Zuverlässig oder unfundiert?
Was Persönlichkeitstests wirklich können

Antreten zum Persönlichkeitstest: Das hören Bewerber immer häufiger. Wie sinnvoll aber ist dieses Verfahren für die Personalauswahl tatsächlich?
Publiziert: 31.01.2020 um 10:07 Uhr
Rahel Urech @higgsmag

Gut ein Drittel der Schweizer Unternehmen führen Persönlichkeitstests durch, um Bewerber zu rekrutieren. In den USA setzen nach Schätzungen über 60 Prozent der Unternehmen Persönlichkeitstests ein, Tendenz steigend. Es gibt tausende verschiedener Persönlichkeitstests, mit denen Millionen von Dollars umgesetzt werden. Lange nicht alle der Methoden aber sind geeignet.

Hochumstrittene Tests

Einer der weltweit beliebtesten Tests ist der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI). Laut dem Unternehmen, das den Test vertreibt, füllen ihn zwei Millionen Personen jährlich aus. In der Schweiz rekrutieren einer Studie der Uni Zürich zufolge 17 Prozent der Unternehmen, die Persönlichkeitstests einsetzen, ihr Personal damit – und dies, obwohl er hochumstritten ist. Er basiert auf der Typenlehre von Carl Gustav Jung (1875-1961) und teilt die Menschen in 16 Typen ein. Wissenschaftler halten diesen Test für ungeeignet für die Personalselektion, denn das Konzept konnte wissenschaftlich nicht belegt werden. Die Resultate stimmten nicht mit der Realität überein, haben also eine geringe Validität. Ausserdem sei er nicht verlässlich und verfüge demnach über eine geringe Reliabilität, zeigen verschiedene Studien. «Mit dem MBTI die Persönlichkeit zu erforschen ist, wie wenn man das Steinzeitalter verstehen will, indem man den Trickfilm Familie Feuerstein schaut», schreibt Alexander Haslam in der Zeitschrift Nature.

Patrick Boss vom Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) macht diverse Gründe aus, weshalb der MBTI trotz seiner belegten Mängel bei Personalfachleuten so beliebt ist. Der Test teile die Menschen in Typen ein, was das Ergebnis einfach interpretierbar mache. Auf Knopfdruck erhalte man 20-seitige Gutachten, was Laien imponiere. Zudem, sagt Boss, «ist der Name C.G. Jung noch immer geläufig und scheint als Garant für wissenschaftliche Absicherung zu gelten».

Viele Unternehmen in der Schweiz verwenden Persönlichkeitstest, die wissenschaftlichen Kriterien nicht Stand halten.
Foto: Unsplash/Tim Gouw
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Doch der Myers-Briggs-Indikator ist nicht der einzig zweifelhafte Test, der häufig eingesetzt wird: In die gleiche Kategorie nicht ausreichend fundierter Tests fällt laut Boss die Master Person Analysis MPA, die ebenfalls auf der Typologie von Jung beruht. 33 Prozent der Schweizer Unternehmen, die Persönlichkeitstests einsetzen, benützen diese Methode für die Personalselektion.

Die meisten schönen ihren Test

Taugen Persönlichkeitstests also überhaupt, um die besten Bewerber zu finden? «Sie sind ein wertvolles Instrument, um neben einem strukturierten Bewerbungsinterview ein zusätzliches Bild von einem Kandidaten zu erhalten», sagt Patrick Boss. Das IAP führt jährlich über 1200 Abklärungen durch, in denen auch Persönlichkeitstests zum Einsatz kommen. Diese sollten aber nur als ergänzende Informationen angesehen werden, denn: «Erstens hängt die Auswertung stark von der Expertise des Anwenders ab und zweitens zeigt der Test lediglich ein Selbstbild des Bewerbers.» Einen wissenschaftlich anerkannten Test zu verwenden ist dabei entscheidend für eine gute Auswahl. «Einen verlässlichen Test erkennt man daran, dass unabhängige Forschungsgruppen ihn überprüft haben und ein Handbuch vorliegt, das detaillierte Angaben zu Reliabilität und Validität enthält», sagt Boss.

Wissenschaftlich gestützt sind alle Tests, die auf den sogenannten Big Five beruhen. Laut diesem Modell lassen sich die Merkmale einer Persönlichkeit auf fünf Faktoren reduzieren: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Der bekannteste dieser Tests ist der NEO-PI-R. Mittels 240 Fragen werden 30 Merkmale der Persönlichkeit ermittelt. Studien ergaben, dass er verlässlich ist und dies in verschiedenen kulturellen Kontexten – doch auch hier gibt es Kritiker. Denn: Ein Bewerber kann das Bild von sich beschönigen.

«Die meisten Personen stellen ihren Charakter zu positiv dar», sagt Boss. «Eine zuverlässige Methode, um falschen Angaben auf die Spur zu kommen, existiert nicht.» Da der Persönlichkeitstest nur ein Teil des Bewerbungsverfahrens ist, wird das Endergebnis seiner Ansicht nach durch die Schummeleien aber kaum verfälscht. «Wenn ein Bewerber seinen Test gezielt schönfärbt, dann zeigt dies unter Umständen eine zusätzliche Fähigkeit – nämlich, dass er spürt, welche Eigenschaften verlangt sind und sich entsprechend anpasst», sagt Boss. Um solche Eigenschaften herauszuschälen und zu erkennen, was an einem Profil auffällig ist und was nicht, brauche es gut geschulte Auswertende mit viel Erfahrung. Ein akademischer Grad in Pädagogik oder Psychologie helfe, sei aber nicht zwingend.

In Zukunft werden Persönlichkeitstest wohl noch häufiger eingesetzt werden, denn die Analyse grosser Datenmengen wird immer einfacher. Das bringt neuen Wind in die Persönlichkeitsforschung. So propagieren Wissenschaftler der Northwestern University in Illinois vier statt der fünf bekannten Persönlichkeitstypen: Die Durchschnittsmenschen, die reservierten Menschen, die Vorbildlichen und die Selbstzentrierten. Andere Wissenschaftler setzen auf unsere Spuren in der virtuellen Welt, um Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu ziehen. Vielleicht kann ein potenzieller Arbeitgeber dereinst Informationen über die Aktivitäten der Kandidaten im Internet sammeln und ihre Smartphones überprüfen. Dieses Gebiet der Psychoinformatik steckt jedoch noch ganz in den Anfängen.

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