Fit oder fett
Glutenfrei ist nicht die (ganze) Lösung

Glutenfreie Produkte sind ein Renner. Doch stimmt die Philosophie, die dahinter steckt? Ein neues Buch weckt Zweifel.
Publiziert: 20.11.2018 um 15:47 Uhr
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Aktualisiert: 02.03.2021 um 17:12 Uhr
Werner Vontobel

Weizen hat seit einigen Jahren einen schlechten Ruf. Bücher wie «Die Weizenwampe», «Dumm wie Brot» oder «The No Grain Diet» belegen, dass Getreide im allgemeinen und Weizenprodukte im besonderen unsere Gesundheit gefährden. Das darin enthaltene Klebereiweiss Gluten ist dafür der wichtigste, aber bei weitem nicht der einzige Grund. Gluten greift die Darmwände an und kann zu schweren Störungen bis hin zur Zöliakie führen und uns das Leben schwer machen. Inzwischen ist daraus weltweit ein 16-Milliarden- Dollar-Markt entstanden. Auch die Grossverteiler haben die Glutenfreiheit auf ihre Fahnen geschrieben.

Nun ist seit wenigen Tagen ein neues Buch auf dem Markt, dessen Titel genau das Gegenteil sagt: «Eat Wheat» (Iss Weizen) – ein wissenschaftlich und klinisch erprobter Weg, Weizen und Milchprodukte in Ihre Diät zurück zu bringen». Autor ist der gelernte Chiropraktiker und Ayurveda-Spezialist Dr. John Douillard. Dass sein Anspruch auf Wissenschaftlich- und Praxistauglichkeit ernst zu nehmen ist, beweist die Tatsache, dass zwei bekannte Anti-Gluten-Autoren sein Buch gelesen und gelobt haben. Dr. Joseph Mercola stimmt mit ihm «zu mindestens 90% überein».

Was ist Gluten?

Gluten heisst auch Klebereiweiss. Es speichert Wasser und macht den Brotteig geschmeidig. Je mehr Kleber, desto leichter lässt sich das Brot backen und formen und desto grösser ist die Ausbeute aus einem Kilo Mehl. Bei der Züchtung neuer Getreidesorten geht es deshalb immer auch darum, den Gluten-Gehalt zu erhöhen. Im Korn selbst hilft der Kleber Kohlestoff und Nitrogen einzulagern. Mit biologischen Weizen ohne  Kunstdünger ist es schwierig, die von den Grossbäckereien geforderten 29 Prozent Glutenanteil zu erreichen.

Es gibt verschiedene Arten von Gluten mit sehr unterschiedlichen Wirkungen auf die menschliche Verdauung. William Davis («Weizenwampe»), der unter Glutenempfindlichkeit leidet, hat Brot aus Weizen gegen Brot aus Dinkel im Selbstversuch getestet. Ergebnis: 100 Gramm Dinkelbrot wurde gut verdaut und erhöhte den Blutzuckerspiegel kaum. Weizenbrot liess ihn drei Tage lang leiden.

Gluten heisst auch Klebereiweiss. Es speichert Wasser und macht den Brotteig geschmeidig. Je mehr Kleber, desto leichter lässt sich das Brot backen und formen und desto grösser ist die Ausbeute aus einem Kilo Mehl. Bei der Züchtung neuer Getreidesorten geht es deshalb immer auch darum, den Gluten-Gehalt zu erhöhen. Im Korn selbst hilft der Kleber Kohlestoff und Nitrogen einzulagern. Mit biologischen Weizen ohne  Kunstdünger ist es schwierig, die von den Grossbäckereien geforderten 29 Prozent Glutenanteil zu erreichen.

Es gibt verschiedene Arten von Gluten mit sehr unterschiedlichen Wirkungen auf die menschliche Verdauung. William Davis («Weizenwampe»), der unter Glutenempfindlichkeit leidet, hat Brot aus Weizen gegen Brot aus Dinkel im Selbstversuch getestet. Ergebnis: 100 Gramm Dinkelbrot wurde gut verdaut und erhöhte den Blutzuckerspiegel kaum. Weizenbrot liess ihn drei Tage lang leiden.

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Immer mehr Menschen reagieren empfindlich bis allergisch auf Gluten.
Foto: Thinkstock

Weizenprodukte können der Gesundheit schaden

Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Douillard bestreitet nicht, dass der Verzehr von Weizenprodukten der Gesundheit schaden kann. Auch er setzt Patienten mit Darmproblem erst einmal einige Wochen lang auf eine glutenfreie Diät. Aber er tut dies nicht, weil der Mensch – wie vor allem in der Paleo-Szene behauptet wird – Getreideprodukte grundsätzlich bzw. genetisch bedingt nicht verträgt. Nach seiner Theorie ist Glutenunverträglichkeit vor allem die Folge eine gestörten Darmflora und einer mangelnden Fettverbrennung. Für einen intakten Darm, sei Weizen – richtig verarbeitet - sogar sehr gesund.

Das hat für die Behandlung weitreichende Folgen: Nach Douillard reicht es nicht, sich glutenfrei zu ernähren. Damit würden zwar die störenden Symptome, nicht aber die Ursache behoben. Zu Douillard kommen deshalb viele Patienten, die sich zwar weitgehend glutenfrei ernähren, von ihren Darmproblemen aber dennoch nicht loskommen.

Körper lernt wieder Fett zu verbrennen

Konkret sieht die Behandlung nach Douillard so aus. Zunächst kommt eine etwa dreiwöchige Diät mit sehr viel Fett und täglich maximal 15 bis 25 Gramm Kohlehydraten. Mehrfach ungesättigte pflanzliche Öle müssen gemieden werden. (Erlaubt sind Butter, Olivenöl, Kokosnussöl etc.) In dieser Phase geht es darum, Entzündungen abzubauen. Zudem lernt der Körper - notgedrungen - wieder Fett zu verbrennen. Die Darmflora verbessert sich in dieser Phase massiv.

Frühstück auslassen

Anschliessend darf man zwar wieder Kohlenhydrate futtern, soll aber immer wieder länger Essenspausen einschalten und so den Körper zur Fettverbrennung zwingen. Douillard empfiehlt abends wenig und am morgen öfter mal nichts zu essen. Artischocken und Bockhornklee regen die für die Fettverdauung wichtige Gallenproduktion an.

Auch das Lymphsystem spielt gemäss der ayurvedischen Medizin bei der Fettverdauung eine wichtige Rolle. Es schwemmt die schlechten Fette aus dem Körper. Sind die Lymphen verstopft, sammelt sich das Fett in den Eingeweiden an. Beeren, grünes Gemüse, Bewegung und Massagen helfen den Lymphen. Seilspringen oder ein Minitrampolin sei besonders hilfreich. Zweitens gilt es, den Darm weiter auch Hochleistung zu trimmen. Zu diesen Zweck würze man reichlich mit Ingwer, Kümmel, Koriander, Fenchel und Kardamon. Man kann sich damit auch Tees zubereiten.

Douillard empfiehlt Vollkorn und Sauerteig

Wenn alles wieder rund läuft, sollte man Weizen und Brot wieder auf den Speisezettel setzen. Allerdings nicht wahllos. Douillard empfiehlt Vollkornprodukte und Sauerteigbrot. Durch die Gärung werden die Gluteneiweisse weitgehend abgebaut, bevor sie den Darm erreichen. Das bisschen Gluten, das bleibt, ist nicht nur unschädlich, sondern nützlich, weil dadurch das Immunsystem gestärkt wird.

In diesem Punkt ritzt Douillard am Kanon der Paleo-Szene. Diese behauptet, dass die Menschheit erst vor 10'000 Jahren angefangen habe, Körner zu essen und dass sich unsere Gene noch immer nicht angepasst haben. Demgegenüber verweist Douillard auf Studien, wonach unsere Vorfahren in Zentralafrika bereits in der Steinzeit etwa 30 bis 40% ihrer Kalorien aus den dort reichlich vorkommenden Weizen- und Gerstenkörnern gewonnen haben. Zwei Stunden hätten genügt, um einen ganzen Tagesbedarf sammeln können. Unsere genetische Ausstattung für die Versauerung von Körnern sei damit mindestens fünf mal so alt, wie die für die Verdauung von Fleisch.

Ursache anderswo suchen

Dieser Punkt ist mehr als ein Expertenstreit. Er hat praktische Bedeutung: Hat die Paleo-Szene recht, dann ist der Weizen Schuld an unseren Zivilisationskrankheiten. Hat Douillard recht, ist die Glutenunverträglichkeit nur ein Symptom, die eigentliche Ursache müssen wir die Ursache anderswo suchen. Für Douillard liegt der entscheidende Unterschied zwischen naturbelassen und raffiniert bzw. hoch verarbeitet. Wer glutenfreie Produkte kauft, sollte also die Liste der Inhaltsstoffe und deren Länge beachten. Mehr als drei sind schon verdächtig.

Fazit: Immer mehr Menschen reagieren empfindlich bis allergisch auf Gluten. Sie hoffen, das Problem mit einer glutenfreien Diät in den Griff zu kriegen. Doch das hilft oft nur kurzfristig. Das eigentliche Problem liegt tiefer – viel tiefer. Hat man es gelöst, sind auch die Gluteneiweisse in einem währschaften Sauerteigbrot kein Problem mehr.

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