Wandern auf Madeira
Meditative Magie auf der Insel

Neun Tage, 160 Kilometer, 4982 Höhenmeter und 197 299 Schritte: Wir haben Madeira bei einer geführten ­Inselüberschreitung der Länge nach durchquert.
Publiziert: 24.02.2017 um 10:04 Uhr
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Aktualisiert: 02.03.2020 um 17:36 Uhr
Idylle auf Madeira: Auf dem Weg zum Encumeada-Pass.
Foto: Gerald Bretterbauer
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Jörg Bertram

Eiland des ewigen Frühlings wird Madeira auch genannt. Davon ist auf der Ponta de São Lourenço am Anfang des Frühlings nichts zu spüren. Stattdessen jagen tief liegende Atlantikwolken, Bodennebel und Regenschauer über die Halbinsel. Keine schönen Aussichten auf die nächsten neun Tage, die an Madeiras südöstlichem Ende ihren Anfang nehmen. Doch Jammern lässt Christa Dornfeld (63) nicht gelten. Wer bei der österreichstämmigen «staatlich geprüften portugiesischen Wanderführerin» die Inselüberschreitung gebucht hat, wandert bei jedem Wind und Wetter.

Eine Stunde nach dem Aufbruch hat sich das schlechte Wetter wieder verzogen. Wenn es jetzt noch plätschert, gurgelt, rauscht und tropft, dann liegt das nicht am Regen, sondern an Madeiras Levadas – pittoresken, künstlich angelegten Kanälen zur Wasserversorgung.

Der Wassermusik entlang navigieren

Das Wasser der Levadas gibt auf der Insel den Ton an – und oft die Wanderroute vor. Rund 1300 der steinernen Kanäle durchfliessen auf 2000 Kilometern Länge die Insel. Ein uraltes Wegnetz, das aufwendiger Pflege bedarf, damit nichts leckt oder verstopft. Dafür wurden entlang der Levadas schmale Uferpfade angelegt. Die Levadeiros, hauptberufliche «Wächter des Wassers», nutzen sie für ihre Kontrollgänge. Den Wanderern dienen sie als Navigationssystem, das sie sicher über die Insel leitet. Nur da, wo die Wassermusik der Levadas von Dur auf Moll wechselt, weil Felsen den Weg versperren, ist Trittsicherheit gefordert.

Da es entlang der Route keine gruppentauglichen Unterkünfte gibt, hat Christa das Basislager unserer sechzehn Teilnehmer umfassenden Expedition in einem Hotel in Canico de Baixo aufschlagen lassen. Von hier aus bringt uns der Bus morgens zum Endpunkt des vorherigen Tages. Zugegeben, Abenteuer geht anders. Aber einen Survival-Trip hat ja auch keiner gebucht. Was die meisten von uns bewegt, ist der Weg, der ja bekanntlich das Ziel sein soll.

«Wandern ist eine Tätigkeit der Beine – und ein Zustand der Seele», hat der Schriftsteller Josef Hofmiller einmal festgestellt. Ob es stimmt? Fest steht jedenfalls, dass das Wandern unsere Gruppe tatsächlich verändert. Die Ehrgeizigen werden langsamer und die Nachzügler schneller. Wir reden weniger, lächeln jedoch mehr und verfallen irgendwann in einen Gleichschritt, von dem etwas Magisch-Meditatives ausgeht.

Die Landschaften, durch die wir wandern, wechseln oft in den ersten drei Tagen: Glaubt man am ersten Morgen, in den schottischen Highlands zu sein, wähnt man sich am Nachmittag bereits in der Karibik. Das liegt an den Palmen und dem türkisblauen Meer von Porto da Cruz. Es liegt aber auch am Aguardente, dem heimischem Zuckerrohrschnaps, der mit Limettensaft und Honig vermischt das Nationalgetränk Poncha ergibt.

Abwechslung auf Schritt und Tritt, langweilig wird einem nie. Erst recht nicht, wenn man mit Christa Dornfeld unterwegs ist. So gut wie die 63-Jährige kennt kaum ein Einheimischer die Wasserwege, die Wälder und Wiesen der Insel. Monatelang hat sie sich die Route selbst erwandert, hat unterwegs nach alten Trampelpfaden gefragt und zu Hause eigene, detaillierte Landkarten gezeichnet. Kein Wunder, dass die komplette Inselbeschreitung so nur bei ihr im Programm steht und wir manchmal stundenlang keiner anderen Wandererseele begegnen.

Hochalpiner Aufstieg – neben dem Parkplatz

Das ändert sich jedoch in Monte. Tausende Touristen zieht es täglich in das Dörfchen über der Hauptstadt Funchal. Die meisten schweben mit der Gondelbahn ein und rutschen später mit den berühmten Korbschlitten wieder talwärts. In der Zwischenzeit besuchen sie das Grab des letzten österreichischen Kaisers. Nur wenige Monate waren Karl I. im madeirischen Exil vergönnt, dann starb er an einer Lungenentzündung.

Am vierten Tag wagen wir uns ins Zentralmassiv und erreichen nach einem strammen Anstieg den Pico do Arieiro. 1818 Meter misst Madeiras dritthöchster Berg. Uns mag die Insel in diesen Tagen zwar die grosse weite Welt bedeuten, aber hier oben wird klar, dass sie letztendlich doch nur ein winziges Fleckchen Waldgrün, Blütenbunt und Felsengrau im unendlichen Atlantikblau ist.

Die nächste Etappe hinüber zum höchsten Gipfel ist nichts für Höhenängstliche. Es geht durch hochalpine Landschaft mit schmalen Stiegen, steilen Treppen und drahtseilgesicherten Wegen. Hinter jeder Kurve wartet ein neuer Ausblick, der einem den Atem raubt – vor Glück, manchmal auch vor Erschöpfung und Ehrfurcht. Und dann stehen wir auf dem 1862 Meter hohen Pico Ruivo – der erhabene Moment wird nur dadurch getrübt, dass wir ihn mit all jenen teilen müssen, die den kurzen Aufstieg vom nahe gelegenen Parkplatz gewählt haben. Am nächsten Tag wandern wir hinunter auf den Boca da Encumeada, Madeiras niedrigsten Gebirgpass. Ein Abstieg von 800 Metern, der am Ende mit köstlichen Empanadas, mit Fleisch oder Käse gefüllten Teigtaschen, in einer Bar an der Passstrasse belohnt wird. Sieben Tage sind wir schon unterwegs. Eine Zeit, in der wir viel gelernt haben. Über die Insel, über uns selbst und über die anderen, mit denen wir dieses Stückchen Lebensweg gemeinsam gehen.

Und dann kommt er, der letzte Tag und der letzte Abstieg hinunter nach Porto Moniz. Am schwarzen Steinstrand ist Madeiras nordwestliches Ende erreicht. Vielleicht liegt es ja nur am starken Wind, dass die meisten Tränen in den Augen haben. Vielleicht weinen wir aber auch aus Glück und Stolz und all den anderen Gefühlen, denen man beim Wandern einmal freien Lauf lassen kann.

Reistipps für Madeira

Insel: Das Inselarchipel Madeira ist eine portugiesische Enklave, die 600 km vor Marokko im Antlantik liegt. Sie hat ca. 235'000 Einwohner.

Reisedaten: Madeira-Inselüberschreitungen werden zwischen April und Oktober angeboten. 2017 findet sie an sieben Terminen statt. Die Route führt entweder vom Südosten der Insel in den Nordwesten – oder umgekehrt.

Veranstalter: Buchbar ist die Tour über weltweitwandern.at. Im Preis (ca. 2010 Franken) sind ausser der geführten Wanderung auch die Flüge, sämtliche Transfers sowie die Hotelübernachtungen (14 Tage) inbegriffen. Vor und nach der 9-tägigen Tour bleiben somit noch 2 bzw. 3 Tage zum Akklimatisieren bzw. für Ausflüge auf eigene Faust.

Highlights: In Porto Moniz an der nordwestlichen Inselspitze liegen aus Lava natürlich geformte Pools – ideal für Schnorchler. Von Monte zur Hauptstadt Funchal hinunter lässt man sich rasant mit Korbschlitten transportieren.

Anreise: Mit dem Flugzeug von Zürich Kloten aus in rund vier Stunden – oder mit der Fähre vom portugiesischen Portomaio an der Algarve.

Geld: Das Preisniveau ist ein wenig tiefer als in der Schweiz. Achtung: An vielen Geldutomaten der Insel lassen sich pro Tag bloss
200 Euro beziehen.

Insel: Das Inselarchipel Madeira ist eine portugiesische Enklave, die 600 km vor Marokko im Antlantik liegt. Sie hat ca. 235'000 Einwohner.

Reisedaten: Madeira-Inselüberschreitungen werden zwischen April und Oktober angeboten. 2017 findet sie an sieben Terminen statt. Die Route führt entweder vom Südosten der Insel in den Nordwesten – oder umgekehrt.

Veranstalter: Buchbar ist die Tour über weltweitwandern.at. Im Preis (ca. 2010 Franken) sind ausser der geführten Wanderung auch die Flüge, sämtliche Transfers sowie die Hotelübernachtungen (14 Tage) inbegriffen. Vor und nach der 9-tägigen Tour bleiben somit noch 2 bzw. 3 Tage zum Akklimatisieren bzw. für Ausflüge auf eigene Faust.

Highlights: In Porto Moniz an der nordwestlichen Inselspitze liegen aus Lava natürlich geformte Pools – ideal für Schnorchler. Von Monte zur Hauptstadt Funchal hinunter lässt man sich rasant mit Korbschlitten transportieren.

Anreise: Mit dem Flugzeug von Zürich Kloten aus in rund vier Stunden – oder mit der Fähre vom portugiesischen Portomaio an der Algarve.

Geld: Das Preisniveau ist ein wenig tiefer als in der Schweiz. Achtung: An vielen Geldutomaten der Insel lassen sich pro Tag bloss
200 Euro beziehen.

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