Unterwegs auf der Grand Tour of Switzerland
Wo 007 auf das Mittelalter trifft

Das Wallis ist bekannt für Berge, Schnee und Gletscher. Nicht mit uns! Wir bleiben im Rhonetal und entdecken Spuren einer faszinierenden Geschichte.
Publiziert: 22.09.2015 um 14:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 18:23 Uhr
Weinberge und Mittelalter: Unterwegs im malerischen Rhonetal bei Saillon.
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Kein Lufthauch darf durch das Atelier wehen. Sonst stäubt das mikroskopisch-dünne Blattgold davon. Tiefgebeugt sitzt Ursi Fäh über dem Tisch und tupft mit einem Pinsel das edle Metall auf ein Pergament. Auf der Tierhaut zeichnet sich der Strahlenkranz einer Madonna ab.

Auf unserer vierten Etappe auf der Grand Tour of Switzerland sind wir diesmal im Wallis unterwegs - und sind im Dorf Saillon kopfüber im Mittelalter gelandet. Dabei begann doch alles ganz anders: mit einer filmreifen Fahrt über den Furkapass - hier wurden einige Szenen des James-Bond-Streifens «Goldfinger» gedreht. An der Passstrasse sitzen drei ergraute Damen wie ehemalige Bond-Girls am Abgrund und picknicken. Hartgekochte Eier, Honigmelone, dazu Grapefruitsaft und Tee. «Wir sind auf Pässetour», erläutern sie. «Wir lieben die Berge. Welche Pässe fahren Sie heute noch?» «Keine, ich bleibe im Rhonetal», antworte ich. «Oh, Sie Armer!»

Mal was anderes

Ja, die Sache mit dem Wallis ist ein bisschen verzwickt: Mehr als drei duzend 4000er sind hier die Stars. Mehr Berg gibt es in den Alpen nicht. Wer hierher kommt, will hoch hinaus - das Rhonetal ist nur Durchgangsstation. Grund genug für uns, den Spiess umzudrehen: Wir pfeifen auf die Berge und bleiben im Tal. Sorry, Promi-Saas-Fee, Unesco-Aletschgletscher und Matterhorn-Zermatt! Dieses Mal lassen wir euch links liegen und folgen der Rhone von ihrer Quelle am Rhonegletscher bis (fast) zum Genfersee. 150 Kilometer, die es in sich haben.

Denn das Rhonetal war seit jeher wichtiges Grenz- und Durchgangsgebiet. Klar, dass unsere Reise zur Vergangenheit mit ihren Schätzen führt. Frühste Zeugnisse gehen auf die Römer zurück, welche die Region von Christi Geburt bis ins 5. Jahrhundert beherrschten. Während die römischen Brocken fraglos beeindruckend sind, die Schätze des Rhonetals sind seine mittelalterlichen Burgen, Dörfer und Kirchen (siehe Box).

Auf den Spuren der Buchmalkunst

«Ach, das Mittelalter, das ist doch schon längst Geschichte», mag einer sagen. Stimmt, doch im Dörfchen Saillon ist es noch immer lebendig. In Ursi Fähs Atelier fühlen wir uns wie in einer mittelalterlichen Hexenküche. Eiweiss, Farbpigmente, Gummi Arabicum und Honigwasser mixt die gelernte Glasmalerin in einer Schale zusammen. Was klingt wie ein alchimistischer Verjüngungs-Cocktail, ist die Formel für die Buchmalkunst.

«Ich arbeite aussschliesslich nach original mittelalterlichen Rezepten». Fähs Mittelalter-Handwerk ist hier in Saillon allerdings nicht die einzige Attraktion aus längst vergangenen Tagen: Der Mittelalterverein «La Bayardine» organisiert alle vier Jahre das grösste Mittelalterspektakel der Region.

Ab ins Kloster

Ein Mittelalter-Erlebnis mit Europarekord und Heldengeschichte gibt es auch 20 Autominuten Rhone abwärts: Die Abtei St. Maurice ist das älteste durchgängig bewohnte Kloster Europas. Seit genau 1500 Jahren wird hier gebetet und dem Märtyrer Mauritius gehuldigt. Jener, ein christlicher römischer Soldat, weigerte sich, seine Glaubensbrüder zu ermorden. Er bezahlte im Jahr 290 n Chr. dafür mit seinem Leben und wurde schon bald als Heiliger verehrt.

«Zwar gibt es ältere Klöster, aber wir sind das Einzige, das ohne Unterbruch besteht», sagt Pater Thomas stolz. Der Augustiner Chorherr hat die neue Ausstellung zum 1500. Geburtstag mitkonzipiert. Zu sehen gibt es die Grundmauern der ersten Kirchen aus dem Frühmittelalter, die sich an die Felswand kuschelten. Bautechnisch war das ein Fehler: Steinschlag zerstörte die Bauten regelmässig. Der Grund, warum die heutige Kirche aus dem 17. Jahrhundert um 90 Grad gedreht wurde.

Highlight des Rundgangs ist die Schatzkammer des Klosters, die kostbare Geschenke von Königen und Kaisern aufbewahrt. Manche Abendmahlkelche, Kannen und Reliquienschreine sind über 1000 Jahre alt und unvergleichliche Zeugnisse mittelalterlicher Goldschmiedekunst. Unbedingt sehenswert!

Unsere Stippvisite in der Vergangenheit endet mit einem Besuch beim Chorgebet in der Basilika. Singend preisen die Mönche die Herrlichkeit Gottes. Sind wir nun wirklich im Mittelalter gelandet?

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