Wie gefährlich ist Tigermücke?
Mücken prägen die Geschichte

Sie stoppte Hannibal vor Rom, vernichtete die indigene Bevölkerung Amerikas, schaffte aber auch die Sklaverei ab: Kein Tier hat die Menschheitsgeschichte mehr geprägt als die Mücke wie ein neues Buch zeigt.
Publiziert: 19.04.2023 um 10:02 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2023 um 10:13 Uhr
Das gefährlichste Tier der Welt: Die Mücke tötet jährlich rund 725'000 Menschen.
Foto: Getty Images
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Daniel Arnet

Sie ist der Ferrari unter den Insekten – die Mücke: schnittig in der Form wie eine italienische Formel-1-Maschine, wie diese in voller Fahrt hochtourig sirrend und blitzschnell weg, sobald man sie bemerkt. Eine gewöhnliche Fliege hat demgegenüber etwas von einem Opel, und eine gemütlich brummende Hummel strahlt den Charme eines Rolls-Royce aus.

Den ferrariroten Blutfleck einer an die Wand geklatschten Mücke sehen die meisten dennoch lieber als ihren eleganten Flug, denn sie gehört zu den meistgehassten Insekten. Der Mensch tötet wohl kein Tier häufiger aus reiner Mordlust – mal abgesehen vom Hai. Aber während der Raubfisch umgekehrt etwa zehn Menschen pro Jahr zerfleischt, pikst die Stechmücke durchschnittlich 725'000 in den Tod.

2019 überwinterten erstmals Tigermücken auf der Alpennordseite

Die Mücke ist das gefährlichste Tier der Welt. Das ist aus einer Mücke ein Elefant gemacht? Mitnichten: Die Dimensionen des Insekts mit dem Stechrüssel sind weit gigantischer als beim grauen Rüsseltier. Zum Vergleich: Durch Elefant oder Löwe kommen jährlich je 100 Menschen zu Tode, durchs Nilpferd 500, Krokodil 1000 und Schlange 50'000. Und auch der Mensch bringt weniger Menschen um als die Mücke: weltweit durchschnittlich 475'000 pro Jahr.

Zwei bis zehn Millimeter gross, zwei bis zweieinhalb Milligramm schwer: «Die auf den ersten Blick unscheinbare Mücke ist für eine eindrückliche Zahl an Toten verantwortlich», sagt der Schweizer Biologe Daniel Cherix (73). Er war Konservator am Zoologischen Museum in Lausanne und ist heute Honorarprofessor der dortigen Universität. Als Teil des Schweizerischen Mückennetzwerks ist er zudem Verantwortlicher für die Überwachung der Tigermücke in der Romandie.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass die Tigermücke jährlich 50 bis 100 Millionen Menschen mit dem Dengue-Fieber ansteckt. Sie gehört zu einer der drei in die Schweiz eingeschleppten exotischen Mückenarten. Durch die Klimaerwärmung rücken solche gefährlichen Insekten in immer nördlichere Gefilde vor. Letztes Jahr sorgte in der Schweiz die Meldung für Aufsehen, dass einige Exemplare erstmals den Winter auf der Alpennordseite überlebt hatten.

«Ihre Welt dreht sich um zwei Dinge: Nektar und Sex»

«Fliegen ist ein entscheidender Vorteil bei Insekten», sagt Cherix. «Fliegen ermöglicht, neue Gebiete zu erobern, einem Räuber zu entwischen und neue Ressourcen zu finden.» Doch Tigermücken fliegen wenig und schlecht. Umso verblüffender sei es, wie sie sich in der Schweiz Jahr für Jahr Dutzende Kilometer weit ausbreiteten: «Indem sie PKW und LKW als Transportmittel benutzen.» Über weite Entfernungen schleppt man sie häufig in gebrauchten Autopneus ein. Auf diese Weise kam die Tigermücke 1990 aus den USA nach Italien.

Mücken leben mittlerweile überall auf der Welt – mit Ausnahme von Island, der Antarktis und einiger ozeanischer Inseln. «Auf dem Planeten gibt es über 3500 Mückenarten», sagt Cherix. «In der Schweiz sind 35 Arten heimisch.» Die Gesamtzahl an Mücken will der Biologe nicht beziffern, «c’est impossible». Dafür findet der kanadische Militärhistoriker Timothy C. Winegard (44) in seinem auf Deutsch erschienenen «New York Times»-Bestseller «Die Mücke» markige Worte: «Eine schwärmende und blutrünstige Armee von 110 Billionen feindlichen Stechmücken patrouilliert über jeden Quadratzentimeter des Globus.»

Blutrünstig sind allerdings nur Weibchen. Männchen ernähren sich bloss von Nektar. Winegard: «Ihre gesamte Welt dreht sich um zwei Dinge: Nektar und Sex.» Nach dem Flug des Weibchens durch Wolken tanzender Männchen, die man an Sommerabenden häufig an Fluss- und Seeufern sieht, sind die Eier befruchtet – und jetzt braucht es für die Reifung Proteine und Eisen aus dem Blut von Warmblütern: Der Atem der Opfer weist den Weibchen den Weg. Eine feine Landung auf der Haut und rein mit dem stechend-saugenden Rüssel. Durch einen Kanal injiziert die Mücke Speichel, damit das Blut nicht verklumpt, durch den anderen saugt sie es auf.

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Wie der Zusammenprall eines Menschen mit einem Bus

An sich eine Bagatelle mit einem juckenden roten Punkt auf der Haut – wenn die Mücke nicht promiskuitiv wäre, sprich: von Mensch zu Tier zu Mensch ziehen und überall freizügig Blut absaugen würde. Denn sobald sie eine fiebrige Person anzapft, nimmt die Mücke Viren, Bakterien, Plasmodien oder parasitäre Würmer auf und gibt die Krankheitserreger über den Speichel an das nächste Stichopfer weiter, ohne dass das Insekt selber Schaden nimmt.

Nur schon bei der Blutentnahme – das zwei- bis dreifache ihres Körpergewichts! – müsste sie den Hitzetod sterben, denn innert Kürze schnellt in ihr die Temperatur von der Umgebungswärme auf hitzige 35 Grad Celsius hoch, bei fiebrigem Blut noch höher. Doch das raffinierte Insekt reagiert mit Tricks: Sobald der rote Saft im Saugrüssel ist, bildet sich ein Hitzeprotein zum Schutz der empfindlichen Verdauungsenzyme; und zur zusätzlichen Kühlung scheidet die Mücke ein wenig Blut oder Urin aus – der Tropfen verdunstet und kühlt sie von hinten.

«Die Mücke ist nicht nur eine erstaunlich anpassungsfähige, sondern auch eine äusserst narzisstische Kreatur», schreibt Historiker Winegard ein wenig abschätzig. «Im Gegensatz zu anderen Insekten bestäubt sie weder Pflanzen, noch lockert sie den Boden oder ernährt sich von Abfall.» In Bodennähe ist die Mücke nur, wenn es regnet. Aber selbst dann kann sie fliegen, denn sie wird nicht nass. Eine Kollision mit einem Regentropfen ist zwar wie ein Zusammenprall eines Menschen mit einem Bus, aber das Insekt kommt nur kurz von der Flugbahn ab, rappelt sich blitzschnell auf und peilt das nächste Opfer an.

Mittel gegen Mücken

Was gegen Mücken hilft:

Luftige und helle Kleider
Dunkle Farben wirken auf Mücken anziehend. Und sie können auch durch eng anliegende, dicke Jeans stechen.

Moskitonetz
Was sich in den Tropen bewährt, ist auch bei uns der wirksamste Schutz. Allerdings darf die Maschenweite höchstens zwei Millimeter betragen.

Elektroverdampfer
Rein in die Steckdose, und raus mit der Mücke: Die mit Strom erhitzten Plättchen vertreiben die Insekten aus dem Zimmer.

Wirkstoff DEET
Auf die Haut aufgetragener Mückenschutz sollte Diethyltoluamid (DEET) enthalten. DEET blockiert bei der Mücke gewisse Rezeptoren und macht sie geruchsblind.

Trockenheit
Zur Eiablage und damit zur Vermehrung benötigen die weiblichen Tiere feuchte Brutplätze. Deshalb: Regentonnen abdecken!

… und was gegen Mücken nicht hilft:

Licht ausschalten
Im Gegensatz zu Nachtfaltern zieht Helligkeit Stechmücken nicht an. Vielmehr folgen sie ausgeatmeter Luft (CO2) und Körperdüften.

Ultraschallgeräte
Stechmücken haben zwar ein sehr empfindliches Gehör. Sie können aber nur tiefe Frequenzen und keinen Ultraschall wahrnehmen.

Zitronella-Kerzen
Sie riechen vielleicht gut und geben schönes Licht, aber Kerzen oder Fackeln mit ätherischen Ölen schrecken keine Mücke ab.

Knoblauch
Gegen Dracula und andere Vampire soll die stark riechende Knolle abstossend wirken, nicht aber gegen die kleinen Blutsauger.

Zigarettenrauch
Rauchschwaden in der Luft halten Mücken nicht vom Fliegen ab. Nur feuchter Nebel hilft. Aber wer sitzt schon in einer Herbstnacht draussen?

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Luftige und helle Kleider
Dunkle Farben wirken auf Mücken anziehend. Und sie können auch durch eng anliegende, dicke Jeans stechen.

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Elektroverdampfer
Rein in die Steckdose, und raus mit der Mücke: Die mit Strom erhitzten Plättchen vertreiben die Insekten aus dem Zimmer.

Wirkstoff DEET
Auf die Haut aufgetragener Mückenschutz sollte Diethyltoluamid (DEET) enthalten. DEET blockiert bei der Mücke gewisse Rezeptoren und macht sie geruchsblind.

Trockenheit
Zur Eiablage und damit zur Vermehrung benötigen die weiblichen Tiere feuchte Brutplätze. Deshalb: Regentonnen abdecken!

… und was gegen Mücken nicht hilft:

Licht ausschalten
Im Gegensatz zu Nachtfaltern zieht Helligkeit Stechmücken nicht an. Vielmehr folgen sie ausgeatmeter Luft (CO2) und Körperdüften.

Ultraschallgeräte
Stechmücken haben zwar ein sehr empfindliches Gehör. Sie können aber nur tiefe Frequenzen und keinen Ultraschall wahrnehmen.

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Sie riechen vielleicht gut und geben schönes Licht, aber Kerzen oder Fackeln mit ätherischen Ölen schrecken keine Mücke ab.

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Gegen Dracula und andere Vampire soll die stark riechende Knolle abstossend wirken, nicht aber gegen die kleinen Blutsauger.

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Mücken übertragen 15 Krankheiten

Die feingliedrige Mücke ist hart im Nehmen und noch härter im Austeilen: Sie überträgt 15 Krankheiten. Die bekanntesten sind Gelb-, Dengue- und Zikafieber, doch die mit Abstand verbreitetste ist Malaria. Bis Ende des 19. Jahrhunderts lebten die Menschen im Glauben, diese Infektionskrankheit werde von verwitterndem Unrat und giftigen Gasen verursacht, die aus stehenden Gewässern und Sümpfen aufsteigen. Daher auch der italienische Ausdruck «mal aria» für «schlechte Luft».

Tatsächlich kommt die Malaria aus solchen Feuchtgebieten, aber nicht wegen schlechter Luft, sondern weil sie Brutgebiete für krankheitsübertragende Insekten wie die Tigermücke sind. «Im Sommer entwickelt sich die Tigermücke vom Ei zum Insekt innerhalb von fünf bis sieben Tagen», sagt Biologe Cherix. Das Weibchen lebe ein bisschen länger als zwei Monate, das Männchen zwei bis drei Wochen. «Jedes Weibchen legt im Laufe seines Lebens 250 Eier», sagt er. «Da kommt man schnell auf Tausende, sogar Millionen Mücken.»

«In den Sümpfen in der Umgebung von Rom leben Legionen todbringender Stechmücken, die es mit ganzen Armeen aufnehmen können», schreibt Winegard in seinem Buch. «Ob in den Punischen Kriegen oder im Zweiten Weltkrieg – Invasionstruppen, die gegen Rom vorrückten, wurden in den Sümpfen der Pontinischen Ebene praktisch bei lebendigem Leib aufgefressen.» So zeigt Winegard auf, wie Mücken Hannibal samt Elefanten im Zweiten Punischen Krieg (218 bis 202 v. Chr.) beim Vormarsch auf Rom stoppten. «Die Mücken leisteten einen entscheidenden Beitrag, Rom gegen Hannibal und seine Truppen zu verteidigen», so Winegard. «Damit war der Grundstein für den Aufstieg des Römischen Reiches und die Vorherrschaft über den Mittelmeerraum und darüber hinaus gelegt.»

Mit Malaria gegen Syphilis

Von den Kriegen der alten Griechen über die christlichen Kreuzzüge im Mittelalter bis hin zur Kolonialisierung Kubas durch die USA im 19. Jahrhundert: Immer setzt die Mücke mit kleinen Stichen grosse Akzente. So hat Christoph Kolumbus (1451–1506) bei der Eroberung Amerikas unwissentlich Mücken im Schlepptau. Winegard: «Die unbeabsichtigte biologische Kriegsführung durch schleichende Fremdinfektion erschütterte den Kontinent in seinen Grundfesten und raffte die indigene Urbevölkerung in Rekordzeit dahin.»

Die Mücke ist allerdings nicht parteiisch und kann auch Gutes bewirken. Gemäss Winegard befördert erst sie die Abschaffung der Sklaverei im amerikanischen Sezessionskrieg (1861–1865). 1862 sind die Unionstruppen unter Befehlshaber Abraham Lincoln (1809–1865) durch Malaria derart geschwächt, dass sie zu nichts zu gebrauchen sind; Lincoln und seine Ratgeber einigen sich auf ein neues Vorgehen: die vollständige Vernichtung der konföderierten Streitkräfte und die Politik einer erzwungenen Kapitulation des Südens durch Aushungern. «Mittel zum Zweck war hier die Abschaffung der Sklaverei, wodurch Wirtschaft und Kriegsanstrengungen der Boden entzogen werden sollte.» Mit Erfolg.

Einmal in der Menschheitsgeschichte ist Malaria sogar Mittel gegen eine andere Krankheit: 1917 setzt der österreichische Psychiater Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) die einzelligen Parasiten aus Mücken gegen die Syphilis ein. Das Ziel: Mit Malaria Fieberschübe mit bis zu 42 Grad Celsius auslösen, sodass das hitzeempfindliche Bakterium der Geschlechtskrankheit abstirbt. Und es funktioniert: «Die Patienten tauschten den sicheren, qualvollen Tod durch die Syphilis gegen Malaria, die in diesem Fall das kleinere der beiden Übel war», so Winegard. «Die Stechmücken waren nun Mörder und Retter zugleich.»

«Der stumme Frühling» beflügelte Umweltbewegung

Doch der Höhenflug der Mücke dauert nicht lange: 1928 macht die Entdeckung des Antibiotikums Penicillin die Malariatherapie überflüssig, und 1939 rückt man der Mücke mit dem in der Schweiz entwickelten Insektizid DDT erstmals gründlich zu Leibe. Mit fatalen Folgen für die Natur, wie 1962 die US-Biologin Rachel Carson (1907–1964) in ihrem Bestseller «Der stumme Frühling» aufdeckt: «Die selten erwähnte, aber für jedermann sichtbare Wahrheit ist, dass sich die Natur nicht so einfach umformen lässt und die Insekten Mittel und Wege finden, unsere Angriffe mit Chemikalien zu vereiteln.» Der Beginn der modernen Umweltbewegung.

In der Schweiz ist der Einsatz von DDT seit 1972 verboten. Dafür kommen andere Mittel zum Einsatz, die das aktuelle Insektensterben befördern. «Und die Mücken sind mittlerweile resistent geworden», sagt Cherix. Im Moment seien Insektizide nicht so wirkungsvoll oder gar gefährlich, sodass man aufgehört habe, sie zu benutzen. «Andere Techniken, die in Entwicklung sind – etwa das Bestrahlen und Sterilisieren der Männchen –, kommen nur in sehr kleinen Schritten voran.» Deshalb braucht es weiterhin rohe Gewalt, um eine Mücke mit der Hand an die Wand zu klatschen.

Timothy C. Winegard, «Die Mücke – das gefährlichste Tier der Welt und die Geschichte der Menschheit», Terra Mater

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