Hier wird ein Song in Gebärdensprache übersetzt
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Konzert in den USA:Hier wird ein Song in Gebärdensprache übersetzt

In den USA werden bei Konzerten auch explizite Passagen live in Gebärdensprache übersetzt
Versauter Rap für Gehörlose

Eine Frau übersetzt an einem amerikanischen Open-Air-Konzert den Song «WAP» von Cardi B in Gebärdensprache – das Video davon geht viral. Auch in der Schweiz werden Konzerte für Gehörlose zugänglich gemacht. Bis jetzt waren die Acts aber jugendfrei.
Publiziert: 20.08.2021 um 07:11 Uhr
Jonas Dreyfus

Es ist einer der erfolgreichsten und gleichzeitig versautesten Songs der letzten Jahre: «WAP» von Cardi B und Megan Thee Stallion. Gerade als die Aufregung um dieses Stück, das sich mit weiblicher Selbstermächtigung beschäftigt, ein wenig abnahm, ist es zurück in den Schlagzeilen. Verantwortlich ist ein Video eines Konzerts von Megan Thee Stallion, das ein Besucher des Lollapalooza-Festivals in Chicago (Illinois) Anfang August aufnahm und ins Netz stellte.

Es zeigt eine Frau, die etwas abseits auf der Bühne steht und den Song «WAP» in Gebärdensprache übersetzt. Genauer gesagt, geht es um eine Zeile, in der von einem sehr grossen Lastwagen die Rede ist, der in einer sehr kleinen Garage parkieren muss. Ein doppeldeutiges Wortspiel, das in Gebärdensprache so pornohaft rüberkommt, dass das Video davon auf der Social-Media-Plattform bereits mehr als 14 Millionen Mal abgespielt wurde. Ähnlich erfolgreich ist das Youtube-Video der Übersetzerin Libbey Ketterer, die den ganzen Song vorträgt.

Konzerte seien eine der wenigen Möglichkeiten für Gehörlose, Musik zu erleben, sagt Lilly Kahler vom Verein für Musik und Gebärdensprache (MUX). MUX macht Live-Events in der Schweiz für Menschen zugänglich, die nichts hören. Zugänglich – das heisst unter anderem, dass eine Übersetzerin oder ein Übersetzer auf der Bühne steht und die Gehörlosen einen Platz im Zuschauerraum erhalten, von dem aus sie diese Person gut sehen.

Die Rapperin Cardi B, die gerade ihr zweites Kind erwartet, landete mit dem Song «WAP» einen Mega-Hit.
Foto: DUKAS
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Gehörlose gehen nicht als Fans an Konzerte

Warum muss man die Texte bei einem Konzert verstehen?, fragen sich Hörende jetzt vielleicht. Viele von ihnen verstehen die Inhalte der Songs ihrer englischsprachigen Musik-Idole auch nur halbwegs gut. Gedankengänge wie diese zeigen, wie schnell Hörende ihre Welt automatisch auf die von Gehörlosen übertragen.

«Gehörlose gehen in der Regel nicht an ein Konzert, weil sie Fans eines Künstlers sind, sondern um ihn überhaupt erst einmal kennenzulernen», sagt Kahler. Als im Jahr 2000 zum ersten Mal in der Schweiz eine Gebärdensprachen-Übersetzerin bei einem Konzert auf der Bühne stand – es war eines von Gölä –, verinnerlichten die meisten der gehörlosen Anwesenden Songs wie «Schwan» zum ersten Mal.

Übersetzt werden laut Kahler – sie selbst ist hörend – auch Elemente wie Tempo, Applaus und Lautstärke. Im hohen Dezibelbereich sind die Handbewegungen zum Beispiel gross, im tiefen klein. Die Vibration der Bässe verstärkt das Erlebnis. Sie ist vor allem in Gebäuden mit Holzelementen spürbar. Kahler: «Das Bierhübeli in Bern ist so ein Ort.»

Vier bis sechs Stunden Vorbereitung pro Song

Um ein einziges Lied für einen Auftritt vorzubereiten, brauche sie vier bis sechs Stunden Zeit, sagt Kahler. Sie ist als Gebärdensprache-Dolmetscherin tätig und bildet andere in dieser Disziplin aus. Weil das Übersetzen so aufwendig ist, reicht das Budget des Vereins MUX im Moment nur für fünf Konzerte pro Jahr. Welche es sind – das richtet sich oft nach Anfragen von Gehörlosen. So war bei Bligg schon ein Übersetzer auf der Bühne, angedacht ist einer bei einem Metallica-Konzert.

Ob sich die Übersetzerin des Konzerts in Chicago vier Stunden Zeit genommen hat für «WAP», ist unwahrscheinlich. Manche übersetzen an Konzerten nicht wörtlich – dann geht das Gezeigte mehr in Richtung Animation. Kahler ist Puristin, was das betrifft. «Wenn ein Übersetzer zu einem Sog mitwippt, ist mir das schon zu viel. Dann transportiert er seine Meinung – was genau genommen nicht zum Job eines Übersetzers gehört.»

In den USA, wo die Gebärdensprache-Übersetzer schon beinahe zum Standard gehören, ist aufgrund des «WAP»-Videos eine Kontroverse entbrannt. Der Grund: Die Übersetzerin ist weiss, während die Musik, die sie übersetzt, von Afroamerikanern stammt. Wie schwierig das ist, zeigt sich am N-Wort, das afroamerikanische Rapper in ihren Texten inflationär verwenden.

Gebärdensprache-Dolmetscherin Lilly Kahler setzt sich mit dem Verein MUX dafür ein, dass in der Schweiz Konzerte für Gehörlose zugänglich gemacht werden.
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