Frau pflegt 81-Jährige zu Hause
«Ich habe seit sechs Wochen keine sozialen Kontakte mehr»

Dagmar P.* ist Alterspflegerin auf Zeit. Seit dem Lockdown kümmert sie sich um eine 81-jährige Dame. Was das in Zeiten von Corona heisst, erzählt sie im BLICK.
Publiziert: 01.05.2020 um 13:34 Uhr
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Aktualisiert: 04.05.2020 um 20:07 Uhr
Dagmar P. lebt seit sechs Wochen mit einer Seniorin zusammen – zum Schutz ihrer Kundin lebt sie abgeschottet, ohne andere soziale Kontakte.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Moritz Lüchinger

Corona schränkt nicht nur den Bewegungsradius von älteren oder kranken Menschen ein, sondern auch den von deren Betreuenden. Die deutsche Pflegerin Dagmar P.* (54) ist eine von vielen, für die im Moment nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Sie lebt Tür an Tür mit ihrer 81-jährigen Kundin. «Seit sechs Wochen spielt sich mein Leben ausschliesslich zwischen der Wohnung meiner Kundin und meiner eigenen ab», erzählt sie im Skype-Gespräch mit BLICK. «Andere physische Kontakte habe ich im Moment keine.»

Zuvor war das anders: Zwei Pflegende kümmerten sich abwechselnd um die Kundin, Dagmar P. konnte alle zwei Wochen wieder nach Hause in die Nähe von Hamburg (D) fahren.

Gemeinsames Leben

Die Betreuenden sorgen Vollzeit für ihre Kunden, «im Prinzip leben wir mit ihnen», erklärt P. «Wir verbringen den ganzen Tag mit ihnen, mit allem, was dazugehört: Wir lachen und weinen zusammen, gehen spazieren und unterhalten uns.»

Selbstverständlich gehören auch Arztbesuche zum Programm. «Wir sehen uns gern als Ergänzung zur Spitex», erklärt Paul Fritz, CEO von Home Instead, der Institution, bei der auch Dagmar P. angestellt ist. «Wir leisten die Grundpflege, die Behandlungspflege übernimmt die Spitex.»

Tür an Tür mit der Seniorin

Dagmar P. ist eine erfahrene Fachkraft. Vor fünf Jahren hat sie ihren eigenen Pflegedienst in Deutschland verkauft und reist nun im 14-Tages-Rhythmus in die Schweiz, um zwei Wochen ausschliesslich für eine ältere Person da zu sein. Dieses System der sich abwechselnden Pflegenden ermöglicht ihr ein regelmässiges Familienleben zu Hause im Norden Deutschlands, obwohl sie in der 24-Stunden-Betreuung arbeitet.

Corona hat ihre Welt nun aus den Angeln gehoben. Denn die von Dagmar P. betreute Seniorin ist nach mehreren Schlaganfällen auf den Rollstuhl angewiesen und gehört damit zu einer Hochrisikogruppe.

Aus diesem Grund hat P. ihren Einsatz verlängert. Seit fast sechs Wochen lebt sie nun Tür an Tür mit ihrer Kundin. «Sie im Stich zu lassen, war für mich keine Option», sagt Dagmar P. «Für mich war klar, dass ich in dieser Situation länger bleibe.» Sie will damit etwas zurückgeben, denn schliesslich «haben die älteren Menschen uns ja früher auch betreut».

Angenehmes Umfeld ist der Schlüssel

Paul Fritz schätzt diese ausserordentliche Solidarität seiner Mitarbeitenden. «Ich bin beeindruckt, wie viele ihren Dienst verlängern und einsatzbereit bleiben.» Er hat beobachtet, dass besonders in Zeiten von Corona solche Modelle der Pflege zu Hause sehr gefragt sind. Erstaunen tut es ihn allerdings nicht: «Für ältere Menschen ist ein angenehmes Umfeld der Schlüssel dazu, die Isolation ertragen zu können.»

Frau P. wirkt weder überarbeitet noch ausgelaugt. Schalk blitzt in ihren Augen auf, als sie auf die Frage antwortet, was ihr in dieser Zeit helfe, den Kopf nicht zu verlieren. Das sei nun mal ihre Persönlichkeit, meint sie. «Ich habe kölsches Blut in den Adern, bin damit eine Frohnatur und habe eine positive Einstellung.» Und natürlich hat sie häufig telefonischen Kontakt mit ihrer Familie und den Nachbarn zu Hause in Deutschland. Das hilft gegen die Einsamkeit.

«Wir sind auf Unterstützung von Freiwilligen angewiesen»

Ältere Menschen gehören zur Risikogruppe für eine Ansteckung mit dem neuen Coronavirus. Viele von ihnen werden von der Spitex betreut. Wie geht sie mit der Situation um?

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«Wir kommen alle in eine Situation, wo wir Pflege benötigen»

In ein paar Tagen geht ihr Einsatz nach eineinhalb Monaten zu Ende. Sie freut sich auf ihr Zuhause und das Wiedersehen mit den Liebsten. Ein dringendes Anliegen möchte sie aber noch loswerden. Nun, da die Arbeit der Pflegenden in den Augen der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen wird, erhofft sie sich, dass ihr Beruf endlich auch anerkannt würde.

«Die Pflege wird zu schlecht bezahlt», sagt sie. «Applaus ist zwar eine nette Geste, aber davon kann man sich nichts kaufen.» Und die Leute sollen nicht vergessen, dass «wir früher oder später alle in eine Situation kommen, in der wir Pflege benötigen.»

* Name der Redaktion bekannt

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