Zu viel am Smartphone?
Experte erklärt, welche Techniken wirklich funktionieren

Wir verbringen täglich mehr Zeit am Handy als uns lieb ist. Das sei eine Taktik der Tech-Konzerne, sagt Evolutionsbiologe Martin Korte. Ein bewussterer Umgang mit dem Handy sei möglich – ganz ohne radikalen Verzicht.
Publiziert: 01.01.2024 um 16:30 Uhr
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Aktualisiert: 01.01.2024 um 16:33 Uhr
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Valentin RubinRedaktor Service

Aufs neue Jahr nehmen sich viele vor, endlich weniger Zeit am Smartphone zu verbringen. Ist das ein guter Vorsatz?
Martin Korte: Dieser Vorsatz wird wenig bringen. Anstatt sich ein Ziel vorzunehmen – weniger am Handy zu sein – müsste man sich konkrete Handlungen vornehmen. Zum Beispiel: Während der Kinderbetreuung, beim Abendessen oder am Arbeitsplatz das Handy auszuschalten und wegzulegen. Klare Regeln in konkreten Situationen sind effektiver als allgemeine Vorsätze.

Das Problem ist bei vielen dasselbe: Wir wissen, dass wir zu viel Zeit am Handy vergeuden. Und doch kleben wir am Bildschirm. Warum?
Die Apps sind so programmiert, dass wir in sie hineingezogen werden. Tech-Konzerne haben dazu Psychologen eingestellt, die wissen, wie sie uns anfixen und unser Belohnungssystem ausnutzen. Sie arbeiten mit sogenannten «tiny habits», kleinen Gewohnheiten. Ein kurzer Blick aufs Handy ist oft mit der Erwartung auf einen Like oder eine neue Nachricht gekoppelt. Das empfinden wir als Belohnung.

Was geschieht dabei im Gehirn?
Die Apps sind wie Spielautomaten im Casino. Man weiss nie, was kommt. Die Erwartung auf eine Belohnung treibt uns aber immer an. Wir scrollen durch unsere Timelines, ohne Ende. Es könnte ja jederzeit etwas ganz Tolles auftauchen. Aufgrund dieser Erwartungshaltung wird viel Dopamin ausgeschüttet, das steigert unsere Vorfreude. 

Warum fühlen wir uns nach langem, planlosem Scrollen dann ausgelaugt?
Die Belohnung tritt in vielen Fällen nicht ein. Auch wenn sie jederzeit hätte kommen können. Wir bezahlen mit unserer Aufmerksamkeit, erhalten aber trotz der Hoffnung auf Belohnung nur wenig zurück. 

Er zeigt uns, wie wir frisch im Kopf bleiben

Martin Korte (59) studierte in Münster, Tübingen (D) und Washington, D.C. (USA) Biologie. Seit 2007 ist er Professor für zelluläre Neurobiologie und Direktor des zoologischen Instituts an der Technischen Universität Braunschweig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Lernen und Gedächtnis, zu denen er mehrere Bücher verfasst hat. Sein letztes Buch «Frisch im Kopf. Wie wir uns aus der digitalen Reizüberflutung befreien» erschien im Mai 2023 bei der Deutschen Verlagsanstalt in München.

Photographer: Johannes Felsch

Martin Korte (59) studierte in Münster, Tübingen (D) und Washington, D.C. (USA) Biologie. Seit 2007 ist er Professor für zelluläre Neurobiologie und Direktor des zoologischen Instituts an der Technischen Universität Braunschweig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Lernen und Gedächtnis, zu denen er mehrere Bücher verfasst hat. Sein letztes Buch «Frisch im Kopf. Wie wir uns aus der digitalen Reizüberflutung befreien» erschien im Mai 2023 bei der Deutschen Verlagsanstalt in München.

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Was kann man dagegen tun?
Wir müssen lernen, uns einen bewussten und begrenzten Handykonsum anzugewöhnen. Dazu wende ich gerne die ABC-Regel an.

Erklären Sie.
A steht für «awareness», Bewusstsein. Wenn wir von einer Nachricht abgelenkt werden, müssen wir uns diese Störung bewusst machen. B steht für «breathe», atmen. Es hilft, durchzuatmen, bevor man dem Impuls nachgibt und zum Handy greift. C steht für «choice», Wahl. Nachdem wir innegehalten haben, können wir entscheiden, ob wir das Handy in die Hand nehmen oder nicht.

Wieso werden wir überhaupt so schnell vom Handy abgelenkt?
Das hat evolutionäre Gründe. Unsere Vorfahren pflückten Beeren in der Wildnis. Falls sich im Hintergrund ein Säbelzahntiger näherte, war es wichtig, schnell von den Beeren abgelenkt zu werden und das Raubtier zu erkennen. Das entschied über Leben und Tod. Unser Gehirn ist heute noch so programmiert. Es prüft alle vier bis fünf Sekunden unsere Umgebung auf allfällige Gefahren und wird schnell abgelenkt. Das ist tief in uns verwurzelt. Nur kommt die Ablenkung heute oft vom Handy-Klingelton. 

Was früher der Säbelzahntiger war, sind heute unsere Handyapps.
Genau. Mit dem Unterschied, dass unsere Vorfahren selten einen Säbelzahntiger unmittelbar in der Nähe hatten. Unsere Handys tragen wir aber überall mit uns herum. Sie sind ein Säbelzahntiger in der Hosentasche.

Wenn diese Anfälligkeit, schnell abgelenkt zu werden, tief in uns verwurzelt ist, was nützen dann radikale Massnahmen wie Digital Detox?
Solche Methoden empfehle ich nicht. Digital Detox ist meist mit Frust verbunden. Soziale Medien sind nicht nur schlecht, sie dienen auch dem Austausch mit unseren Mitmenschen. Wichtiger als Verzicht ist, das Handy in einigen Situationen auch mal auszuschalten, wegzupacken oder gleich in einen anderen Raum zu tun.

Warum ist eine Ablenkung von einer Millisekunde überhaupt ein Problem?
Liegt ein Handy auf dem Tisch, auch wenn es ausgeschaltet ist, vermindert das unsere Konzentration bereits um zehn Prozent. Unser Gehirn sieht das Handy und muss entscheiden: Soll ich das Gerät anschalten und kontrollieren, ob ich etwas verpasst habe? Diese Überlegungen brauchen Kapazität. 

Sie sprechen in Ihrem Buch von einer negativen Spirale.
Ja. Die Ablenkungen und Entscheidungen erschöpfen uns. Dadurch haben wir weniger Willenskraft und lassen uns noch schneller vom Smartphone ablenken.

Wie können wir dieser Versuchung, immer aufs Handy schauen zu wollen, widerstehen?
Wir müssen den Informationsstrom besser kanalisieren. Die Informationsmenge, die wir heute täglich verarbeiten, hat ein Mensch im Mittelalter in seinem ganzen Leben verarbeitet. Es hilft, klare Offline-Zeiten zu definieren. Das Handy wie gesagt auch mal ausschalten und in ein anderes Zimmer tun, wenn man anderes tut. Das Handy nicht immer griffbereit zu haben ist nachhaltiger, als abstrakte Vorsätze zu verfolgen.

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