Desensibilisierung mit Spritzen oder Tabletten
Lohnt sich eine Immun-Therapie gegen Heuschnupfen?

In der Schweiz reagiert fast jeder Fünfte allergisch auf Pollen. Doch die wenigsten entscheiden sich für eine Immuntherapie. Dabei ist die Erfolgsquote hoch, sagt Peter Schmid-Grendelmeier (63), Leiter der Allergiestation des Universitätsspitals Zürich.
Publiziert: 19.06.2024 um 13:35 Uhr
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Aktualisiert: 19.06.2024 um 13:38 Uhr
Jonas Dreyfus

Wann lohnt sich eine Immuntherapie gegen Heuschnupfen?

Ärzte empfehlen die Therapie, wenn sich eine Pollenallergie während zwei Jahren zunehmend verschlimmert. Bei manchen Allergikern läuft die Nase wie ein Wasserfall, sie entwickeln Fieber und sind wochenlang erschöpft. Die Entscheidung, sich behandeln zu lassen, sei stark vom Leidensdruck der Betroffenen abhängig, sagt Peter Schmid-Grendelmeier (62) von der Allergiestation des Universitätsspitals Zürich. «Jeder, der an Symptomen leidet, kann sich einer Immuntherapie unterziehen.»

Wie wirksam ist die Therapie?

In vier von fünf Fällen haben die Behandelten deutlich weniger Beschwerden, müssen keine oder nur noch wenige Medikamente einnehmen oder sind ganz von der Allergie befreit. Schon nach dem ersten Zyklus ist oft eine Besserung zu beobachten. In der Schweiz reagiert gemäss Schmid-Grendelmeier jeder Fünfte allergisch auf Pollen. In diesem Jahr ist die Belastung besonders hoch, weil sich die Baumwelt in einem sogenannten Mastjahr befindet und zum Beispiel die Birke besonders stark blüht. Trotz der hohen Erfolgsquote würden sich verhältnismässig wenige für die Immuntherapie entscheiden, sagt Schmid-Grendelmeier. «In der Schweiz herrscht eine Unterversorgung.» Vielen sei die Behandlung gar kein Begriff, andere würden sich vor dem Aufwand fürchten. «Doch wer sich einmal Zeit dafür nimmt, hat dafür anschliessend ein Leben lang Ruhe.»

Wie läuft die Therapie ab?

Bei der Therapie wird das Immunsystem des Körpers umerzogen, so dass es nicht mehr allergisch auf die Pollen reagiert. Die Behandlung beginnt im Herbst, damit sie vor der Pollensaison im Frühling abgeschlossen ist. Zuerst wird die sogenannte Steigerungsphase absolviert. Der behandelnde Arzt spritzt zwei Monate lang einmal pro Woche eine Allergenlösung in den Oberarm des Patienten. Jedes Mal wird die Konzentration der Lösung ein wenig erhöht, bis die Höchstdosis erreicht ist. Danach beginnt die Erhaltungsphase: Alle vier Wochen erhält der Patient die Höchstdosis erneut verabreicht. Die Erhaltungsphase dauert rund drei Jahre. Im Ganzen erhält der Patient rund 40 Spritzen. Alternativ kann auf die Erhaltungsphase verzichtet werden. Dann ist allerdings über drei Jahre im Herbst die Steigerungsphase mit wöchentlichen Spritzen während zwei Monaten zu absolvieren.

Machen Allergikern in diesem April besonders stark zu schaffen: Die Blüten der Birke.
Foto: imago images / Manngold
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Gibt es keine schnelleren Methoden?

Das Team der Allergiestation am Unispital forscht zurzeit an einer neuen Methode, bei der die Spritze in den Lymphknoten der Leiste verabreicht wird. Dazu braucht es eine Überwachung mit Ultraschall. Die ersten Forschungsergebnisse seien vielversprechend, sagt Schmid-Grendelmeier. Man müsse viel weniger oft spritzen, nämlich nur dreimal. «Wie lange der Effekt anhält, wissen wir allerdings noch nicht.» Die Punktion des Lymphknotens mittels Ultraschall sei einfach und sicher. Das Verfahren ist in der Schweiz noch nicht zugelassen, wird aber etwa in Dänemark bereits eingesetzt.

Geht es auch ohne Spritzen?

Bei Allergien gegen Gräserpollen, Birken und Hausstaubmilben kann der Patient statt einer Spritze Tabletten wählen, die er zu Hause einnimmt. Das kann gemäss Schmid-Grendelmeier zu starkem Juckreiz im Mund führen, ist aber ansonsten vergleichbar mit der Wirkung von Spritzen. Vor allem Kinder und Personen, die viel auf Reisen sind, schätzen diese Methode.

Welche Nebenwirkungen hat die Behandlung mit Spritzen?

Bei der Spritze kann die Haut um die Einstichstelle für ein paar Stunden mehr oder weniger stark anschwellen. Etwa einer von 20 Patienten kann für einige Minuten mit Nesselfieber reagieren – ein Hautausschlag, der mit tablettenförmigen Antihistaminika gut behandelt werden kann. Nebenwirkungen wie ein allergischer Schock sind ausgesprochen selten. Damit im Ernstfall medizinische Hilfe garantiert ist, müssen Patienten nach der Spritze eine halbe Stunde in der Praxis warten, wo Medikamente wie Adrenalin vorhanden sind. Zudem erhält jeder Patient Notfalltabletten zur Behandlung allfälliger leichter Beschwerden, die in seltenen Fällen später auftreten können.

Gegen welche Allergien nützt die Behandlung am besten?

Am wirksamsten ist die Behandlung bei Patienten mit Allergien auf Bienen- und Wespenstiche. Sie machen am häufigsten eine Immuntherapie, da sie bei Stichen sehr gefährdet sind. Hohe Wirksamkeit hat die Therapie auch gegen die Allergien auf Pollen und gegen die Ausscheidungen von Milben. Schwieriger wird es bei Tierhaaren, weil die Nebenwirkungen relativ stark sein können. Bei Lebensmittelallergien sind bis jetzt erst bei Kindern erste Erfolge verzeichnet worden. Kaum wirksam ist die Therapie bei einer Schimmelpilz-Allergie.

Was kostet es?

Eine Immuntherapie kostet zwischen 800 und 1500 Franken pro Jahr. Die Behandlung wird in der Schweiz von der Grundversicherung übernommen, wenn der sogenannte Prick-Test oder ein Labortest die Pollenallergie nachweist. Dazu werden kleine Mengen Allergenlösungen auf die Haut am Unterarm aufgebracht und mit einer Plastiknadel fein hineingeritzt. Bei einer allergischen Reaktion schwillt die Haut für 10 bis 20 Minuten an. Meistens macht man einen Bluttest dazu. Dank ihm sieht der Arzt, auf welchen Bestandteil des Pollens der Patient allergisch reagiert.

Er lehrt Pollen das Fürchten

Peter Schmid-Grendelmeier (62) leitet die Allergiestation des Universitätsspitals im Circle beim Flughafen Zürich. Dort betreut der Professor für Dermatologie und Allergologie Patienten mit Heuschnupfen und anderen Atemwegsallergien. Daneben forscht er mit seinem Team unter anderen zu Mitteln gegen Neurodermitis.

Fiona Piola

Peter Schmid-Grendelmeier (62) leitet die Allergiestation des Universitätsspitals im Circle beim Flughafen Zürich. Dort betreut der Professor für Dermatologie und Allergologie Patienten mit Heuschnupfen und anderen Atemwegsallergien. Daneben forscht er mit seinem Team unter anderen zu Mitteln gegen Neurodermitis.

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