Kulturhaupststadt 2019
Darum lohnt sich ein Besuch in Matera

Die Lebensbedingungen in der süditalienischen Stadt Matera galten vor 70 Jahren als Schande. Die Bewohner wurden daraufhin aus der Altstadt umgesiedelt. Ein Glück: Dadurch wurde eine der schönsten Städte Italiens vor der Neubauwut verschont.
Publiziert: 14.01.2019 um 15:32 Uhr
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Aktualisiert: 14.01.2019 um 15:33 Uhr
Christian Bauer
Christian BauerReise-Journalist

In der süditalienischen Stadt Matera gehts zuweilen brutal zu. Auch heute noch sind hier am Stiefelabsatz Kreuzigungen gang und gäbe. Vor drei Jahren wurden zuletzt Menschen ans Holz genagelt, davor 2004. Stadtführerin Dora zeigt auf eine Ebene gegenüber der Altstadt: «Dort stellen sie immer die Kreuze auf.» Der Spot jenseits der tiefen Schlucht ist perfekt – für die Filmcrews, die hierherkommen, um biblische Historienschinken zu filmen; zuletzt der neuste Römerfilm «Ben Hur» (2016) und Mel Gibsons «Die Passion Christi» (2004).

Matera sieht aus wie das historische Jerusalem

Die Wahl der Kulisse ist freilich kein Zufall: Matera in der Provinz Basilikata ist eine Zeitkapsel. Übersieht man Autos und moderne Strassenschilder, fühlt man sich wie in Jerusalem vor 2000 Jahren. Der Ort gilt vielen deshalb als einer der schönsten Flecken Italiens. Und wahrlich: Dem Reiz kann man sich nur schwer entziehen. Wie chaotisch, hingeworfene Legosteine gruppieren sich sandfarbige Häuschen in zwei Taltrichtern. Dazwischen schlängeln sich Treppen und schmale Gässchen, bei denen jedem Mittelalter-Liebhaber das Herz aufgeht – vor allem weil im historischen Kern keine modernen Bauten die Vintage-Idylle stören. Diese stehen in der schmucklosen Neustadt, in der mittlerweile 60'000 Menschen leben.

Die Altstadt ist Unesco Welterbe

Die Altstadt (Sassi) wurde denn auch im Jahr 1993 zum Unseco Welterbe erhoben. Allerdings nicht für die Bauten aus dem Zeitalter der Renaissance, sondern für Materas Unterwelt. Denn der gesamte Sandstein-Berg ist so löchrig wie ein verrosteter Fiat.

Die Altstadt von Matera zählt zu den schönsten Städten Süditaliens.
Foto: Christian Bauer

Seit mehreren tausend Jahren haben die Menschen Höhlen in den weichen Stein gebuddelt, als Kirchen, Werkstätten und Weinkeller und darüber dann ihre kleinen Häuschen gebaut. Doch mit der Verarmung der einfachen Landbevölkerung im 19. Jahrhundert wurden auch die Grotten zum Wohnraum umfunktioniert.

So lebten hier bis in die 1950er-Jahre etwa 30'000 Menschen in katastrophalen Bedingungen, in einem Raum mit ihren Tieren, die in den feuchten Löchern immerhin etwas Wärme spendeten. Nach dem Zweiten Weltkrieg titulierte man deshalb die Stadt als «Schande Italiens» und siedelte die Bevölkerung in neue Retortendörfer um.

Eine rekonstruierte Wohnung. Rechts das Ehebett, links war die Krippe fürs Vieh. Die Kinder schliefen auf den Möbeln.
Foto: Christian Bauer

Die Zwangsevakuierung war nicht nur ein Segen für die Bewohner, sondern auch für die Altstadt, die von Renovierungen verschont blieb. Ende der 80er-Jahre beschloss man schliesslich, die Geiserstadt neu zu beleben. Doch nur wenige Bewohner zogen in die alten Gemäuer – zu kostspielig ist deren Unterhalt (effiziente Heizungs- und Lüftungssysteme sind nötig, um die Räume trocken zu halten). Deshalb finden sich in den Sassi hauptsächlich Boutiquen, Hotels und Restaurants, in denen man mit typisch italienischer Gastfreundschaft überschüttet wird.

Matera 2019 – Zurück in die Zukunft

«Es war für uns lange ein Hobby, aber jetzt wird es ernst», erzählen sich die Menschen in Matera über die überraschende Wahl zur Kulturhautstadt 2019. Unter dem Motto «Open Future» möchte man eine Brücke schlagen zwischen der übermächtigen Vergangenheit und der Zukunft. Dazu stehen Kunstinstallationen, Theaterstücke und Musikaufführen ebenso auf dem Programm, wie Diskussionsrunden und neu angelegte Themenwege. Los geht es am 19. Januar mit einem sternenförmigen Einzug von 130 Marching-Bands, welche die Musiktradition der Region symbolisieren. www.matera-basilicata2019.it

«Es war für uns lange ein Hobby, aber jetzt wird es ernst», erzählen sich die Menschen in Matera über die überraschende Wahl zur Kulturhautstadt 2019. Unter dem Motto «Open Future» möchte man eine Brücke schlagen zwischen der übermächtigen Vergangenheit und der Zukunft. Dazu stehen Kunstinstallationen, Theaterstücke und Musikaufführen ebenso auf dem Programm, wie Diskussionsrunden und neu angelegte Themenwege. Los geht es am 19. Januar mit einem sternenförmigen Einzug von 130 Marching-Bands, welche die Musiktradition der Region symbolisieren. www.matera-basilicata2019.it

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Da kann es vorkommen, dass sich die Restaurantbesitzerin mit an den Tisch setzt, damit der arme Journalist nicht alleine Znacht essen muss. Überhaupt ist die deftige Küche hier gleich mehrere Sünden wert. Unbedingt probieren sollte man das Nudelgericht «Orecchiette con cime», das mit so viel Knoblauch daher kommt, dass es vielleicht gar keine schlechte Idee ist, alleine unterwegs zu sein.

Links sieht man die Eingänge zu ehemaligen Höhlenwohnungen.
Foto: Christian Bauer

Klar, die Sassi sind grösstenteils ein Museumsdorf. Das tut aber dem Charme und den Touristenzahlen keinen Abbruch. Matera zählt zu den beliebtesten Ausflugsorten Süditaliens und wird im Jahr 2019 noch mehr Gäste anlocken. Dann ist Matera neben Plowdiw in Bulgarien Europas Kulturhauptstadt (siehe Box). Dafür wird in der Stadt derzeit fleissig renoviert. Stolz prangt allerorten der Slogan «Working for Matera 2019». «Das wird aber nicht alles fertig werden. Dazu arbeiten die süditalienischen Mühlen zu langsam», sagt Dora. Alles andere würde einen auch wundern, in einer Stadt, die auch als das heilige Jerusalem durchgehen könnte.

Das sollten Sie nicht verpassen:

Casa Cava

In einem unterirdischen Steinbruch mitten in der Altstadt befindet sich dieser Kultur-Space mit Film-, Theater- und Musikaufführungen. www.casacava.it

Casa Grotto

In der rekonstruierten und original eingerichteten Höhlenwohnung kann man das elende Leben der einstigen Tagelöhner nachvollziehen. Schaurig!

Casa Noha

In dem Höhlen-Haus-Mix wird ein Film über die Geschichte der Stadt und die Lebensrealität der Bevölkerung bis in die 50er Jahre gezeigt.

Felsenkirchen

Die wichtigsten kunsthistorischen Bauten sind verschiedene Felsenkirchen mit teilweise 1000-jährigen Fresken. Die schönste Kirche ist die «Cripta del Peccato Originale» etwa acht Kilometer ausserhalb der Stadt. www.criptadelpeccatooriginale.it

La Lopa

Das Restaurant in einer ehemaligen Höhlenwohnung besteht aus drei Ebenen, eine davon fungiert als kleines Kino. Hier wird lokale Hausmannskost aus der Region aufgetischt. www.lalopa.com

Area 8

Am Rande der Sassi liegt dieser Lounge-Club-Restaurant-Mix, der zur coolsten Adresse der Stadt gehört. www.area8.it

Salumeria Il Buongustaio

In dem Delikatessenladen am Hauptplatz Vittorio Veneto direkt neben den Sassi kann man sich mit den Köstlichkeiten der Region eindecken. Wein, Käse, Salami und Speck.

La Grotte dela Civita

Das Höhlenhotel ist zwar das teuerste am Platz, aber auch das schönste. Insgesamt wurden 18 ehemalige Höhenwohnungen zu Hotelzimmern umfunktioniert. Dabei wurde der ursprüngliche Charme erhalten und keine neuen Bauelemente eingezogen. Sprich: Auch das moderne Badezimmer gliedert sich in die existierende Struktur ein. www.legrottedellacivita.sextantio.it

Gut zu wissen

Nichts wie hin: Der nächste Flughafen ist Bari, den man allerdings nur mit einmaligem Umsteigen erreicht. Direkt geht es von Zürich, Basel und Genf nach Neapel. Von dort sind es etwa drei Autostunden bis nach Matera. Mit Bus und Bahn ab Neapel ist die Anreise langwierig.

Geführte Rundreisen: Die Stadtführerin Dora Capiello bietet nicht nur verschiedene Führungen durch Matera an, sondern organisiert mit ihrem Reiseunternehmen auch Velo-, Wander- und Genussreisen in der Region. https://www.ferulaviaggi.it/en/

Informationen: www.basilicataturistica.it

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