Urner Illustrator Luca Schenardi (39) am Comix-Festival Fumetto in Luzern
Kunst aus Fehlern im Teletext

Der Urner Illustrator Luca Schenardi (39) kritisiert in seinem neuen Buch den unreflektierten Newskonsum. Vernissage feiert er am Luzerner Comic-Festival Fumetto.
Publiziert: 30.03.2017 um 17:19 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:02 Uhr
Gabi Schwegler (Text) und Stefano Schröter (Foto)

Er liebt den Teletext und erkennt Vogelarten an ihren Stimmen. Was nach einem veschrobenen Kauz klingt, ist einer der erfolgreichsten Illustratoren des Landes: der Urner Luca Schenardi (39).

Und der serviert erst mal Espresso für die Gäste. Nur nichts überstürzen an diesem sonnigen Frühlingsmorgen, in diesem umwerfenden Atelier in Flüelen UR direkt am Ufer des Urnersees. Schenardi nimmt sich Zeit, obwohl er keine hat.

Luca Schenardi hängt die Exponate für die Ausstellung am Fumetto ab. 2009 gewann er dort den Förderpreis «Schleuder». «Es war immer ein Ziel, wieder einmal dort auszustellen.»
Foto: Stefano Schröter

Aus den Lautsprechern pumpt Hip-Hop, am Boden liegen Skizzen, Scheren, Filzstifte, Spraydosen, Leim. Willkommen in der Mundo Schenardi – bunt, wild, bestimmt. An der Wand hängen kolorierte Illustrationen aus seinem neuen Buch «Meyer spricht von Gratiskaffee». Am Fumetto, dem Internationalen Comix-Festival Luzern (siehe Box), feiert er nächsten Samstag die Vernissage seines jüngsten Werks. Deshalb der Stress.

Der Urner Illustrator Luca Schenardi (39) ist ein Getriebener: «Ich bin immer auf der politischen Welle.»
Foto: Stefano Schröter
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Es ist für Schenardi eine Rückkehr, am Fumetto 2009 gewann er den Förderpreis «Schleuder». «Der Preis hat den Namen wirklich verdient, er hat mich und meine Arbeit enorm weitergebracht», sagt Schenardi, der mittlerweile schon für die Neue Zürcher Zeitung, Die Zeit und Rolling Stone illustrierte. «Es war deshalb immer ein Ziel, wieder einmal dort auszustellen.»

Er füllte 23 Notizbücher mit Teletext-Fehlern

Es ist 22:42:05 Uhr am 22. Dezember 2014. Schenardi sitzt zu Hause auf dem Sofa, die Füsse hochgelegt, und wählt sich im Teletext ein. Ein tägliches Ritual. «Ich mag Teletext, weil er ein einfaches, langsames Medium ohne Bilder ist», sagt er. Er ertrage flackernde Bilder schlecht. «Das Teletext-Layout ist seit jeher gleich, dieses Konstante im Leben gefällt mir.»

Schenardi gibt im Teletext der ARD die Nummer 003 ein, Nachrichten. «In Dresden haben am Abend erneut Anhänger und Gegner des Pegida-Bündnisses demonstriert. Nach Polizeiangaben waren etwa 17'500 Pegida-Aktivisten zur Semperoper gekommen. Meyer spricht von Gratiskaffee. Zu einer Veranstaltung...»

Illustrator Luca Schenardi (39): «Die leichte Manie ist wohl schon meine Art.»
Foto: Stefano Schröter

Schenardi liess an diesem Abend die Fernbedienung sinken. «Das war die Entdeckung! Ist doch sagenhaft, Pegida-Anhänger kommen zusammen, und es gibt Gratiskaffee», sagt er. Seit der Umstellung vom analogen aufs digitale Fernsehen sind ihm immer wieder solche fehlerhaften Kombinationen im Teletext aufgefallen.

Mit Meyers Gratiskaffee begann aber schliesslich, was in nahezu manische Sammelwut mündete: Schenardi durchforstete sein Lieblingsmedium jeden Tag auf Fehler hin und fotografierte sie ab. In einem zweiten Schritt transkribierte er diese in selbst gebastelte Notizhefte und illustrierte sie spontan. Daraus entstanden sind in zwei Jahren 23 Hefte mit 800 Zeichnungen.

Es gehe ihm nicht um den Teletext als Medium. «Er ist für mich ein Vehikel, um zu zeigen, wie zerstückelt und unreflektiert unser Nachrichtenkonsum geworden ist.» Terroristische Anschläge neben dem neusten Babygerücht aus der Promi-Welt. «Das kann doch keiner mehr verarbeiten», sagt Schenardi. «Wir collagieren in unserem Hirn, was wir lesen, hören, sehen. Aber wir denken kaum mehr darüber nach, noch versuchen wir es einzuordnen.»

Schenardi ist immer politisch, getrieben, bewegt

Er selber stiess letzten Sommer an seine Grenzen: Kleinere und grössere Terroranschläge reihten sich aneinander, Newsportale bildeten Versatzstücke davon ab. Täglich wühlte sich Schenardi durch Newsseiten, las, was es zu lesen gab.

Zu viel Ruhe macht ihn unruhig.
Foto: Stefano Schröter

Die Welt wurde ihm unheimlich. «Ich war durchgeschüttelt und musste herausfinden, was ich konsumieren kann, damit ich mich vor lauter Angst nicht nur noch verkrieche.» Er untersagt sich seither die tägliche Newstour, verzichtet auf Boulevardmedien.

Wenn Schenardi spricht, tut er das enerviert, engagiert. Aufgekratzt auch. Er ist ein Getriebener. Die Welt, das Leben geht ihm nahe, es bewegt ihn. «Ich bin immer auf der politischen Welle. Was da ist, treibt mich an», sagt er. «Ich sehe es als Berufung, mit meiner Arbeit aufmerksam zu machen auf das, was mich stört.»

Wenn das Innen laut ist, tut ein leises Aussen gut. Letzten Sommer zügelte er zusammen mit seiner Lebens- und Kunstpartnerin Lina Müller (35) das Atelier weg aus der Luzerner Innenstadt ans andere Ende des Vierwaldstättersees. Ein Glücksfall: Sie können den Speisesaal eines ausgedienten Hotels in Flüelen nutzen, Stuck, Säulen und Kronleuchter inklusive, «der Wahnsinn».

Bereits früher hat das Paar die Wohnung in die Urner Kantonshauptstadt Altdorf verlegt. «Die Ruhe tut mir wahnsinnig gut. Ich bekomme den Lauf der Natur wieder viel mehr mit.» Schenardi ist wieder in unmittelbarer Nähe jenes Deltas, in dem er als Bub so viel Zeit verbracht hat.

Willkommen in der Mundo Schenardi - bunt, wild, bestimmt.
Foto: Stefano Schröter

«1989, als die Mauer in Berlin fiel, fiel der Damm im Reussdelta. Das fand ich wunderbar», sagt Schenardi. Es war eines der grössten Schweizer Renaturierungsprojekte jener Zeit. Stundenlang hat er hier Vögel beobachtet, ihrem Gesang gelauscht. Seit seiner Kindheit ist er ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der Vogelwarte Sempach LU.

Ein Jahr lang hat er 45 Vögel grafisch nachgezeichnet

Die menschengemachte Bedrohung des Lebensraums von einheimischen Tieren beschäftigt ihn. Drei Jahre lang arbeitete er an seinem Buch «An Vogelhäuschen mangelt es jedoch nicht», das 2012 erschien. Es ist sein Kommentar gegen die Zersiedelung, gegen die Ökonomisierung der Landwirtschaft. «Es ist schwere Kost», sagt Schenardi. «Aber für mich ist es mein absolutes Werk. Es vereint vieles, was mich beschäftigt.»

Ein Jahr ging drauf für die Abbildungen von 45 gefährdeten und ausgestorbenen Vögeln. Ausgehend von Präparaten hat er die Tiere grafisch nachgezeichnet und modelliert – Feder für Feder. Er schlägt eine der fast dreihundert Seiten auf, fährt mit dem Finger über den gefiederten Bauch des Steinkauzes. «Ich wollte, dass es perfekt wird. Die leichte Manie ist wohl schon meine Art.»

Die Gefahr, dass er es sich in der Beschaulichkeit dieses Ateliers, dieser Kleinräumigkeit einst bequem einrichtet, besteht nicht. Schon im Herbst bricht er ein nächstes Mal aus, zieht von der kleinen in die grosse Welt. Zusammen mit Lina Müller geht er vier Monate nach New York, ins Atelier der Innerschweizer Kantone. «Wir wollen für eine Weile dort arbeiten, wo es wirklich abgeht», sagt er.

Ein Güterzug ruckelt vor dem Atelierfenster vorbei und bestimmt kurz die Geräuschkulisse. Schenardi lehnt sich zurück, lächelt. Er ist froh, dass der laute Zug da ist. Zu viel Ruhe macht ihn unruhig.

Buchtipp: Luca Schenardi, «Meyer spricht von Gratiskaffee», Edition Patrick Frey, 208 Seiten, ca. 36 Franken

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