Die unbeliebteste Hausarbeit stirbt aus
Warum Schweizer nicht mehr bügeln wollen

Bügeln hat sich in der Schweiz von einer prestigeträchtigen zur unbeliebtesten Hausarbeit entwickelt. Wie kam es dazu? Auf den Spuren einer vom Aussterben bedrohten Tätigkeit.
Publiziert: 18.08.2019 um 11:45 Uhr
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Aktualisiert: 08.01.2021 um 23:43 Uhr
Jonas Dreyfus

Mit der flachen Hand streicht er über den Hemdsärmel, bis keine Falte mehr spürbar ist zwischen Stoff und Bügelbrett. Für diesen Schritt müsse man sich genügend Zeit nehmen, sagt Adrian Lanzrein (55). «Sonst wird das nichts.»

Anschliessend fährt der Familien­vater und SAP-Berater aus Arbon TG mit dem zischenden Eisen über den Ärmel. Von der Schulternaht zur Manschette bildet sich eine Falte.

Lanzrein bügelt mit seinem Dampfbügelsystem seit dreissig Jahren wöchentlich Hemden und schaut dazu Dokumentarfilme, die er aus dem Fernsehprogramm aufnimmt. Etwa vier Minuten braucht er für ein Hemd. Das ist rund doppelt so lange wie ein Profi, für einen Laien aber ein guter Wert.

Adrian Lanzrein (55) aus Arbon TG bügelt seine Hemden seit dreissig Jahren. Spass macht es ihm keinen.
Foto: Philippe Rossier
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«Meine Frau hat vorgeschlagen, die Sache outzusourcen, wie das viele Städter tun», sagt er. «Dafür bin ich aber zu sehr Landei. Das Geld reut mich.» Seine Mutter hat ihm das Bügeln beigebracht. «Spass hatte ich nie daran. Es muss einfach gemacht werden.»

Das Bügeln und die Klischees

Lanzreins Unlust deckt sich mit der vieler Schweizer. Bei einer Befragung des Immobilienmarktplatzes Homegate.ch von 1294 Schweizern stand Bügeln jüngst auf Platz eins der unbeliebtesten Hausarbeiten.

Als Journalist eine Privatperson zu finden, die selbst bügelt und darüber sprechen will – im Jahr 2019 ein dementsprechend schwieriges Unterfangen.

Doppelt erschwerend: Welche Frau möchte schon mit einer Tätigkeit in Ver­bindung gebracht werden, die sie ungewollt aufs Hausfrauendasein reduzieren könnte. Und welcher bügelnde Mann möchte den falschen Eindruck erwecken, dass er gefeiert werden will für etwas, das dem Klischee nach hauptsächlich Frauen tun.

Lanzrein erhofft sich mit seinem medialen Auftritt als Bügler, Werbung zu machen fürs Oldtimerboot MS Mars, das er auf dem Bodensee mit einem Verein als Event- Location bespielt.

Selbst Putzfrauen tun sich schwer damit

Was ist so schlimm am Glätten von Klamotten? Dass man es richtig machen muss – oder gleich bleiben lassen kann. Vor allem beim meistgebügelten Kleidungsstück, dem Hemd.

Einem geschulten Auge fällt auf, wenn der Sattel, wie das Rechteck unter dem Nacken fachsprachlich heisst, zerknittert ist. Mit Knöpfen befestigte Kragen, sogenannte ­Button-Downs, müssen geöffnet werden, um sie flach auf dem Brett auslegen zu können. Genauso wie die Manschetten. Das braucht Zeit. Viel Zeit.

Selbst professionellen Reinigungskräften ist das zu mühsam. Bei der Agentur Putzfrau.ch bieten nur 30 Prozent der 1800 Mitarbeiter diesen Service an.

Viele junge Schweizer hielten noch nie ein Bügeleisen in der Hand

«Früher war Bügeln Prestige­sache», sagt Lisa Vogt (51), Leiterin der Hauswirtschaftsausbildung am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg AG. «Meine Mutter wäre jetzt 90 Jahre alt. Sie war immer sehr stolz auf ihren gut geführten Haushalt. Wer in ihrer Generation seine Leintücher nicht perfekt gebügelt und millimetergenau zusammengelegt im Schrank stapelte, galt als schlechte Hausfrau.»

Vogt verantwortet an der Liebegg den Fachkurs Bäuerin, den fast ausschliesslich Frauen ­belegen. Viele junge Schweizer hätten noch nie ein Bügeleisen in der Hand gehalten, sagt sie, weil die Eltern sie nie in die Hausarbeit mit eingebunden hätten.

Zu wenig Zeit, zu wenig Wertschätzung

«Wir lehren unsere Schülerinnen, wie sie fachlich richtig bügeln, versuchen aber nicht, den Anspruch an die Perfektion hochzuhalten. Es gibt noch genug anderes zu tun auf einem Hof.» Sie fände es gut, dass heute weniger gebügelt wird als früher, wo sogar Unter­hosen, Socken und Arbeitskleidung aufs Brett kamen, sagt Vogt.

Bügeln ist keine «zeitkritische» Tätigkeit wie die Zubereitung von Mahlzeiten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein müssen. Folglich bügeln laut Vogt viele abends vor dem Fernseher, also in der Freizeit.

Über 70 Prozent der unbezahlten Hausarbeit, die in der Schweiz anfällt, erledigen gemäss Bundesamt für Statistik Frauen – Arbeit, die wenig Wertschätzung erfährt. Vogt: «Dass sich das ändert, ist ein wichtiges Ziel der Bäuerinnenausbildung.»

Im Schulunterricht ist Bügeln passé

Bis in die 1970er-Jahre lernten Schüler in der Schweiz – je nach Kanton – in der Handarbeit bügeln, danach teilweise im Fach Haus­wirtschaft.

Im Fachbereich «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» des Lehrplans 21, der ab 2021 in allen Kantonen in Kraft tritt, wird Bügeln nicht explizit erwähnt. Es hängt von der einzelnen Lehrperson ab, ob die Schüler es praktisch üben.

Für eine ganze Klasse Bügelbretter und -eisen zu beschaffen, ist teuer. Der Lehrplan 21 sieht sowieso vor, den Hauswirtschaftsunterricht zu modernisieren und an Zeiten anzupassen, in denen vieles ausgelagert wird. Neben der Zubereitung von Essen auch das Bügeln.

Für die Wäsche keinen Schritt mehr machen

Der Hauptgrund fürs «Outsourcing»: Zeit ist in der optimierten Gesellschaft ein wertvolles Gut. Laut Terlinden, dem Branchen­führer für Textilpflege in der Region Zürich, «sourcen» viele berufstätige Schweizerinnen und Schweizer das Bügeln aus, weil sie ihre spärliche Freizeit nicht damit verbringen wollen.

Sie bringen ihre Hemden und Blusen in die Textilpflege, besser bekannt als Reinigung, wo Mit­arbeiter sie meistens auf eine Büste ziehen und dort pressen oder mit Dampf glätten. Das geht schnell, stra­paziert jedoch die Nähte und Knopflöcher. Knöpfe aus Perlmutt können durch die Hitze sogar zersplittern. Inklusive Reinigung kostet ein maschinell gebügeltes Hemd rund vier Franken.

Im Jahr 2016 gab es in der Schweiz gemäss den aktuellsten Zahlen des Bundesamts für Statistik 644 Arbeitsstätten für Textilpflege, in denen 2463 Per­sonen ­tätig waren. Damit die Kundschaft noch weniger tun muss, stellt Terlindens Konkurrent Cleaning Store in Niederlassungen von Gross­firmen, darunter vielen Banken, einen Terminal mit ­Bedien- und Bezahl-App auf. Mitarbeiter können ihre schmut­zige Oberbekleidung in einen Container werfen und nach 48 Stunden gereinigt und gebügelt wieder abholen.

So ersparen sich die Kunden den Weg in die Reinigung – sofern sie überhaupt noch etwas besitzen, das gebügelt werden muss. Denn immer weniger Berufstätige erscheinen im Hemd zur Arbeit. Mode ist heute so zwanglos wie noch nie.

Bügelfreie Hemden kämpfen mit schlechtem Image

Gleichzeitig bringt die Textil industrie immer mehr pflegeleichte Stoffe auf den Markt, die Marken mit Hilfe von dynamischen Attributen wie «Easy Care» oder «Dry Technology» bewerben.

Dass dem bügelfreien Hemd ein spiessiges Image anhaftet, liegt mehr an den altmodischen Schnitten, die Designer ihm oft ver­passen, als an der Beschaffenheit des Materials.

Dieses besteht meistens aus einem Mischgewebe aus Baumwolle, Polyester und Elastan. Auch knitterfreies aus hundert Prozent Baumwolle ist erhältlich. Es muss mit mehr Kunstharzen behandelt werden als knitterfreies aus Mischgewebe. Nach circa ­dreissig Waschgängen nimmt die Wirkung der Chemikalien ab.

Nicht alle glauben ans bügelfreie Hemd

Bringen Kunstfasern Hemdenträger ins Schwitzen? «Nein», sagt Andrea Hagmann (50), Dozentin an der Schweizerischen Textilfachschule in Zürich, «das ist ein Ammenmärchen.»

An das Non-Iron-Hemd glaubt sie aber nicht. Ihrer Meinung nach muss man «bügelfreie» Hemden glätten, es gehe einfach viel leichter. «Ich habe ganz andere ­Ansprüche an das Ergebnis als Angehörige jüngerer Generationen», fügt Hagmann an.

Für ihre Studenten gehört das Bügeln zum Studienalltag. «Zerknitterte Stoffe kann man nicht nähen. Und nach dem Schneidern eines Kleidungsstücks wird immer nochmals alles perfekt in Form gebügelt.»

Zumindest in der Modeindustrie wird das Bügeln von Hand also weiterleben. Im Alltag hat es keine grosse Zukunft.

Eufemia Stadler (63): «Ich würde meine Wäsche niemals aus der Hand ­geben»

Frau Stadler, vor zehn Jahren haben Sie in Hamburg in 57 Stunden und 38 Minuten 555 Hemden am Stück gebügelt. Warum tut man sich das an?
Mich reizte die sportliche Herausforderung – Dauerbügeln ist vor allem eine Sache der Kraft und der Ausdauer. Ich bin damals auch Ultramarathons gelaufen.

Wer hat Ihnen das Bügeln beigebracht?
Die Italienerinnen in der Reinigung, die ich besass, nachdem ich 1982 von Costa Rica in die Schweiz kam.

Vorher konnten Sie es nicht?
Nein, ich musste es von Grund auf lernen. Meine Mutter war zwar eine sehr gute Büglerin und hat noch mit einem Eisen gearbeitet, in das sie glühende Kohle füllen musste. Ich war allerdings nicht daran interessiert, es von ihr zu lernen.

Warum nicht?
Ich habe Medizin studiert und war eigentlich immer nur mit Büchern beschäftigt.

Sie waren zweimal Rekordhalterin im Langzeitbügeln, inzwischen wurden Sie übertrumpft. Wie sehr fuchst Sie das?
Aus meiner Sicht wurde mein Rekord nicht gebrochen, weil ich als Einzige langärmige Hemden gebügelt habe, was am kompliziertesten ist.

Für den letzten Rekord haben Sie fast 60 Stunden lang gebügelt. Irgendwann mussten Sie sicher mal eine Pause
einlegen, oder?
Mir wurden fünf Minuten Pause pro Stunde zugestanden, die ich sammeln konnte. Nach 24 Stunden bezog ich jeweils zwei Stunden, um auf die Toilette zu gehen und mich kurz hinzulegen.

Wie viele Hemden bügeln Sie unter normalen Umständen pro Stunde?
22 Stück. Das ergibt pro Hemd 2,7 Minuten – Abhängen und Wiederaufhängen inklusive.

Inzwischen haben Sie Ihre Reinigung verkauft. Überlassen Sie Ihre Wäsche heute dem neuen Besitzer?
Ich würde meine Wäsche niemals aus der Hand geben. Sie ist für mich etwas ganz Persönliches.

Frau Stadler, vor zehn Jahren haben Sie in Hamburg in 57 Stunden und 38 Minuten 555 Hemden am Stück gebügelt. Warum tut man sich das an?
Mich reizte die sportliche Herausforderung – Dauerbügeln ist vor allem eine Sache der Kraft und der Ausdauer. Ich bin damals auch Ultramarathons gelaufen.

Wer hat Ihnen das Bügeln beigebracht?
Die Italienerinnen in der Reinigung, die ich besass, nachdem ich 1982 von Costa Rica in die Schweiz kam.

Vorher konnten Sie es nicht?
Nein, ich musste es von Grund auf lernen. Meine Mutter war zwar eine sehr gute Büglerin und hat noch mit einem Eisen gearbeitet, in das sie glühende Kohle füllen musste. Ich war allerdings nicht daran interessiert, es von ihr zu lernen.

Warum nicht?
Ich habe Medizin studiert und war eigentlich immer nur mit Büchern beschäftigt.

Sie waren zweimal Rekordhalterin im Langzeitbügeln, inzwischen wurden Sie übertrumpft. Wie sehr fuchst Sie das?
Aus meiner Sicht wurde mein Rekord nicht gebrochen, weil ich als Einzige langärmige Hemden gebügelt habe, was am kompliziertesten ist.

Für den letzten Rekord haben Sie fast 60 Stunden lang gebügelt. Irgendwann mussten Sie sicher mal eine Pause
einlegen, oder?
Mir wurden fünf Minuten Pause pro Stunde zugestanden, die ich sammeln konnte. Nach 24 Stunden bezog ich jeweils zwei Stunden, um auf die Toilette zu gehen und mich kurz hinzulegen.

Wie viele Hemden bügeln Sie unter normalen Umständen pro Stunde?
22 Stück. Das ergibt pro Hemd 2,7 Minuten – Abhängen und Wiederaufhängen inklusive.

Inzwischen haben Sie Ihre Reinigung verkauft. Überlassen Sie Ihre Wäsche heute dem neuen Besitzer?
Ich würde meine Wäsche niemals aus der Hand geben. Sie ist für mich etwas ganz Persönliches.

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