4 Mythen im Faktencheck
Deshalb darfst du dich auch ohne Fieber krankmelden

Im Umgang mit erhöhter Temperatur sind wir oft unbeholfen – egal, ob es uns selbst oder andere betrifft. Vieles, das wir über Fieber zu wissen glauben, ist Humbug. Wer auf Thomas Rosemann hört, wird sich um einiges sicherer sein.
Publiziert: 08.08.2024 um 15:37 Uhr
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Jonas DreyfusService-Team

Eine Fieberdiagnose ist so etwas wie ein Diplom, mit dem man sich vorübergehend offiziell als krank bezeichnen darf. Obwohl wir uns häufig mit unserer Körpertemperatur beschäftigen, ist unser Wissen darüber von Halbweisheiten geprägt. Vieles davon sei «Schmarrn», wie der Experte sagt. 

Behauptung 1: Wer kein Fieber hat, ist nicht krank

Salopp ausgedrückt, sei diese Behauptung schlichtweg «Schmarrn», sagt Thomas Rosemann, Direktor Instituts für Hausarztmedizin der Universität Zürich. Mal abgesehen von Krankheiten wie Krebs, die nicht zwingend mit Fieber einhergehen, könne man sich absolut schlecht fühlen, an Schnupfen, Husten und Halsschmerzen leiden oder an allem zusammen, und dennoch keine erhöhte Körpertemperatur haben. «Es ist völlig legitim, sich in so einem Moment krankzumelden.» Wie schnell jemand mit Fieber reagiert, hänge von der Art des Erregers ab, der den Körper befällt, und von genetischen Faktoren. «Wie ein Mensch auf einen bestimmten Erreger reagiert – das wird ihm durch sein Immunsystem weitgehend in die Wiege gelegt.»

Mann liegt flach. Auch wenn das Thermometer kein Fieber anzeigt, können sich Frauen und Männer sehr schlecht fühlen.
Foto: Shutterstock
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Behauptung 2: Fieber zeugt von einem guten Immunsystem

Auch das kann man gemäss Rosemann so nicht sagen. Das Immunsystem sei ein sehr komplexes System. «Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wenig wir nach wie vor darüber wissen.» Freilich könne Fieber – zum Beispiel als Folge einer Impfung – ein Zeichen dafür sein, dass unser Körper widerstandsfähig sei. «Es gibt aber auch Menschen, die eine gute Immunogenität haben, und ohne starke Beschwerden auf eine Impfung reagieren.» Dass ein gutes Immunsystem mit Fieber und anderen Symptomen einhergeht – dem widerspreche auch die sogenannte Stille Feiung, sagt Rosemann. Bei ihr entsteht im Körper ein Immunschutz, ohne dass sich jemals Symptome gezeigt hätten. Forscher haben das bei Waldarbeitern beobachtet, die regelmässig von Zecken gebissen wurden und nie an Borreliose erkrankten.

Total erkältet zur Arbeit zu erscheinen, mag sich heldenhaft anfühlen, für die Kollegen ist es nervig bis stressig.
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Ein Stabthermometer, wie ihn diese Frau in der Hand hält, ist der verlässlichste und günstigste Fiebermesser.
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Behauptung 3: Nur Fiebermessen im Darm ist verlässlich

Rektales Messen ist nicht die einzige verlässliche Methode, gilt aber als präziseste Art, die Kerntemperatur des Körpers zu messen. Sie wird bis ins fünfte Lebensjahr zur Anwendung empfohlen. Ab dann sollte es den meisten Kindern möglich sein, die Spitze eines Stabthermometers genügend lange bei geschlossenem Mund unter der Zunge ruhen lassen. «Mit dieser Methode kann man nichts falsch machen», sagt Rosemann. Er und sein Team haben die möglichen Techniken für den «Kassensturz» unter die Lupe genommen. «Der Test und meine eigenen Erfahrungen zeigen, dass ein einfacher, günstiger Stabthermometer am besten erfüllt.» Bei anderen Geräten kam es im Test zu grossen Abweichungen. Bei einem Ohrthermometer schwankten die Temperaturangaben zwischen zwei aufeinanderfolgendem Messungen an derselben Person um bis zu 2,6 Grad. Die Genauigkeit von Stirnthermometer mit Infrarot ist wiederum stark von äusserlichen Einflüssen abhängig.

Tipps bei der Anwendung
  • Rektale Messung: Gilt als die präziseste Messung. Tipp: Spitze mit Vaseline bestreichen.
  • Messung im Ohr: Im Ohr muss man – im Vergleich zur rektalen Messung – ein halbes Grad dazuzählen. Zudem muss man aufpassen, dass man das Trommelfell trifft. Nur da gibt es eine genaue Messung. Da das Ohr schief ist, muss man es nach hinten oben ziehen, sonst misst man den Gehörgang. Dort ist dann die gemessene Temperatur zu niedrig.
  • Mundmessung: Bei geschlossenem Mund am Zungengrund, unter der Zunge. Diese Messung kommt der Körperkerntemperatur, um die es eigentlich geht, relativ nah. Der Patient soll kurz vor der Messung nichts trinken oder essen.
  • Messung unter der Achsel: Ist wegen Schweiss und der Gefahr des Verrutschens sehr störanfällig. Die Spitze muss korrekt in der Achselhöhle platziert werden. Hier kann es dazu kommen, dass der Wert relativ weit vom tatsächlichen Körperwert liegt. Bei der Achselmessung sollte man im Vergleich zur rektalen Messung ein Grad dazuzählen.
  • Messung an der Stirn: Unterliegt Einflüssen wie zum Beispiel der Raumtemperatur. Deshalb muss man sich mindestens 30 Minuten in einem Raum aufhalten, bevor die Messung erfolgt und die Gebrauchsanweisung beachten.

    Quelle: Institut für Hausarztmedizin, Universitätsspital Zürich
  • Rektale Messung: Gilt als die präziseste Messung. Tipp: Spitze mit Vaseline bestreichen.
  • Messung im Ohr: Im Ohr muss man – im Vergleich zur rektalen Messung – ein halbes Grad dazuzählen. Zudem muss man aufpassen, dass man das Trommelfell trifft. Nur da gibt es eine genaue Messung. Da das Ohr schief ist, muss man es nach hinten oben ziehen, sonst misst man den Gehörgang. Dort ist dann die gemessene Temperatur zu niedrig.
  • Mundmessung: Bei geschlossenem Mund am Zungengrund, unter der Zunge. Diese Messung kommt der Körperkerntemperatur, um die es eigentlich geht, relativ nah. Der Patient soll kurz vor der Messung nichts trinken oder essen.
  • Messung unter der Achsel: Ist wegen Schweiss und der Gefahr des Verrutschens sehr störanfällig. Die Spitze muss korrekt in der Achselhöhle platziert werden. Hier kann es dazu kommen, dass der Wert relativ weit vom tatsächlichen Körperwert liegt. Bei der Achselmessung sollte man im Vergleich zur rektalen Messung ein Grad dazuzählen.
  • Messung an der Stirn: Unterliegt Einflüssen wie zum Beispiel der Raumtemperatur. Deshalb muss man sich mindestens 30 Minuten in einem Raum aufhalten, bevor die Messung erfolgt und die Gebrauchsanweisung beachten.

    Quelle: Institut für Hausarztmedizin, Universitätsspital Zürich

Behauptung 4: Auf fiebersenkenden Medikamente zu verzichten, ist gesund

Diese Behauptung ist gemäss Rosemann insofern richtig, dass das Immunsystem bei hoher Körpertemperatur besser gegen Erreger funktioniert als bei niedriger. Einige Studien weisen auch darauf hin, dass Personen, die mehrere hochfieberhafte Infekte im Jahr durchmachen, ein etwas niedrigeres Risiko haben, an Tumoren zu erkranken. Das interpretiere man so, dass ein fieberhafter Infekt eine Art Trainingslager für das Immunsystem darstelle. Aus Rosemanns Sicht ist es erst ab einer Körpertemperatur von ca. 39,5 nötig, fiebersenkende Medikamente einzunehmen. Von mässigem Fieber spreche man in den meisten Fällen bei einer Temperatur zwischen 38,1 und 38,5 Grad. «Ich empfehle, sich nicht auf Zahlen zu fixieren, sondern den subjektiven Leidensdruck mit einzubeziehen.» Wer Fieber hat, verliert pro Tag locker zwei bis drei Liter Flüssigkeit, sagt Rosemann. «Sobald ein Kind oder einen Erwachsenen nicht mehr zum Trinken animiert werden kann, sind fiebersenkende Massnahmen unerlässlich.»

Zürcher Spezialist für Hausarztmedizin aus Bayern (D)

Mediziner und Hochschullehrer Thomas Rosemann (55) kam in Oberbayern zur Welt und studierte in München. 2008 wurde er Professor für Hausarztmedizin an der Universität Zürich und Direktor des Instituts für Hausarztmedizin am Universitätsspital Zürich. Den Lehrstuhl für Hausarztmedizin, den Rosemann innehat, war der erste seiner Art in der Schweiz. 2017 wurde auf seine Initiative hin in der Schweiz das Nationale Forschungsprogramm (NFP) des Nationalfonds eingerichtet. 20 Millionen Schweizer Franken wurden für diesen Forschungsbereich zur Verfügung gestellt. Rosemann veröffentlichte mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen.

Mediziner und Hochschullehrer Thomas Rosemann (55) kam in Oberbayern zur Welt und studierte in München. 2008 wurde er Professor für Hausarztmedizin an der Universität Zürich und Direktor des Instituts für Hausarztmedizin am Universitätsspital Zürich. Den Lehrstuhl für Hausarztmedizin, den Rosemann innehat, war der erste seiner Art in der Schweiz. 2017 wurde auf seine Initiative hin in der Schweiz das Nationale Forschungsprogramm (NFP) des Nationalfonds eingerichtet. 20 Millionen Schweizer Franken wurden für diesen Forschungsbereich zur Verfügung gestellt. Rosemann veröffentlichte mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen.

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