Schweizer Wildtierfotograf Peter Dettling
«Menschen sind viel gefährlicher als Wölfe»

Mit seinem neuen Buch «Wolfsodyssee» entführt uns der Wildtierfotograf und Autor Peter Dettling in die unbekannte Welt der wilden Wölfe.
Publiziert: 04.04.2020 um 15:08 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2020 um 22:25 Uhr
Dana Liechti

Unzählige Stunden hat er auf die Wölfe gewartet. Hat in eisiger Kälte oder strömendem Regen gesessen, versteckt hinter einem Baumstumpf oder in einem Gebüsch. Oftmals vergebens. Trotzdem hat der Bündner Wildtierfotograf und Autor Peter Dettling (47) nie aufgegeben und immer an seinem Ziel festgehalten: der wahren Natur der Wölfe auf die Spur zu kommen. Es waren Eigenschaften, die er mit den Tieren teilt, die ihm dabei halfen: Geduld, Hartnäckigkeit, ein starker Wille.

16 Jahre lang hat Dettling Wolfsfamilien im Yellowstone-Nationalpark in den USA, im Banff-Nationalpark in seiner Wahlheimat Kanada und in den Bündner Bergen beobachtet. Er war tagelang auf Pirsch, las jedes Buch und jede Studie über Wölfe, die ihm zwischen die Finger kamen.

Unsere Sicht auf Wölfe ist belastet durch Vorurteile

Es gibt wohl keinen anderen Schweizer, der das Wesen der Wölfe so gut kennt wie Peter Dettling. Er war es, der den zurückgekehrten Wölfen in der Schweiz ein Gesicht gab: 2006 schoss Dettling ein Foto des Surselva-Wolfs. Es sollte eines der ersten Bilder von einem Wolf auf Schweizer Boden werden. Und einer dieser Momente, für die Dettling es in Kauf nahm, manchmal tage-, ja wochenlang auf Wolfs-Pirsch zu sein – ohne den Wolf je zu Gesicht zu bekommen. «Ich war manchmal nahe dran, aufzugeben», sagt Dettling. «Aber oft passierte genau dann etwas Magisches: Ein Wolfsvater kämpfte vor meinem Versteck mit einem Grizzlybären, oder ich konnte Wolfswelpen beim Herumtollen beobachten.»

Wildtierfotograf und Autor Peter Dettling kennt das Wesen der Wölfe wie kaum ein anderer Schweizer.
Foto: Peter A. Dettling
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Jetzt hat Peter Dettling sein Wissen über die Wölfe aufgeschrieben. In seinem aktuellen Buch «Wolfsodyssee» thematisiert der Fotograf unsere durch Vorurteile und unheilvolle Geschichten belastete Sicht auf die Tiere. Und zeigt: Den bösen, blutrünstigen Wolf gibt es nur im Märchen. Dettling zeichnet ein ganz anderes, liebevolles Bild der Tiere. Die Wölfe als wichtige Schlüsselfiguren für ein gesundes Gleichgewicht in der Natur. Als loyale, intelligente und liebende Wesen mit starkem Familiensinn.

Es sind Passagen wie jene, in denen Dettling das freudige Wiedersehen einer Wolfsmutter mit ihrem Nachwuchs oder die friedliche Szenerie eines unter einem Baum dösenden Jungwolfs beschreibt, die nach der Lektüre von «Wolfsodyssee» in Erinnerung bleiben.

Kein Verständnis für Jagdgesetzrevision

Dass das Buch kurz vor der mittlerweile wegen Corona verschobenen Abstimmung zur Jagdgesetzrevision im Mai erscheint, ist kein Zufall. Denn für die Bestrebungen des Bundes, den Schutz des Wolfs zu lockern, hat Dettling kein Verständnis. Schon heute sei dieser extrem eingeschränkt. «In den letzten 24 Jahren hat das Bundesamt für Umwelt 28-mal eine Abschussgenehmigung erteilt. Und insgesamt 45 Wölfe wurden tot aufgefunden, nur fünf davon starben ohne menschliche Einwirkung.»

Wenn es um den Schutz der Wölfe geht, kommt in Dettling der Kämpfer zum Vorschein. Zu oft hat er gesehen, wie Wölfe wegen Menschen gelitten haben. Wie sie vertrieben, angefahren, getötet und gewildert wurden. «Meine Arbeit mit den Wölfen hat mir immer wieder die schlimmste Seite des Menschen offenbart», sagt er. Menschen seien viel gefährlicher als Wölfe. «Wir provozieren durch unser Handeln eines der grössten Artensterben, das der Planet je gesehen hat. Der Wolf dagegen ist – aus Sicht der Natur – ein Heiliger.»

Wölfe sind uns ähnlich

Den Hass auf die Tiere wird Dettling nie verstehen. «Es sollte uns nicht schwer fallen, das Land mit den Wölfen zu teilen», sagt er. «Sie sind uns mit ihrem geselligen Familienverhalten nämlich so ähnlich wie keine andere Tierart. Intuitiv kennen wir sehr wohl die Bedürfnisse der Wölfe und wie schlecht es zum Beispiel ist, ihre Familie durch politisch motivierte Abschüsse immer wieder auseinanderzureissen.»

Aber ob ein Mann, der den Wölfen so nah ist, in seinem Buch nicht zu voreingenommen über sie urteilt? «Diese Gefahr bestand sicher», sagt Dettling. «Empathie kann aber nur dann entstehen, wenn wir die respektvolle Nähe zu den wilden Tieren erfahren. Darum sollten meine persönlichen Erlebnisse und Emotionen im Buch Platz haben.» Trotzdem verweist Dettling auf den fast 300 Seiten auch immer wieder auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Studien, die seine Beobachtungen stützen. Er durchleuchtet Argumente von Wolfsgegnern ohne Tendenzen.

Und er beschreibt auch jene Momente ungeschönt, in denen die Wölfe ihre raue Seite zeigen, beim Töten ihrer Beute zum Beispiel. «Ich wollte zeigen, wie der Wolf wirklich ist», sagt Peter Dettling. Es ist ihm gelungen. Wer das Buch zu Ende liest, hat eine Reise zu den Wölfen gemacht – und tief in ihre Seelen geblickt. Das Warten hat sich gelohnt.

Im Wolfsland

Peter A. Dettling: «Wolfsodyssee. Eine Reise in das verborgene Reich der Wölfe»,
Werd-Verlag, 39 Franken, www.werdverlag.ch, www.PeterDettling.com

Peter A. Dettling: «Wolfsodyssee. Eine Reise in das verborgene Reich der Wölfe»,
Werd-Verlag, 39 Franken, www.werdverlag.ch, www.PeterDettling.com

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