Der Siegeszug des Rauchens – und der tiefe Fall
Helden im Qualm

Helden mit Zigarette in der Hand, schöne Frauen, die qualmten – Rauchen war vor gar nicht so langer Zeit voll gesellschaftsfähig.
Publiziert: 23.05.2018 um 17:47 Uhr
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Aktualisiert: 26.10.2018 um 19:11 Uhr
Christiane Binder

Rauchen im Flugzeug? Vor 20 Jahren war das fürs Bordpersonal ein Zeichen dafür, dass sich der Passagier wie zu Hause fühlte. Das Rauchverbot galt nur während des Starts und der Landung, die Sitze hatten integrierte Aschenbecher. Swissair verbot den blauen Dunst 1996 auf Europaflügen, ein Jahr später galt das Verbot auf Nordatlantik-Strecken. Am 1. Juni 1998 war endgültig Schluss mit Zigaretten an Bord – vor erst 20 Jahren.

Der Marlboro Man als Ikone

Auch am Boden wurde ungeniert gepafft. In jedem Zug gab es einen Raucherwagen, im Restaurant zündete sich der Gast nach Belieben eine an, die Kneipen waren so verraucht, man hätte Würste an die Decke hängen können. Rauchen – das war mal normal. Nur in der Kirche galt strenges Rauchverbot – oder auf Beerdigungen. Rauchen war cool. Vielleicht auch dank der grossartigsten Werbe-Figur, die es je gegeben hat: dem Marlboro Man. Von 1954 bis 1999 galoppierte er über die Prärie. Ein verwitterter Kerl, Urbild der Männlichkeit, immer eine Kippe im Gesicht – bis heute eine Ikone. Niemand vorher oder nachher hat sich je ästhetischer die Lungen ruiniert.

Anfangs war Europa rauchfrei

Drei Marlboro-Männer-Models, alle auch im echten Leben Cowboys, starben an Lungenkrebs. Der berühmteste unter ihnen, Wayne McLaren, entsandte 1992 in den letzten Zügen vom Sauerstoffzelt aus seine Botschaft an die Welt: «Fangt nicht mit dem Rauchen an.» Eine beispiellose weltweite Gesundheitskampagne hat, vor allem in den USA und Europa, den Menschen das Qualmen ausgetrieben. Heute rauchen selbst in der Schweiz, einer europäischen Raucher-Hochburg, nur noch knapp 25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. In Kanada gerade noch 11 Prozent. Eine Epoche ist zu Ende, als der durch die Lunge gezogene Teer Freiheit und Abenteuer versprach.

Im Film «Snatch» von Guy Ritchie musste Brad Pitt (54) qualmen. Das war 2000 schon degoutant – aber gerade deshalb ein Stilmittel. Pitt rauchte aber auch privat.
Foto: Daniel Smith
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Bis ins 15. Jahrhundert war Europa komplett rauchfrei. Kein einziges Gemälde aus dieser Zeit zeigt einen Menschen mit einer Kippe in der Hand. Erst nachdem 1492 Columbus Amerika und Eingeborene, die «Rauch atmeten», entdeckt hatte, eroberte der Tabak Europa. Nicht zuletzt, weil die Wirtschaft den Tabakhandel als Einnahmequelle entdeckte. Bis um 1900 blieben Zigaretten, Zigarren oder Tabakpfeifen jedoch das Vergnügen der gehobenen Schichten, das Volk hielt sich an den Fusel.

Die Zigarette «danach»

Erst nach und nach demokratisierte sich das Rauchen. Gesundheitsapostel, die es immer gab, sprachen in den Wind. In dem Punkt konnte sich nicht einmal der vegetarisch lebende Tyrann Hitler durchsetzen, der das Rauchen  als «Rache des Roten Mannes» geisselte. Arme und Reiche qualmten ungeniert, Männer wie Frauen, im Büro, im Zug, im Bett – sprichwörtlich wurde die Zigarette «danach» als schönster Moment nach dem Sex bezeichnet.

Noch in den 50er-Jahren galt Rauchen fast als gesund. In Deutschland wähnte man, die Zigarette am Steuer halte wach und den Lenker von Bier und Wein fern. In der Schweiz griffen 1955 schätzungsweise 61 Prozent der Ärzte und 23 der Ärztinnen zur Zigarette.

Extralange Modelle für die Frau

Die boomende Filmindustrie verbreitete das Bild des umnebelten Helden. Alle Haudegen rauchten, Che Guevara genauso wie Humphrey Bogart, Alain Delon oder Steve McQueen, und kluge Köpfe wie die französischen Existenzialisten hüllten sich geheimnisvoll in blauen Dunst. Die Zigarette in der Hand war ein Zeichen für Weltoffenheit und Lebenskunst. Ein Raucher, das war ein Individualist, einer, der seinen eigenen Weg ging. Egal, ob durch die Stadt oder die Wüste. Ein bekennender Nichtraucher mit einem Saftglas in der Hand als Held? Das war unvorstellbar. 

Schnell entdeckte die Zigarettenindustrie auch die Frau. Für sie wurden extralange, schlanke, angeblich elegantere Zigaretten entworfen. Marlene Dietrich war eines der ersten weiblichen rauchenden Film-Idole, verrucht und androgyn. Stars wie Catherine Deneuve praktizierten das Rauchen so selbstverständlich wie die Männer, und selbst die süsse Audrey Hepburn wirkte mit zickig mit Mundspitze gerauchter Zigarette besonders sexy. Das Anti-Bild zum biederen Hausmütterchen – die erwerbstätige, sexuell selbständige emanzipierte Frau – hielt eine Zigarette in der Hand.

So gefährlich ist Rauchen!

Obwohl Rauchen nach wie vor das grösste vermeidbare Gesundheitsrisiko ist, greift fast eine Milliarde Menschen weltweit regelmässig zur Zigarette. Eine aktuelle Studie, für die Wissenschaftler mehrere grosse Datenbanken ausgewertet haben, zeigt nun, dass jeder zehnte Raucher an den Folgen des Tabakkonsums stirbt.

Der Bundesrat will ein schweizweites Zigaretten-Verkaufsverbot für Minderjährige durchsetzen. (Themenbild)
In der Schweiz können rund 15 Prozent der Todesfälle auf das Inhalieren von Tabak zurückgeführt werden.
KEYSTONE/AP/FABIAN BIMMER

Obwohl Rauchen nach wie vor das grösste vermeidbare Gesundheitsrisiko ist, greift fast eine Milliarde Menschen weltweit regelmässig zur Zigarette. Eine aktuelle Studie, für die Wissenschaftler mehrere grosse Datenbanken ausgewertet haben, zeigt nun, dass jeder zehnte Raucher an den Folgen des Tabakkonsums stirbt.

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Ende der Vernebelung

Obwohl bereits 1964 der erste Bericht erschien, der die negativen gesundheitlichen Folgen des Rauchens bekannt machte, wandelte sich die Einstellung zum Rauchen nur langsam. Das Image des «coolen Rauchers» hielt sich bis in die 80er-Jahre. Stars qualmten in Filmen, Politiker nebelten sich in Talkshows ein, Normalbürger pafften sich in der Pause ihren Ärger von der Seele. «Warum denn gleich in die Luft gehen», tröstete das HB-Männchen. Erst mit dem durch das Rauchen bedingten Tod prominenter Raucher wie Humphrey Bogart, der 1957 mit 58 Jahren an Speiseröhrenkrebs starb, trübte sich die Aura des Rauchers. Heute erscheint das alles wie eine Vernebelung der Tatsachen. Eine ferne, verrauchte Halluzination.

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