Interview mit Psychotherapeutin Romina Reginold
«Eine lange Trennung kann zu mehr Kontakt führen»

Es gibt mehr als 770'000 Auslandschweizer. Wegen Corona haben sie Heimat, Familie und Freunde seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Was das mit ihnen macht und wie man trotzdem in Kontakt bleiben kann, erklärt die Psychotherapeutin Romina Reginold im Interview.
Publiziert: 10.10.2020 um 14:12 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2020 um 07:55 Uhr
Interview: Alexandra Fitz

Die 33-jährige Luzernerin bietet psychologische Onlineberatung an. Sie lebt mit ihrem Partner und Kind in Dubai. Sie ist seit zwei Jahren Auslandschweizerin und erlebt selbst, wie es ist, Distanz-Beziehungen zu führen.

Frau Reginold, was macht es mit einem, wenn man in solch einer Krise weit weg von Familie und Freunden ist?
Romina Reginold: Es ist ein Unterschied, ob man alleine im Ausland ist oder mit der Familie. Aber für viele ist es eine grosse Chance, für andere eine Zerreissprobe.

Warum eine Chance?
Man kann auf neue Art und Weise in Kontakt treten. Vorher hat man sich auf die Besuche ein, zwei Mal im Jahr eingestellt. Jetzt sucht man neue Wege via Skype, Zoom, Mails. Das kann zu mehr Kontakt führen. Und man verspürt, dass man ihn will. Manche schätzen auch die gewonnene Distanz und entkommen so den Erwartungshaltungen von Familienmitgliedern.

Für wen ist es eine Zerreissprobe?
Gewisse Menschen leiden mehr. Etwa ältere Menschen oder diejenigen, die zu einer Risikogruppe gehören. Ihnen fehlen die sozialen Kontakte. Lebt die Familie im Ausland, ist der Leidensdruck noch grösser. Menschen, die nicht so gut vernetzt sind oder sich in schwierigen Lebensumständen befinden, laufen Gefahr zu vereinsamen.

Haben Sie mehr Anfragen für psychologische Beratungen?
Ja, seit Corona habe ich mehr Anfragen.

Weswegen?
Viele Leute kommen mit Dingen, die sie schon seit Jahren mit sich herumtragen. Aber die Leute sind nicht mehr so abgelenkt, mehr auf sich selber zurückgeworfen. Vorher war man im Büro, hat sich verabredet, war immer im Aussen unterwegs. Jetzt beschäftigen sich viele mit dem Innen. Sie finden, es wäre ein guter Zeitpunkt, sich den Problemen zu stellen. Man kann nicht mehr vor sich weglaufen.

Sie leben selbst im Ausland, und Ihr ganzes soziales Netz ist in der Schweiz. Haben Sie einen Tipp, wie man diese Beziehungen aufrechterhält?
Man sollte sich selber treu bleiben und sich nicht vom Druck oder den Erwartungshaltungen der Menschen, die daheim sind, bestimmen lassen. Die Form des Kontakts sollte authentisch sein, sie variiert auch von Mensch zu Mensch. Einer Kollegin schicke ich regelmässig Videobotschaften, man sieht dann auch viel vom Alltag. Mit einer anderen Kollegin mache ich das gar nicht, unsere Beziehung ist auch anders. Oder mit meinem Gotti, sie ist eine andere Generation, schreibe ich nur E-Mails. Das Medium muss beiden zusagen.

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