Beate Absalon über den Druck, ein grossartiges Sexleben zu haben
«Wir sollten zulassen, am Sex zu scheitern»

Wir nehmen Sex zu wichtig, sagt Kulturwissenschaftlerin und Autorin Beate Absalon. Es ist auch okay, keine Lust zu haben – oder sexuell gar nicht aktiv zu sein. Ein Gespräch über den Stellenwert von Sex und das stete Vergleichen im Bett.
Publiziert: 07.07.2024 um 18:05 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2024 um 11:36 Uhr
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Alexandra FitzCo-Ressortleiterin Gesellschaft

Sie schreiben: «Der Sex kann einem leidtun.» Warum?
Beate Absalon: Sex könnte einfach nur das sein: Lass uns einander hier berühren oder diese Worte sagen – fühlt sich interessant an –, lass uns weitermachen. Stattdessen wird Sex mit Bedeutung überladen. Das erzeugt Druck. Es zählt nicht, was man will, sondern ob man ungeschriebene Sex-Gesetze einhält.

Sex-Gesetze?
Du musst normalen Sex haben – du musst also überhaupt Sex haben. Und zwar nicht zu selten, aber auch nicht zu häufig. Der Sex sollte nicht nur normal, sondern auch grossartig sein. Aber bloss nicht pervers!

Was sollten wir stattdessen tun?
Das Problem ist das ständige «Du sollst». Wie wäre es, wenn wir damit aufhören, wenn wir weniger tun und mehr lassen? Und zulassen, am Sex zu scheitern, statt ihn verkrampft meistern und beherrschen zu wollen.

Bereits im Studium hat sich Beate Absalon mit sexuellen Themen beschäftigt.
Foto: Maria Leibnitz
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Besser wäre also schlechter Sex?
Es geht darum, aufzuhören, ein bestimmtes Ergebnis erreichen zu wollen. Sonst gehen wir keine Beziehung mehr zum anderen ein, sondern schauen nur, welche Vorteile wir für uns rausziehen können. Sex wird dann warenförmig verwertet.

Wir haben Sex, um einen Zweck zu erfüllen?
Ja, im Aufklärungsunterricht geht es um Fortpflanzungszwecke. Filme stellen Sex als etwas dar, was die Partnerschaft zusammenhält. Ratgeber attestieren, man müsse sexuell aktiv sein.

Ihrer Meinung nach wird Sex überbewertet.
Wir sollten ihn entdramatisieren. Und offen über Lust und über Lustlosigkeit sprechen. Und zwar so, dass die Unlust nicht gleich behoben werden muss, sondern als eine spannende Qualität neugierig erlebt werden darf.

Seit wann haben wir dieses Bild von Sex?
Unser lust- und konsumorientierter Umgang mit Sex lässt sich auf die Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zurückführen. Die Gesellschaft wurde zunehmend ausgerichtet auf einen möglichst rationalen, produktiven und leistungsstarken Umgang mit Körpern und Gefühlen. Dabei kam der Ehe eine besondere Rolle zu, um Rausch und Ekstase möglichst vernünftig auszuleben. Eheleuten wurde nicht mehr nur vorgeschrieben, Kinder zu zeugen, sondern sich sexuell zu verwirklichen. In dieser Zeit wurde auch die Sexualwissenschaft begründet.

Sie geben auch Workshops zu sexuellen Spielformen. Das geht doch auch in die Richtung: Wie habe ich besseren Sex?
Ich verspreche keinen Outcome. Es geht nicht um ein 10-Punkte-Programm, folge diesen zehn Schritten, und dann wirst du den Orgasmus deines Lebens oder dir zu Füssen liegende Lover haben. 

Um was geht es dann?
Es geht weniger um das Erlernen toller Tricks und sportlicher Stellungen, sondern mehr ums Verlernen vom Ballast, der auf unserem Sex und unseren Körpern lastet. Es geht darum, die Grundbausteine des Sexuellen zu erforschen, die gar nicht sexualisiert sein müssen, weil es am Ende um Körper geht: um Haut, Nervenzellen, Atem, Bewegung und eine Vielfalt an Gefühlen, von Erregung bis Langeweile. 

Welche gesellschaftlichen Veränderungen wären Ihrer Meinung nach notwendig, um eine entspanntere Sicht auf Sexualität zu fördern?
Das ist ein Mammut-Projekt. Zum Beispiel braucht es Bildung, die uns beibringt, offen darüber zu sprechen, was wir vom und beim Sex möchten und was nicht. Die wichtigste Zutat ist, Nein sagen zu können. Auch ein radikales Nein. Es ist okay, keinen Sex zu wollen, auch für immer und auch in einer Partnerschaft.

Wenn man von Sex spricht, erzählt man entweder von «Pannen» oder vom «grossartigsten Sex, den man je hatte», aber selten von Sex, wie er wirklich ist.
Das stimmt. Ich verwende in meinem Buch dafür den soziologischen Begriff der «Spassmoral». Man fühlt sich schuldig, wenn man meint, nicht genug Spass zu haben. Das hat auch etwas Narzisstisches, wenn man meint, es müsse immer etwas Besonderes erlebt werden.

Beim Sex wird auch immer verglichen. Eine Frau erzählte mir einmal, dass sie jeden Tag mit ihrem Partner schläft. Das irritiert mich bis heute.
Das Vergleichen löst dann Stress aus, wenn wir denken: «Ich muss mithalten.» Man könnte aber auch anders rangehen und durch die Vergleiche eher den Horizont erweitern. «Ah spannend, du machst das so und ich so, aber vielleicht probiere ich das auch mal, aber wenn es mir nicht passt, dann nicht.» Sex muss nicht für alle gleich sein. Für einige Menschen ist Sex auch einfach nicht der Rede wert. Und von ihnen ist viel zu lernen. 

Was konkret?
Wir sollten Unlust und Asexualität oder sexuelle Pausen als Möglichkeit und nicht als Problem behandeln, auch viele Sexualtherapeutinnen und -therapeuten sehen das mittlerweile so. 

Wobei, wenn ein Paar keinen Sex mehr hat, geht es meist in eine Paartherapie oder trennt sich.
Das Problem ist doch, was ein Partner, eine Partnerin für uns alles gleichzeitig sein muss. Man soll zusammen den Haushalt schmeissen, Kinder grossziehen, für finanzielle Sicherheit sorgen, die Freizeit gestalten und dann noch regelmässig und bis ans Lebensende leidenschaftlichen Sex haben.

Ist das ein Plädoyer für offene Beziehungen?
Eher eines für Beziehungsanarchie, die uns lehrt, sich in der Gestaltung unserer Beziehungen weniger an gesellschaftlichen Vorgaben zu orientieren, sondern selber zu entscheiden, was unsere Beziehung jeweils ausmacht. 

Warum haben Sie das Buch geschrieben?
Ich wollte ein Buch schreiben, das ich selber gerne gelesen hätte. Weil sich so viel um Sex kreist, hatte ich immer den Eindruck, ich müsse sexuell aktiv sein, ganz egal, was das mit mir zu tun hat. Ich hatte viele Phasen in meinem Leben, in denen Sex einfach keine wichtige Rolle gespielt hat, aber mir schien, dass ich darüber nicht reden kann, ohne auf Mitleid oder Verwirrung zu treffen, auch wenn es mir in der Zeit an nichts gefehlt hat. Selbst in meinen queer-feministischen Kreisen fühlte ich mich damit einsam, weil sexuelles Empowerment als so ein wichtiges Mittel gilt, das Patriarchat zu bekämpfen.

Sie fordern Ihre Leserinnen und Leser dazu auf, sich zu fragen: Was ist Sex für mich? Warum will ich Sex haben?
Ja. Aber das ist herausfordernd. Man wird es nicht endgültig beantworten können. Aber fragen Sie sich: Warum habe ich Sex und ist Sex zum Befriedigen dieser Bedürfnisse eigentlich das beste Mittel? Sie können auch drei Monate auf Sex verzichten. Ein freiwilliges Zölibat sozusagen. Und Tagebuch führen. Was fehlt Ihnen? Und was ermöglicht der Verzicht aber auch? Und tauschen Sie sich dazu mit Menschen aus, die Sie nicht auf die «richtige Bahn» lenken wollen.

Sie will den Sex «entstressen»

Als Kulturwissenschaftlerin arbeitet Beate Absalon (35) zu zeitgenössischer Sexualkultur. Im Kollektiv «luhmen d'arc» organisiert und leitet sie Workshops um Themen zu kreativer Sexualität und Körperarbeit. Sie lebt in Berlin und ist mit dem gleichen Partner zusammen, seit sie 19 ist. Die beiden sind verheiratet. Absalon ist polyamor und denkt Liebe und Beziehung nicht exklusiv. Gerade erschien ihr erstes Buch «Not Giving a Fuck. Von lustlosem Sex & sexloser Lust».

Am 9. Juli hat sie eine Lesung in Zürich im «Gleis», Infos unter www.luhmendarc.com

Als Kulturwissenschaftlerin arbeitet Beate Absalon (35) zu zeitgenössischer Sexualkultur. Im Kollektiv «luhmen d'arc» organisiert und leitet sie Workshops um Themen zu kreativer Sexualität und Körperarbeit. Sie lebt in Berlin und ist mit dem gleichen Partner zusammen, seit sie 19 ist. Die beiden sind verheiratet. Absalon ist polyamor und denkt Liebe und Beziehung nicht exklusiv. Gerade erschien ihr erstes Buch «Not Giving a Fuck. Von lustlosem Sex & sexloser Lust».

Am 9. Juli hat sie eine Lesung in Zürich im «Gleis», Infos unter www.luhmendarc.com

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