Es werden immer weniger ...
Die letzten Insel-Paradiese

Inseln sind die letzten Sehnsuchtsorte der Welt. Doch die Paradiese sind bedroht – durch unsere Insel-Liebe.
Publiziert: 11.04.2016 um 08:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 17:04 Uhr
Christian Bauer

Nesophilie ist eine Volkskrankheit. Auch Sie leiden daran, früher oder später. Das heimtückische Leiden befällt jeden Menschen mindestens ein Mal im Leben. Die Symptome sind Unzufriedenheit, Überforderung, Ungeduld und der Wunsch, dem Hier und Jetzt für immer zu entfliehen. Nesophilie ist die Sehnsucht nach einer Insel.

Martinique, Mauritius, Malediven oder Bora Bora: All diese Namen versprechen das Paradies auf Erden, eine heile Welt jenseits der Miseren des alltäglichen Lebens. In Zeiten von Globalisierung, Burnout und Terrorismus sind Inseln die letzten Sehnsuchtsorte der Menschheit. Sie sind Projektionsflächen für all unsere Wünsche von einem heilen Leben. Diese Inselsehnsucht ist allerdings keine moderne Erfindung. Schon im Mittelalter wurde das biblische Paradies als Insel beschrieben.

Der Traum vom Robinson-Crusoe-Leben

Und schliesslich hat sich mit Daniel Defoes Roman «Robinson Crusoe» aus dem 18. Jahrhundert das Bild vom glücksbringenden Inselleben endgültig in das Bewusstsein der Menschen eingenistet. Niemand liest dieses Buch heutzutage, den Robinson-Crusoe-Traum haben wir dennoch alle. Mit diesen Insel-Fantasien einher geht das Bild von Einsamkeit und Isolation. Es ist die einsame Insel, die wir ersehnen, nicht den überfüllten Ballermann-Strand. Das Wort Isolation entspringt übrigens dem Lateinischen «Insula» – Insel. Nomen est omen. Noch schöner drückt es die englische Sprache mit dem Wort «Island» aus, gesprochen /I-Land/, das «Ich-Land».

Die einsame Insel: der Traum vom perfekten Sehnsuchtsort.

Doch mit dem Wunschbild der menschenleeren Ich-Insel, auf der man fernab der Zivilisation zu seiner selbst findet, ist es nicht mehr weit her. Seit Jahrzehnten sind die Landflecken in den Weiten der Ozeane die Dauerbrenner im internationalen Tourismus. Manche Insel hat gar einen Flugverkehr wie eine mittlere Grossstadt, an manch einem vermeintlich unberührten Strand geht es zu wie auf der 5th Avenue in New York.

Letzte Paradiese

Unsere Inselliebe hat die Paradiese erdrosselt – fast. Denn mit etwas Glück findet man in den letzten Winkeln der Welt doch noch ein idyllisches Robinson-Eiland. Solch eine Insel ist die «Isla Robinsón Crusoe» vor der chilenischen Küste. Ja, die Insel heisst wirklich so – allerdings aus Marketing-Gründen.

1966 benannte man die Insel kurzerhand nach dem Roman um, denn Anfang des 18. Jahrhunderts lebte der schottische Seemann Alexander Selkirk freiwillig auf der Insel und wurde zum Vorbild für die Romanfigur. Die Überreste seiner Behausung haben Archäologen kürzlich gefunden. Das Marketing hat – Gott sei Dank! – nicht gefruchtet. Jährlich verirren sich kaum 1000 Besucher auf die tropische Vulkaninsel, deren raue Schönheit es mit Tahiti oder den karibischen Inseln spielend aufnehmen kann. Heute leben hier etwa 500 Menschen, ohne EC-Automat, kaum Handyempfang und spärlichen Flugverbindungen. Noch ist das der ideale Ort, um der Welt zu entfliehen. Die einzige Unterkunft, die «Crusoe Island Lodge», hat nur 15 Doppelzimmer. Bleibt zu hoffen, dass es die «Isla Robinsón Crusoe» nicht auf die Trendliste der nächsten Top-Destinationen schafft.

Während die Robinson-Insel zwar abgelegen, aber ein Landflecken des 21. Jahrhunderts ist, gibt es auch heute noch Eilande, die von der modernen Welt abgeschottet sind. Auf der «North Sentinel Island», die zu der Inselkette der indischen Andamanen gehört, lebt das Volk der Sentinelesen seit 50'000 Jahren ohne Kontakt zur Aussenwelt. Jegliche Eindringlinge – auch Militärhubschrauber – werden mit Pfeilen beschossen. Die indische Regierung hat zum Schutz des Urvolks jeden Kontakt verboten. Ein wahres Paradies? Dass es trotz «Google Earth» und GPS noch unbekannte Inseln gibt, ist ein tröstlicher Gedanke in einer Welt, in der man davon träumt, den Mars zu besiedeln.

Und wessen Inselsehnsucht sich nicht durch jährliche Ferien befriedigen lässt, der sollte sich eine Privatinsel kaufen. Bei der Insel-Verkaufs-Agentur «Vladi Private Islands» gibts Inseln zu exorbitanten Summen, aber auch für den Preis eines Kleinwagens. Zu überlegen wäre das.

Informationen
www.crusoeislandlodge.com
www.tourismchile.com
www.andamans.gov.in
www.vladi-private-islands.de

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