Royce Ng am Zürcher Theater-Spektakel
Der Avatar auf den Bühnenbrettern

Von «Brettern, die die Welt bedeuten» zu «Bits, die die Welt bedeuten»: Nächste Woche bespielt ein Künstler in Hongkong live ein Theater in Zürich – das neue Hier und Jetzt nach Corona.
Publiziert: 15.08.2021 um 20:09 Uhr
Dieses Jahr gibt es wieder ein Theater-Spektakel auf der Landiwiese am Zürichsee.
Foto: Keystone
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Daniel Arnet

«Wir sind wieder da.» So meldet sich das Zürcher Theater-Spektakel nach dem coronabedingten Sparprogramm vom letzten Jahr jetzt zurück: Vom 19. August bis 5. September sind auf der Landiwiese am See und im Umfeld über 30 nationale und internationale Projekte zu bestaunen, darunter zehn Uraufführungen – so viele wie kaum je, so viele Kooperationen wie nie.

9291 Kilometer zwischen Künstler und Bühne

Was für ein Spektakel! Ja, was für eines? «Findet dieses Festival am Ende einer Unterbrechung statt oder am Anfang einer Veränderung?», fragen sich die Festival-Verantwortlichen im Programmheft. Und verkünden an der Pressekonferenz Anpassungen für die Ausgabe 2021: Die beliebte Gastronomie ist eingeschränkt, und für geschlossene Vorstellungen braucht es ein Covid-Zertifikat.

«Es gibt aber sicher kein einziges Corona-Stück auf diesem Festival», sagte der künstlerische Leiter Matthias von Hartz (51). Sicher? Die Pandemie mag inhaltlich nicht unmittelbar thematisiert sein, doch formal zeigt sie ihre Auswirkung allemal. Exemplarische Beispiel: Die Produktion «Presence» (Gegenwart) des in Hongkong lebenden Performance-Künstlers Royce Ng (38), die am 20. August in der Roten Fabrik Premiere hat.

«Presence» glänzt durch Absenz, denn Ng (ausgesprochen: En-Tschii) ist nur als Avatar auf der Bühne und spricht durch die Performerin Stina Fors zum Publikum. Physisch ist er 9291 Kilometer Luftlinie weit entfernt in seinem Hongkonger Atelier. Das Stück passt damit perfekt in die gegenwärtige Corona-Epoche, in der alle Nähe mit Distanz pflegen: Videokonferenzen statt Bürositzungen, Verneigung statt Umarmung.

Ein Meister der Manipulation

«In der Nach-Pandemie-Welt von Fern-Konferenzen und Online-Aufführungen finden wir uns selber wieder», schreibt der gebürtige Australier über sein Stück. Dabei stelle sich die Frage: «Wie entkommen wir der technologischen Vorherrschaft, die mit unsichtbaren Mitteln unsere Erfahrung der Welt in einer bestimmten Art übertüncht?» Eine Antwort: Man baut eine Mauer, eine riesige Firewall, und entwickelt eine unabhängige nationale Technologie.

«Aber in China hat das einen datengetriebenen autoritären Überwachungsstaat kreiert», schreibt Ng. Und er fügt scharfsichtig an, die Frage sei offen, ob das ein besseres Leitbild eröffne. Der Künstler setzt auf eine andere Möglichkeit, indem er die Phänomene des Gegenwärtigen im Internet nutzt und reflektive Techniken entwickelt, die unser Bewusstsein verändern – eine Rückkehr zu der psychedelischen Kultur der 68er-Bewegung.

Stina Fors steht auf der Bühne und trägt einen Helm, auf dem das Hologramm von Royce Ng erscheint. Durch eine Kamera auf dem Kopf von Fors kann Ng das Publikum sehen und zu ihm sprechen. Die digitale Präsenz erschaffe bei den Zuschauenden das Gefühl von Gegenwärtigkeit, denn Begriffe wie «Selbst» und «Bewusstsein» gebe es an sich nicht, sie entstehen im Kopf, so Ng. Er zeigt sich als Meister der Manipulation.

Artist in Residence des Johann-Jacobs-Museums

In der Schweiz ist Royce Ng kein Unbekannter: Ist er nun knapp eine Stunde digital anwesend, so wohnte er schon mehrere Jahre real hierzulande – von 2013 bis 2016 war er mit der australischen Anthropologin Daisy Bisenieks (38) unter dem gemeinsamen Künstlernamen Zheng Mahler Artist in Residence des Johann-Jacobs-Museums in Zürich. Zusammen verwirklichten sie zwei Ausstellungen.

Für «A Season in Shell» karrte Zheng Mahler 2014 zwei Tonnen Schalen der übel riechenden Abaloneschnecke an, um den Weg von der «Kakerlake der Meere» in Somalia zum begehrten Perlmutt-Produkt in China aufzuzeigen. Und für «Mutual Aid» ging das Künstlerduo 2016 der Frage nach, in welcher Beziehung der Schweizer Uhrenhersteller Tag Heuer zur Anarchie steht und was La Chaux-de-Fonds NE mit Jingdezhen, der chinesischen Hauptstadt des Porzellans, verbindet.

Nachdem Zheng Mahler 2015 Australien an der New Yorker Biennale Performa vertreten durfte, fand Royce Ng den Weg zur Performance Art. Danach stand er 2016 und 2019 auf den Bühnen des Zürcher Theater-Spektakels mit den Stücken «Kishi the Vampire» und «Queen Zomia». «Mit der Opiumkönigin durch die Nacht taumeln», beschreibt der «Tages-Anzeiger» den Trip. Denn «Queen Zomia» ist der zweite Teil einer Trilogie von Ng über die Rolle der Droge im modernen Asien.

Performerin verschwindet, Bühne performt

Dieses Jahr treibt Ng seine Performance mit «Presence» auf die Spitze und lotet die Grenzen der Kunst aus. Denn wo Technik im Spiel ist, sind Störungen nicht fern: Das Hologramm-Gesicht des Künstlers verformt sich, als wäre es ein Porträt aus der Hand des britischen Malers Francis Bacon (1909–1992), jetzt sieht man bloss noch das drehende Rad als Zeichen des Datenhochladens, die Stimme des Erzählers senkt sich, verlangsamt sich, Totalausfall.

Ng verweist damit auf eine alte Theatertradition. «Technische Störungen sind so etwas wie Brechts Verfremdungseffekt», erklärt er. Spielt das Bühnendeko am Anfang keine oder eine untergeordnete Rolle, so ist es schliesslich die Performance selber. Den umgekehrten Weg geht die Performerin auf der Bühne: Sie verschwindet allmählich, ein Lichtball und Rauch repräsentieren den Künstler auf der Bühne – bis am Schluss das Licht ausgeht.

Gewiss, «Presence» ist kein Corona-Stück, aber es zeigt eindrücklich Facetten auf, wo die Pandemie unser Leben verändert – von der Technikabhängigkeit in der Krise bis zur Verletzlichkeit der Systeme. Oder um es in den Worten von Royce Ng zu sagen: «Als Resultat der weltweiten Pandemie sind Telepräsenz-Technologien allgegenwärtig.» Und das Theaterpublikum erlebt mit «Presence» das neue Hier und Jetzt.

Royce Ng, «Presence», Rote Fabrik Zürich, vom 20. bis 22. August

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