Harmonie statt Provokation
Die Schweiz hat die nettesten Rapper

Lo&Leduc und Steff la Cheffe schaffen neue Schweizer Volkslieder. Sie feiern grosse Erfolge ohne Skandale. Anders als ihre Kollegen im Ausland.
Publiziert: 06.05.2018 um 17:09 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 19:52 Uhr
Schweizer Rapper wie Lo & Leduc sind Geschichtenerzähler und setzen auf poppige Melodien.
Foto: Geri Born
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Adrian Schräder

Die Schweiz hat bereits ­einen Sommerhit für dieses Jahr. Er klingt, wie ein Sommerhit klingen muss: hymnisch, entspannt und irgendwie sehnsüchtig. Darin finden sich ein paar ­Brocken Italienisch («per favore»), ein bisschen Swissness (im Titel), eine tragisch-komische Geschichte, gemischt mit einem modernen Rhythmus inklusive tropischer ­Anmutung: Fertig ist «079» von Lo & Leduc.

Schweizer Rapper wie Lo & Leduc sind Geschichtenerzähler und setzen auf poppige Melodien.

Das Besondere an ihm: Er wird in Mundart gesungen. Und er ist so wohlklingend wie nur wenige Rapsongs. Wer in der Schweiz mit Rap in den Charts erfolgreich sein will, muss liebenswürdig sein: Statt wie in Deutschland über die Provoka­tion werden grosse Hip-Hop-Hits hierzulande mit harmonischen Klängen erzielt. Während sich in unserem Nachbarland die Gemüter noch immer über Songs von Künstlern wie ­Farid Bang und Kollegah erhitzen, die mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert sind, trällert hierzulande bald jeder «079 het sie gseit» und «per favore!». Skandale wie beim Musikpreis Echo, der inzwischen eingestellt wurde, gibt es in der Schweiz nicht. Während erfolgreicher Rap im Ausland oft die Muskeln zeigt, nimmt er sich hier die Melodie und den Pop zum Freund. Mal gewitzt, mal weniger. Genre wie Gangsta Rap haben hier keine Chance. Stattdessen scheinen sie oft aus ­einer Art musikalischen Grund­konsens zu bestehen und die Form einer griechischen Tragödie zu haben: Der Held von «079» – unsterblich verliebt in eine Dame bei der Auskunft, die nur die Vorwahl ihrer Nummer rausrücken will – wird, als er die Nummer nach ­Jahren endlich hat, vom Tram überfahren.

«079» hat jetzt schon Doppelplatin

Seit sieben Wochen hält sich «079» des Berner Duos auf dem vordersten Platz der Schweizer Single­charts. Das ist keinem einheimischen Künstler seit dem Weihnachtssong der Migros 2014 mehr geglückt. Der Song hat sich mittlerweile fast 40'000 Mal verkauft – Doppelplatin! Auf der Streaming-Plattform Spotify wird er täglich zwischen 30'000 und 45'000 Mal angehört, immer mehr Radiostationen spielen ihn mehrmals pro Tag.

Steff la Cheffe hat gerade eine eigene Interpretation des Guggisberg-Lieds veröffentlicht.

Sollte er gar mehr als zehn ­Wochen auf dem vordersten Rang bleiben – was angesichts seiner unge­brochenen Popularität auf Spotify sehr gut denkbar ist, würde er eine neue Bestmarke aufstellen und auch «Chihuahua» von DJ Bobo und «Grüezi wohl, Frau Stirnimaa» von den Minstrels hinter sich lassen.

Der Song bildet den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die mit «Rosalie» von Bligg vor zehn Jahren begann und mit Songs wie «Ha kei Ahnig» von Steff la Cheffe vor fünf und «Jung verdammt» von Lo & Leduc vor vier Jahren ihre Fortsetzung fand.

Jetzt sind die beiden Berner ­Rapper noch einen Schritt weiter gegangen und haben Vorreiter Bligg, dessen Volksmusik-Anleihen an jungen Ohren abprallen, weit abgehängt. Auch er stieg mit seinem aktuellen Album «Kombi­Nation» ganz vorne in den Charts ein, verabschiedete sich jedoch schnell wieder von dort. Die Gegenwart ­gehört Lo & Leduc und Steff la Cheffe, deren Comeback-Album zu Recht mit Vorschusslorbeeren überhäuft wurde. Doch dazu hat es, besonders im Fall der erfolgreichsten Mundartrapperin der Schweiz, einiges gebraucht.

Steff la Cheffe: von unten nach oben innert kürzester Zeit

Ein Samstagabend im August 2016. Stefanie Peter, wie Steff la Cheffe bürgerlich heisst, sitzt hinter der Bühne des jährlichen Hip-Hop-Events Royal Arena Festival in ­Orpund bei Biel. Doch statt der starken Bühnenpersönlichkeit, selbstbewussten Frau und kessen Texterin ist da nur noch ein Häufchen Elend. Mit gestrecktem Mittelfinger hat sie kurz zuvor ihren Auftritt als Moderatorin unter den Pfiffen von 9000 Festivalbesuchern vorzeitig beendet. Jetzt sitzt sie hier auf einem Stein und schluchzt. Mit ihrer Karriere hat sie innerlich abgeschlossen. Für immer.

In der Schweiz macht einer wie Bligg mit «Rosalie» und Liebe Kasse. Er legte damit den Grundstein für eine poppige Art von Mundart-Rap der zum Volkslied taugt.

«In diesem Moment kam alles ­zusammen», sagt sie heute. «Er steht sowohl für eine tiefe private Krise samt Liebeskummer und Jobun­sicherheit wie auch für meine Loslösung von der Hip-Hop-Szene. In dem Moment war für mich klar: Freunde, das ist vorbei hier.»Doch das vermeintliche Ende war schliesslich nur ein Neubeginn. Ein Freischwimmen von einer ­Szene mit für sie einengenden Dogmen und Regeln. «Irgendjemand aus dem Publikum hat mir etwas Beleidigendes zugerufen. Da hat sich bei mir innerlich ein Schalter umgelegt. Von diesem Augenblick an habe ich mich nicht mehr zu Hause gefühlt.»Jetzt, knapp zwei Jahre später, hat sie mit «Härz Schritt Macherin» ein neues Album veröffentlicht. Ein Album, das eine Steff la Cheffe zeigt, die sich nicht mehr auf einen Sound reduzieren lässt. Die Melodien und der Gesang sind viel wichtiger geworden. Das Gefühl bestimmt, die Stimmung erzählt, weniger die Textmenge, wie früher beim Rappen.

Die deutschen Gangster-Rapper Farid Bang (l.) und Kollegah stehen zurzeit wegen antisemitischen, sexistischen und gewaltverherrlichenden Texten in der Kritik.

Sie hat die Momente der Schwäche, der Unsicherheit, des Schmerzes in Musik umgewandelt. In von ­betörenden Melodien getragene Volkslieder.

Eine Wanderung in Italien wies ihr den Weg

Der entscheidende Moment für diese Wandlung war eine Wanderung vor knapp drei Jahren in Norditalien. Irgendwann stimmten ihre Begleiter das «Guggisberglied» an. Ein Lied, das sie noch nie gehört hatte. Nach wenigen Zeilen erkannte sie sich in der Geschichte, nach zwei Strophen stieg sie ein. Jetzt formt das bekannte Schweizer Volkslied in einer neuen Version den inhaltlichen Rahmen ihres Albums. «Es geht um Liebeskummer und wie man damit fertig wird», sagt sie knapp. Mehr noch: Eigentlich ist «Härz Schritt Macherin» ein Album voller Volkslieder.

Und in den USA setzt Cardi B auf Sex und derbe Sprache: Ihr Album «Invasion of Privacy» liegt dort auf Platz zwei der Charts.
Foto: Getty Images for Coachella

Gemeinsam mit dem Basler ­Musiker Benjamin Noti und dem Berner Produzenten Ben Mühle­thaler sind Songs entstanden, die in ihrer Klarheit etwas ungemein Klassisches und Einnehmendes ­haben. Sie senden Schwingungen aus, die in jedem Rezeptoren finden, sie hallen nach.

Hat sie da am Ende auch etwas von Lo & Leduc gelernt, die wie sie beim Zürcher Label Bakara unter Vertrag stehen und eng mit ihr ­befreundet sind? «Klar haben sie mich inspiriert», gibt sie offen zu. «Besonders ihre Auftritte beeindrucken mich. Wie das gesamte Publikum mitsingt, wie sich alle unglaublich freuen.» Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis die Fans von Steff la Cheffe das Gleiche machen. Und die Schweiz den nächsten Rap-Star mit Songs hat, die zum Schweizer Volksliedgut werden. 

Lo & Leduc «Update 4.0» (Bakara)

Steff la Cheffe «Herz Schritt Macherin» (Bakara)

 Bligg «KombiNation» (Dreamstar ­Entertainment/Universal)

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