«Bezahlt die Krankenkasse den Psychiater?»
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Experten live um 11.30 Uhr:«Bezahlt die Krankenkasse den Psychiater?»

Experten beantworten Leserfragen zu Mental Health
«Bezahlt die Krankenkasse den Psychiater?»

Woran erkennt man eine Depression? Wie verhält man sich gegenüber Betroffenen? Und wer bezahlt die Behandlung? Am Donnerstag beantworteten zwei Experten live auf Blick TV die Fragen unserer Leser zum Thema Mental Health.
Publiziert: 08.12.2020 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2020 um 17:31 Uhr
Community-Team

Corona zehrt an unserer Psyche – und das schon seit Monaten. Dass deshalb mehr Menschen psychologische Hilfe brauchen, merken auch Nadia Pernollet, Psychosoziale Beraterin bei Pro Mente Sana und Thomas Hess, Familientherapeut und Psychiater, in ihrem beruflichen Alltag. Im Rahmen des Aktionstages zu mentaler Gesundheit waren sie zu Gast im Studio von Blick TV.

Dort beantworteten die zwei Experten Fragen der BLICK-Leserinnen und -Leser. Hier liest du die spannendsten Antworten.

BLICK-Leser K.S.: Woran erkenne ich Depressionen? Und wer übernimmt die Behandlungskosten?

«Uns allen geht es mal schlecht», sagt Pernollet. Der Übergang von einem harmlosen Tief zu einer behandlungsbedürftigen Depression sei fliessend. Als klassische Symptome nennt sie etwa Veränderungen im Ess- und Schlafverhalten, Gedankenkreisen und sozialer Rückzug. «Wenn dieser Zustand über längere Zeit, also länger als zwei bis drei Wochen, andauert, ist es angebracht, das abzuklären», rät die Expertin. Hess ergänzt, dass Psychiater und delegiert arbeitende Psychotherapeuten die Behandlung über die Krankenkasse abrechnen können: «Depressionen gelten schliesslich als Krankheit.»

BLICK-Leser Marco: Wie kann ich meine Partnerin überzeugen, sich Hilfe zu holen? Sie sagt immer, sie wisse, dass sie Hilfe braucht, macht dann aber doch nichts.

Diese Frage kennt Nadia Pernollet nur zu gut aus ihren eigenen Beratungsgesprächen. «Manche Menschen brauchen einfach Zeit, um ihre Angst zu überwinden, sich Hilfe zu holen», sagt sie. Es sei aber bereits ein grosser Schritt, wenn man die eigenen Probleme erkennt. Bis sich Betroffene bereit fühlen, könne man als Angehöriger nur Angebote machen, etwa dass man beim ersten Termin dabei ist. «Zu viel Druck sollte man aber nicht aufbauen», betont Pernollet und rät, «einfach für die Person da zu sein.»

BLICK-Leser Jürg: Warum haben Antidepressiva so viele Nebenwirkungen? Ist die Forschung da wirklich noch nicht weiter?

«Ich persönlich verschreibe relativ selten Antidepressiva», sagt Thomas Hess. Nach seiner Erfahrung können viele Erkrankungen auch anders behandelt werden. Falls man trotzdem auf eine medikamentöse Behandlung setzt, müsse diese auf das Individuum abgestimmt werden: «Mit Antidepressiva ist es wie beim Schuhe kaufen: Man muss sie ausprobieren», sagt Hess. «Niemand kann sagen, wie ein Medikament auf einen bestimmten Menschen wirkt.»

BLICK-Leser R.P.: Warum hat man vollstes Verständnis für Freunde und Bekannte, die mit psychischen Problemen kämpfen, aber bei sich selber ist es schwierig, das zu akzeptieren?

Laut Pernollet gibt es verschiedene Ursachen dafür, dass Menschen mit sich selbst härter ins Gericht gehen. «Vielleicht wurde dieser Leser von anderen bisher als jemand wahrgenommen, dem es immer gut geht», sagt sie. Dies könne zu Scham führen, weil man den Schein wahren möchte. «Trotzdem muss man darüber reden. Nicht zwingend mit einer Fachperson – das kann auch ein guter Freund sein, Hauptsache es gibt ein Vertrauensverhältnis.»

BLICK-Leserin Anja: Sind Depressionen vererbbar?

Diesbezüglich tappen selbst Experten wie Hess im Dunkeln: «Die Medizin streitet sich bis heute über den Erbfaktor.» In seinen Augen kann die Umgebung eines Menschen ebenso ausschlaggebend sein wie die genetische Veranlagung. «Wir wissen es schlichtweg nicht», sagt der Psychiater. Fakt sei aber, dass es Familien gibt, in denen sich eine Häufung erkennen lässt.

BLICK-Leserin Mimi: Letzte Woche ist meine Mutter verstorben. Manchmal wird mir alles zu viel, obwohl ich oft darüber rede. Rutsche ich in eine Depression?

«Jeder Trauerprozess ist individuell», sagt Pernollet. Im Fall dieser Leserin hält sie es für zu früh, um zu sagen, ob sich eine Depression anbahnt. Wichtig sei, dass man über den Prozess redet. «Man muss die Trauer zulassen. Und es ist völlig normal und menschlich, dass man in dieser Situation depressive Symptome zeigt», so die Beraterin.

BLICK-Leserin Sira: Mein Mann hat sich wegen eines Burn-outs freiwillig in stationäre Behandlung begeben. Dabei wurden weder ich noch unsere Kinder in die Therapie involviert. Warum bezieht man die Familie nicht mit ein?

Als Familientherapeut plädiert Hess dafür, Partner und Kinder in die Behandlung miteinzubeziehen. Was diese Leserin erlebt hat, seien veraltete Methoden. «Als ich vor 20 Jahren selber in der Klinik gearbeitet habe, wurde das Umfeld noch ausgeblendet», erinnert er sich. Heute sei das nicht mehr angebracht. «Man muss schauen, was die Behandlung für Auswirkung auf die Familie hat und wie sie die betroffene Person unterstützen kann», findet Hess.

BLICK-Leser Janik: Kann ich selber testen, wie gesund meine Psyche ist?

«Hinter der Frage steckt die Annahme, dass es gesunde und kranke Menschen gibt», sagt Hess. So einfach sei das aber nicht: «Manche Menschen entsprechen den Erwartungen, andere sind eben schräge Vögel – was ist jetzt normal?» Es gebe keine zuverlässigen Tests, um zu messen, was eine starke oder eine schwache Psyche ist. Viel wichtiger sei es, sich selbst zu beobachten: «Ich würde die Frage zurückgeben: Wie findest du dich denn?», rät Hess.

Zusammenfassend betonen die beiden Experten, wie wichtig es ist, auf die eigene Psyche Acht zu geben – vor allem jetzt während der Krise: «Einfach mal einen Gang zurückschalten, die Situation akzeptieren und sich etwas Gutes tun», so Pernollets Tipp. Das A und O ist Kommunikation, sagt Hess: «Reden statt schweigen!»

Damit es uns allen besser geht

Viele Menschen in der Schweiz leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der Corona-Krise. Deshalb initiiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Aktionstag «Darüber reden. Hilfe finden». Er findet am 10. Dezember 2020 statt.

Die Hilfsorganisationen Pro Mente Sana, Dargebotene Hand, Pro Juventute, Pro Senectute, Caritas und das Schweizerische Rote Kreuz widmen sich gemeinsam mit vielen weiteren Akteuren den verschiedensten Aspekten des Themas psychische Gesundheit. Menschen in schwierigen Situationen sollen so Solidarität erfahren und über konkrete Hilfsangebote informiert werden. Der Tag sensibilisiert auch die Gesamtbevölkerung dafür, im Umfeld aufmerksam zu sein und Hilfe zu leisten.

BLICK macht dieses wichtige Thema zum Schwerpunkt und berichtet vor, während und nach dem Aktionstag ausführlich darüber.

Weitere Informationen unter https://bag-coronavirus.ch/hilfe/

Viele Menschen in der Schweiz leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der Corona-Krise. Deshalb initiiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Aktionstag «Darüber reden. Hilfe finden». Er findet am 10. Dezember 2020 statt.

Die Hilfsorganisationen Pro Mente Sana, Dargebotene Hand, Pro Juventute, Pro Senectute, Caritas und das Schweizerische Rote Kreuz widmen sich gemeinsam mit vielen weiteren Akteuren den verschiedensten Aspekten des Themas psychische Gesundheit. Menschen in schwierigen Situationen sollen so Solidarität erfahren und über konkrete Hilfsangebote informiert werden. Der Tag sensibilisiert auch die Gesamtbevölkerung dafür, im Umfeld aufmerksam zu sein und Hilfe zu leisten.

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