Ruhe bitte!
Wie du dafür sorgst, dass Lärm dich nicht krank macht

Wenn eine hohe Anzahl Dezibel regelmässig auf unser Gehör trifft, kann das Depressionen auslösen. Sogar die Sterblichkeit von Betroffenen kann zunehmen. Bewusst Stille zu suchen hilft, auch wenn das anfangs unruhig machen kann.
Publiziert: 24.09.2023 um 19:56 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 07:55 Uhr
Anna Gielas
Beobachter

In der Schweiz sind rund eine Million Menschen Tag und Nacht Lärm ausgesetzt. Und der schadet der Gesundheit – weil laute Geräusche seit Urzeiten Gefahr bedeuten. Der Körper macht sich bereit zu flüchten oder zu kämpfen: Der Blutdruck steigt, die Muskeln spannen sich an, Stresshormone werden ausgeschüttet, die in Kreislauf- und Stoffwechselvorgänge eingreifen. Wenn man dem Lärm langfristig ausgesetzt ist, können die anhaltenden körperlichen Reaktionen zu Angstzuständen und Depressionen führen.

Eine Schweizer Studie von 2022 zeigt: Das Risiko, an einer Herz- oder Gefässkrankheit zu sterben, wächst parallel zur chronischen Belastung durch Verkehrslärm. Die Gefahr steigt um ein bis vier Prozent für jede zehn Dezibel Lärm. Dieser Effekt beginnt schon deutlich unterhalb des von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgelegten Richtwerts von 52 Dezibel. Für Strassen- und Eisenbahnlärm nimmt die Sterblichkeit bereits ab 35 beziehungsweise 30 Dezibel zu. Im Zürcher Strassenverkehr wurden wiederholt bis zu 99 Dezibel gemessen.

Mit zunehmender Lärmbelastung steigt das Stressempfinden beim Menschen. Ein startendes Flugzeug, wie hier über Glattbrugg ZH, kann bis zu 140 Dezibel laut sein.
Foto: Keystone

Britische Forschende beobachteten wiederum einen Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und Fettleibigkeit. Und nicht zu vergessen: Auch das Gehör kann Schaden nehmen.

Im Zürcher Strassenverkehr wurden wiederholt bis zu 99 Dezibel gemessen. Das kann bei Menschen, die an befahrenen Strassen wohnen, extremen Stress auslösen.
Foto: Shutterstock

Stille als Gegenmittel

Das Gegenmittel ist schnell gefunden: Stille. In angenehmen Mengen beschert sie uns Glücksgefühle, weil Serotonin, Endorphine und andere Botenstoffe ausgeschüttet werden. Dabei kommt es nicht auf die Dauer der stillen Phase, sondern auf ihre Qualität an. Das entdeckte unter anderem der italienische Wissenschaftler Luciano Bernardi – und zwar zufällig. Er machte eine Studie über die Wirkung von Musik.

Dabei bemerkte er, dass sich die Freiwilligen während der rund zwei Minuten Stille zwischen den Stücken weit mehr entspannten als während der sanften Musikklänge. Dabei sanken unter anderem der Blutdruck und der Puls – die kurze Geräuschlosigkeit tat dem Herzen gut.

Zum gleichen Schluss kommt der deutsche Umweltpsychologe Rainer Guski: «Wahrscheinlich ist es gesundheitsfördernd, wenn man sich regelmässig in einen ruhigen Raum zurückzieht – sei es nur eine Stunde pro Woche». Wichtig sei, dass man den Ort ohne viel Aufwand erreichen kann: «Wenn wir irgendwo hinfahren müssen, um Ruhe zu geniessen, kann allein die Rückfahrt den inneren Frieden zunichtemachen».

Floating kann bedingt helfen

Wer es exotischer angehen will, kann Floating ausprobieren. Ein bis zwei Stunden pro Woche bauen bei einem gesunden Menschen nicht nur Stress ab, sondern verbessern den Schlaf und können sogar Schmerzen lindern. Das legen amerikanische und europäische Studien nahe. Muskeln, Gelenke und Sehnen werden entlastet und entspannt, das Nervensystem kommt zur Ruhe.

Den Kopf ins Wasser tauchen, die Umgebungsgeräusche ausblenden. Floating hat sich in den letzten Jahren als therapeutische Massnahme etabliert.

Allerdings tut Floating nicht allen gut. Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung, niedrigem Blutdruck und Epilepsie sollten mögliche Risiken vorab mit der Hausärztin abklären. Und: Komplette Stille kann auch verstören. Nach einigen Momenten hört man nur noch das eigene Blut in den Ohren rauschen. «Das treibt einige gleich wieder zurück in gewohnte Geräuschkulissen», sagt Umweltpsychologe Guski.

Wir brauchen Ruhephasen

Forschende unterscheiden deshalb zwischen Stille und Ruhe: Stille ist die Abwesenheit nahezu aller Geräusche – und Ruhe ist die Abwesenheit störender Geräusche. «Meines Erachtens brauchen wir nicht unbedingt Stille, wohl aber Ruhephasen», erklärt Guski.

Solche Ruhephasen kann man durch Meditieren einschalten. Zahlreiche Studien belegen, dass durch Meditation sowohl der Blutdruck als auch der Puls sinken, weniger Stresshormone ausgeschüttet und Entzündungsprozesse gemindert werden, die unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen können. Besonders Stillemeditation bietet sich an: Sie läuft ohne Sprechen und Hintergrundmusik ab, der Meditierende wird nicht angeleitet.

Ruhe und Stille – jeden Tag ein bisschen
  • Suchen Sie jeden Tag bewusst Momente der Stille – schon ein paar Minuten machen einen Unterschied.
  • Wann sind Sie unwillkommenen Geräuschen ausgesetzt? Können Sie diese vermeiden?
  • Verzichten Sie auf unnötige Geräusche, etwa den laufenden Fernseher beim Abendessen. Versuchen Sie alltägliche Situationen, in denen sonst immer Hintergrundgeräusche herrschen, in Stille zu erleben.
  • Aber wenn es nicht angenehm ist: Zwingen Sie sich nicht, Stille zu geniessen. Versuchen Sie es an einem anderen Tag oder probieren Sie eine andere Situation der Stille aus.
  • Suchen Sie jeden Tag bewusst Momente der Stille – schon ein paar Minuten machen einen Unterschied.
  • Wann sind Sie unwillkommenen Geräuschen ausgesetzt? Können Sie diese vermeiden?
  • Verzichten Sie auf unnötige Geräusche, etwa den laufenden Fernseher beim Abendessen. Versuchen Sie alltägliche Situationen, in denen sonst immer Hintergrundgeräusche herrschen, in Stille zu erleben.
  • Aber wenn es nicht angenehm ist: Zwingen Sie sich nicht, Stille zu geniessen. Versuchen Sie es an einem anderen Tag oder probieren Sie eine andere Situation der Stille aus.
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Viele greifen zu Meditationsapps, etwa weil sie keine Zeit haben für Gruppenmeditation. Es gibt mittlerweile Hunderte davon. Sie bieten etwa geführte Meditationen, solche für bessere Laune, SOS-Meditationen bei alltäglichen Notfällen und Meditationen für Kinder.

Meditation braucht Erfahrung

Aber Fachleute wie Sara Lazar, Neurowissenschaftlerin an der Harvard Medical School, sagen, dass viele eine persönliche Anleitung brauchen. «Eine Meditationsapp kann eine gute Ergänzung für erfahrene Praktizierende sein. Wenn jemand nur wenig Erfahrung mit Meditation hat, können Apps den Lehrer oder die Lehrerin nicht ersetzen», sagt sie.

Das gilt besonders bei der Stillemeditation. Denn sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das Innere, die eigenen Emotionen, Erinnerungen – ebenso auf Verdrängtes und potenziell Schmerzvolles. Psychologen und Psychologinnen setzen sie in der Einzelberatung ein, etwa Ruedi Eggerschwiler in seiner Praxis in Goldau SZ. «Den meisten Menschen tut Meditation wohl – aber vereinzelt kann sie auch psychologisch destabilisieren», erklärt er.

Meditationen und bewusste Ruhepausen können helfen, die Belastung durch den Alltagslärm zu reduzieren. Ohne Anleitung einer Fachperson ist der Effekt aber meist begrenzt.
Foto: Getty Images

Etwa bei traumatischen Erfahrungen oder psychischen Erkrankungen. Solche Menschen sollten vorab mit Fachleuten abklären, ob Stillemeditation ausserhalb der Therapie empfehlenswert für sie ist oder ob andere Meditationsformen besser sind.

Stille Wochenenden, stille Ferien

Wer mehr will, kann ein Stillewochenende verbringen. Es gibt mittlerweile zahlreiche Angebote. Sie sollen den Teilnehmenden einen sanften Rahmen bieten, zur Ruhe zu kommen und sich zu sammeln.

Oder man bucht gleich einen Stilleurlaub. Finnland etwa bietet Stilleurlaube in arktischen Regionen an. Der Zweck war zunächst, die arktische Tierwelt vor Lärmverschmutzung zu schützen. Doch die Stille tut auch dem Menschen gut.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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