So viele Findelkatzen musste Astrid Becker noch nie betreuen
Selbst Baby-Büsis landen im Tierheim

So viele Katzen haben im Tierheim in Untersiggenthal noch nie auf ein neues Daheim gewartet: Darunter Pandemie-Büsis, die unüberlegt angeschafft wurden. Problematisch sind aber auch die Streuner.
Publiziert: 11.01.2022 um 12:06 Uhr
Katja Richard

Seit dem Frühling musste das Tierheim des Aargauischen Tierschutzvereins (ATS) in Untersiggenthal 280 Katzen aufnehmen: «So viele waren es noch nie», sagt Astrid Becker (61), Präsidentin des ATS. Im November waren die Gehege voll, so was habe es noch nie gegeben: «Vermutlich haben sich einige Leute in der Pandemie sehr unüberlegt ein Tier zugetan – nun haben sie zu wenig Zeit, sich darum zu kümmern.»

Das betreffe nicht nur Hunde, sondern auch Katzen. Die ehemaligen Besitzer geben als Grund meist Zeitmangel an, eine Allergie oder veränderte Lebensumstände. Becker vermutet aber auch, dass sich viele nicht bewusst sind, dass auch eine Katze Ansprüche hat und mehr als nur die Kosten fürs Katzenfutter auf einen zukommen. «Oft stellen wir später fest, dass die abgegebenen Büsis krank sind. Vermutlich wollte oder konnte man sich den Tierarzt nicht leisten.» Diese muss dann der Tierschutzverein übernehmen, das habe dieses Jahr hohe Kosten verursacht.

Rekord an Findelkatzen

Die Hälfte der aufgenommenen Tiere sind Findelkatzen. Darunter seien mit Gewissheit teils ausgesetzte Tiere. «Es gab ganz junge Chätzli, erst drei oder vier Wochen alt, die können sich ja noch gar nicht verlaufen», so Becker. Meist sind die Vierbeiner weder gechippt noch kastriert, das bedeutet, dass es quasi unmöglich ist, den Besitzer ausfindig zu machen.

Noch nie sind so viele Katzen abgegeben worden wie diesen Sommer: Astrid Becker, Präsidentin des Aargauischen Tierschutzvereins.
Foto: Sandra Ardizzone
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Dazu kommen streunende, herrenlose und halbwilde Katzen, 42 erwachsene Tiere plus 145 scheue Baby-Büsis hat das Tierheim diesen Sommer aufgenommen oder vom Tierarzt behandeln lassen. «Die halbwilden Katzen vermehren sich unkontrolliert. Das verursacht viel Leid, wenn sie krank werden oder schlicht verhungern.» Darum führt der Aargauische Tierschutzverein Kastrationen durch, dieses Jahr waren es 800.

Wie viele streunende Katzen es hierzulande gibt, kann man laut dem Schweizer Tierschutz (STS) nur schätzen: «Wir gehen von mehr als 100'000 aus», sagt Helen Sandmeier vom STS. Insgesamt leben etwa 1,8 Millionen Katzen in der Schweiz, eine Hochrechnung, gechippt sind laut Identitas 671'000 Katzen – im Gegensatz zu Hunden gibt es für sie keine Registrierungspflicht. Verwildern unkastrierte Kater oder Kätzinnen, vermehren sie sich unkontrolliert. Darum unterstützt der STS die Kastrationsaktionen seiner Sektionen mit jährlich über 400'000 Franken, jährlich werden so landesweit rund 11'000 herrenlose Katzen und Bauernhofkatzen kastriert.

Pflicht zur Kastration

Andere Tierschützer gehen einen Schritt weiter. Netap (Network for Animal Protection) fordert zusammen mit der Stiftung Tier im Recht (TIR) eine Kastrationspflicht – die eingereichte Petition wurde allerdings vom Bundesrat abgelehnt. Derzeit gibt es verschiedene Vorstösse auf kantonaler Ebene: «Auch in der Schweiz besteht eine massive Streunerproblematik, wenngleich das Elend der Tiere nicht so sichtbar ist wie in Ländern wie Griechenland oder der Türkei», so Christine Künzli, Rechtsanwältin von TIR. Letzteres sei aber auch den vielen Tierschützern zu verdanken, die sich für Kastrationen engagieren, oft unentgeltlich: «Eigentlich wäre das die Verantwortung der Besitzer und auch des Bundes.» In Deutschland gebe es auf Städte- und Gemeinde-Ebene bereits Projekte mit Pflicht zur Kastration, laut Künzli mit Erfolg.

Derweil warten im Tierheim in Untersiggenthal Dutzende Büsis auf ein neues Daheim. Besonders schwer haben es die scheueren Tiere, so wie Ricardo und Happy. Die beiden Jungkatzen sind im Sommer als Babys eingefangen worden, die Muttertiere sind halbwilde, herrenlose Katzen. «Menschen gegenüber sind sie eher zurückhaltend, dafür lieben sie einander um so mehr», sagt Becker. Die künftigen Besitzer wählt das Tierheim sorgfältig aus, die Jungkatzen benötigen einen ruhigen Platz mit Freigang im Grünen bei Menschen mit viel Geduld. Becker: «Damit stossen wir oft auf Unverständnis. Aber uns gehts ums Wohl und die sichere Zukunft der Tiere.»


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