Jetzt kommt die digitale Geburtshilfe
«Wir wollen die traditionelle Hebamme nicht ersetzen»

Zwei Geburtshelferinnen beraten junge Mütter via Chat und Video – ein Novum in der Schweiz. SonntagsBlick fragte Expertinnen, ob das funktionieren kann.
Publiziert: 22.10.2023 um 16:09 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2023 um 12:05 Uhr
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Sara BelgeriRedaktorin

Katja Jaun ist verunsichert. Der Kinderarzt hat ihr geraten, ihrer viereinhalb Monate alten Tochter Beikost zu geben. «Ich glaube, es ist noch zu früh», sagt sie und streichelt ihr Baby, das im Tragetuch schläft. «Was soll ich tun?», fragt sie in ihr Handy, das sie vor sich aufgestellt hat. 

Die von der jungen Mutter gebuchte Stillberatung findet virtuell statt. Zwei Hebammen, Luzia Weidmann (27) und Nadia Bronzini (28), sitzen zu Hause vor dem Bildschirm ihres Laptops und geben 40 Minuten lang Tipps.
«Unser Motto lautet: Von Sofa zu Sofa», erklärt Weidmann. Gemeinsam mit Bronzini hat sie das Unternehmen Vida gegründet, das ausschliesslich auf digitale Beratung setzt. Sie bieten also keine Hausbesuche an, sondern Kurse, Webinare und einen 12-Stunden-Chat-Support für Eltern via Internet – über einen datenschutzkonformen Messenger.

Neu in der Scheweiz

Das Angebot ist in der Schweiz ein Novum: Die Geburtshelferinnen sind die ersten ausschliesslich digital beratenden Hebammen der Schweiz.

Die Hebammen Nadia Bronzini (l.) und Luzia Weidmann haben zusammen das Start-up Vida gegründet.
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Die Idee kam den beiden zu Zeiten der Corona-Lockdowns. «Da ist die Nachfrage nach digitalen Angeboten extrem gestiegen», sagt Bronzini. Tatsächlich ist das Phänomen in der Schweiz relativ neu. Den Anfang hatte die Hirslanden Gruppe gemacht, die letztes Jahr Live-Chats mit Hebammen auf einer Gesundheits-App einführte. In Deutschland und Österreich gibt es solche Online-Angebote bereits seit Jahren.

Susanne Grylka, Leiterin der Forschung am Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW kann die Vorteile und Grenzen der virtuellen Betreuung besser einschätzen als viele andere: Zusammen mit anderen Forschenden hat sie in einer Studie untersucht, wie Hebammen und Ergotherapeutinnen in der Pandemie auf Distanz arbeiteten.

Vor allem der wegfallende Arbeitsweg und die reduzierte Arbeitsbelastung wurde von den Hebammen positiv bewertet. «Aber ein grosser Nachteil ist natürlich, dass man nichts anfassen oder spüren kann», sagt Grylka.

Kein Ersatz

Wohl auch deshalb bewertete mehr als die Hälfte der befragten Hebammen die virtuelle Arbeit während des Lockdowns negativ. «Deshalb denke ich nicht, dass zukünftig nur online betreut werden wird», so Grylka, betont aber: «Die digitale Beratung kann eine sehr sinnvolle Ergänzung zur Betreuung vor Ort sein.»

Auch Weidmann und Bronzini betrachten ihr Angebot als Ergänzung. «Wir wollen die traditionelle Hebamme nicht ersetzen», sagt letztere. Beiden glauben aber, dass sie mit ihrem Angebot eine Lücke füllen. «Wir können etwa Randzeiten abdecken oder Familien erreichen, die im Ausland sind und auch solche, die sich von zu Hause aus beraten lassen wollen.» 

Ein wichtiger Vorteil sei die Entlastung des Gesundheitssystems: «Je nachdem können wir Leute auffangen, die sonst auf den Notfall gehen würden», sagt Weidmann. Doch die Grenzen der Online-Beratung sind ihnen bewusst: «Wir werden Leute auch grosszügig weiterverweisen», so Weidmann.

Nachfrage vorhanden

Barbara Stocker kennt die Bedürfnisse der Hebammen und der werdenden Eltern als Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbands. Sie sagt: «Wir haben immer wieder Mitglieder, die nach Online-Angeboten fragen.» 

Stocker kann sich gut vorstellen, dass das Angebot für junge Menschen geeignet ist, aber auch für Eltern, die keine Hebamme finden. Sie macht aber eine Einschränkung: «Ein grosser Teil der Hebammenarbeit ist auch Beziehungsarbeit.» Zudem könne man vor Ort die Umgebung und die Familiendynamik besser einschätzen: «Das fehlt, wenn die Beratung virtuell stattfindet.» Für einige Themen in der Stillberatung, wo es vor allem darum gehe, zahlreiche Fragen zu beantworten, findet Stocker die digitale Beratung aber durchaus geeignet.

Viele Fragen bei der virtuellen Stillberatung hat auch Katja Jaun. Weidmann hört aufmerksam zu und nickt immer wieder. «Hast du das Gefühl, sie hat Interesse am Essen?», fragt sie. Jaun beschreibt, dass ihre Tochter manchmal ein Stück Brot zum Mund führe, aber nicht isst: «Ich glaube, die Muttermilch reicht.» Weidmann meint, das klinge nach einem Zungenstossreflex. «Dein Gefühl ist wahrscheinlich richtig, du wirst merken, wenn sie anfangen will zu essen.»

In der Zwischenzeit ist Katja Jauns Tochter aufgewacht. Jaun macht sich ans Stillen. «Wie fühlst du dich?», fragt Weidmann am Ende der Beratung. «Sehr erleichtert», erwidert Jaun. Sie wird erstmal weiter stillen, bevor sie es mit fester Nahrung probiert.

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