Leise rieselt das Gold
Eine Liebeserklärung an das Aromat

Seit 70 Jahren gibt es Aromat – und ausgerechnet jetzt ist die Streuwürze in den Läden Mangelware. Eine Liebeserklärung an den Schweizer Klassiker.
Publiziert: 31.01.2023 um 08:30 Uhr
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Aktualisiert: 31.01.2023 um 08:36 Uhr
Aromat – die sonnengelbe Büchse mit dem goldenen Pulver kennt jeder, der in der Schweiz aufgewachsen ist. Das hat zwei Gründe:
Foto: zvg
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Silvia Tschui

Schweizer, die im Ausland leben, wünschen sich von Besuch oft Mitbringsel, die sie an ihre Heimat erinnern. Neben Lindt-Schoggi und Emmentaler ist dies oftmals eine unscheinbare Streuwürze, die jeder kennt, der hier aufgewachsen ist: das gute alte Aromat. Derzeit ist es knapp in der Schweiz, unter anderem, weil Migros sich einen Preiskampf mit Hersteller Knorr liefert.

Auf der Aromat-Büchse winkt auf sonniggelbem Grund der rote Knorrli und erinnert uns so an die Ausflugsrestaurants der Kindheit.

Auf ihren Tischen standen in sogenannten «Menagen» die gelben Streudosen – später neben einem anderen Klassiker, der flüssigen Maggiwürze (überfälliger Hinweis für Leser mit deutschem Hintergrund: Die hierzulande korrekte Aussprache lautet «Matschi», mit «tsch», nicht mit Doppel-G. Das musste bitte mal geklärt sein. Danke schön!).

Ein genialer Chef und eine geniale Werbeaktion

Aber wir schweifen ab – zurück zum wahren Geschmack der Heimat: dem viel geliebten Aromat, welches dem Butterbrot, Eintöpfen, Suppen, Tomaten, Eiern mit Mayo und eigentlich allem, was Salz verträgt, mittels eines goldenen Rieselns seinen ganz eigenen, deftigen Pfiff verleiht – und somit über einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verfügt. Denn die zeitgenössischen Konkurrenzprodukte – was auch immer es da alles an Bouillonwürfeln und Flüssigwürzen gibt – färben allesamt die zu würzenden Nahrungsmittel braun. Matschi eben. Im Vergleich dazu wirkt Aromat wie Sonne aus der Büchse.

Vielleicht deshalb verzeiht der Patriot sogar, dass Aromat keineswegs ein rein schweizerisches Produkt, sondern zur Hälfte deutschen Ursprungs ist: Der deutsche Nahrungsmittelproduzent Knorr, ein Familienunternehmen mit Ursprung in Heilbronn, vertreibt die Streuwürze seit 1953 in der Büchse. Wenigstens hat ein Schweizer die Erfolgsformel erfunden. 1945, im Alter von knapp 30 Jahren, tritt Walter Obrist in der Schweizer Produktionsstätte im schaffhausischen Thayngen eine neue Stelle an. Er ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt: Zuvor war er Küchenchef im damals – und noch heute – berühmten Vitznauerhof, einem gehobenen Gastronomieunternehmen am Vierwaldstättersee.

Die Schweizer lieben es grob

Knorr hat dem abgeworbenen jungen Visionär riesige Umsätze zu verdanken: Obrist hat ein Händchen dafür, Kochzeiten industrietauglich zu verkürzen und dabei erst noch den Massengeschmack zu treffen. Unter anderem erfindet er die Päckli-Tomatensuppe neu, aber auch die Knorr-Nudelsuppe mit Huhn. Und eben das Aromat.

1952 ist die bis heute geheime Rezeptur fertiggestellt – nach monatelangen Reisen, um nach Gewürzen, regionalen Geschmacksvorlieben und Kräutern zu recherchieren. Drin sind, ziemlich unverändert seit den 1950er-Jahren, Hefe-Extrakt, Weizenglutamat, Pflanzenfett, Gemüse, Gewürze und Salz. Nähere Angaben gibt es nicht. Nur in der Feinheit unterscheidet sich die Würze: Der Schweizer liebt es grob, der Deutsche mag lieber feineres Geriesel, die goldene Mittelkörnung ist hingegen in Frankreich erfolgreich.

Mit Streuseln zum Massenerfolg

Nach zunächst zögerlichem Absatz in Form von Suppenwürfeln lässt sich Knorr eine geniale Werbestrategie einfallen: 1953 lässt der Nahrungsmittelriese den Tessiner Künstler Hans Tomamichel die Figur des Knorrli erfinden, lanciert die gelbe Streubüchse und verteilt 30 000 Menagen an Schweizer Restaurants. Innert zehn Monaten kennen 80 Prozent der Schweizer die Marke Aromat, die sich im Übrigen bestens in den Zeitgeist der 1950er einfügt; im Haushalt wird automatisiert – Waschmaschinen, Elektroherde, Staubsauger versprechen Zeitersparnis. Da passt Streuwürze (einmal schütteln, sofort Geschmack) prima ins Konzept.

Nur ein Wermutstropfen schmälert in jüngster Zeit die Erfolgsgeschichte: Einer der Hauptbestandteile, der Geschmacksverstärker Glutamat, wird inzwischen von ernährungsbewussten Menschen verteufelt. Überhaupt stehen die Zeichen der Moderne eher auf Slow Food statt auf industriell beschleunigtes Kochen.

Knorr, das im Übrigen mittlerweile zu Unilever gehört und somit noch weniger schweizerisch, sondern vielmehr ein niederländisch-britisches Produkt ist, gibt allerdings auf Nachfrage keine Zahlen zum Absatz bekannt – was wohl darauf hindeutet, dass diese eher rückläufig sind. Stattdessen setzt das Unternehmen auf Alternativen: Glutamat ist in einer Rezeptur durch Hefeflocken ersetzt worden. Auf dass es auch die nächsten vier Generationen noch gern golden rieseln lassen.

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