir Pflanzenmaterial in die Faserstruktur von Fleisch umwandeln. Gleichzeitig wird das Erbsenprotein durch dieses «Kochen» bekömmlicher. Man isst ja auch keine rohen Linsen.

Wollen Sie den Leuten eigentlich das Fleisch verbieten?
Gar nicht. Wir sind da pragmatisch. Wir glauben einfach, dass unsere Produkte besser sein können als tierisches Fleisch. Für die Gesundheit und durch unseren Forschungseinsatz auch im Geschmack.

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