Vergesst Silicon Valley
Schweizer Start-Ups retten die Welt

Dank privaten und staatlichen Fördergeldern und renommierten Hochschulen entstehen in der Schweiz viele Start-Ups für umweltfreundliche Technologien. Ob Feuer, Erde, Luft oder Wasser: Ihre Erfindungen sind wegweisend.
Publiziert: 10.05.2017 um 12:11 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:58 Uhr
Silvia Tschui

Vergesst Silicon Valley, hier kommt Swiss Valley! Die Schweiz beweist beeindruckend grosse Innovationskraft. Selbst in globalen Rankings liegt die Schweiz seit Jahren auf einem der vordersten Ränge; 2016 gemäss dem renommierten New Yorker Wirtschaftsmagazin «Business-Insider» gar auf Platz eins. Die Gründe dafür sind vielfältig: Unser Schulsystem, das international renommierte, technische Hochschulen wie die ETH Zürich und die EPFL in Lausanne hervorbringt, aber auch der politische Wille zur Förderung.

Rund 186 Millionen Franken jährlich erhält allein die ETH von der Kommission Technologie und Innovation (KTI) vom Bund,
um Institutionen wie die eidgenössische Materialprüfungsanstalt Empa und dazugehörige Spin-offs und Start-ups zu fördern. Dort werden unter anderem umweltfreundliche Materialien der Zukunft entwickelt – so etwa Schwämme aus Holz, welche Öl, aber nicht Wasser aufsaugen.

Auch im Energiesektor mischen hiesige Jungunternehmen an der Spitze mit. Die Sektion Cleantech des Bundesamts für Energie fördert landesweit mehrere Dutzend Projekte, die ressourcenschonende Technologien unterstützen. So wie Climeworks, welches schädliches CO2 aus der Atmosphäre zieht und bald weltweit gewinnbringend operieren will. Die Firma hat gute Chancen auf dem globalen Markt, Cleantech geht von einem riesigen Wachstumsmarkt aus. Der Anteil sauberer Technologien soll sich bis 2025 an der globalen Wirtschaftsleistung auf über 5000 Milliarden Euro belaufen.

Twingtec von Corey Houle (l.) und Rolf Luchsinger. Die Drohne soll ab 2019 in Kanada zum Einsatz kommen und dort dieselgetriebene Stromgeneratoren im Minenbau ersetzen.
Foto: Roberto Ceccarelli
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Nicht nur der Bund fördert mit 300 Millionen Franken saubere Technologien. Auch Banken helfen mit: Pro Jahr 10 bis 15 Millionen Franken investiert allein die Zürcher Kantonalbank in Start-ups. Rund ein Drittel davon kommt umwelttechnologischen Firmen wie FluidSolids zugute.

Beat Karrer mit einem FluidSolid-Produkt: Komplett biologisch abbaubar, verwendbar wie Hartplastik.
Foto: Lorenz Cugini

Swiss Valley 1: Erde zu Erde

Und Staub zu Staub. Der Zürcher Produktdesigner Beat Karrer ersetzt mit seiner Firma «FluidSolids» Hartplastik durch biologisch abbaubare Polymere.

Plastik war Segen und ist nun die Geissel der modernen Menschheit: Kontinentgrosse Kunststoff-Müllfelder schwimmen in unseren Ozeanen und ersticken sämtliches Leben. Sind die erdölbasierten Polymere in Schwebeteilchen zersetzt, geraten sie via Meerestiere sogar in unseren Nahrungskreislauf – mit bis anhin unbekannten Folgen.

Die gute Nachricht: Mittlerweile gibt es ein Biomaterial aus der Schweiz, das Hartplastik in vielen Bereichen ersetzen kann. Verpackungen, Möbel, diverse Bauprofile, Gebrauchsgegenstände – alles, was formgespritzte oder gepresste Formen annimmt, kann ein Tüftler aus dem Zürcher Kreis 4 biologisch abbaubar herstellen: Beat Karrer (50), der seit nunmehr 17 Jahren in seiner Eigenschaft als Produktdesigner unzählige internationale Preise abgeräumt hat.

Karrer entwickelte 2013 für ein Möbelprojekt ein neues Material. Das anfangs im stillen Kämmerlein mit einem Handmixer selbst gemachte FluidSolids bringt ihm im selben Jahr eine Nominierung für den Schweizer Designpreis ein. 

In Karrers Safe liegen über 50 Geheimhalteabkommen

Drei Komponenten sind seinen Biopolymeren drin: Produkte aus der Erde, Staub und Staub. Genauer: Landwirtschaftsabfälle wie kleingeschreddertes Stroh, Steinmehl und organisches Mehl. Die genaue Zusammensetzung ist geheim – so wie die Namen jener Unternehmen, die seinen Stoff bald nutzen wollen: «In meinem Safe liegen über 50 Geheimhalteabkommen», sagt er.

Zwischen den Zeilen hört man heraus: Die Kunden sind ganz grosse Nummern, Möbelketten, Silicon-Valley-Giganten. Für seine Firma Fluidsolids scheint es gar Übernahmeangebote von US-Industriegiganten gegeben haben. In Millionenhöhe. 

Wie aber wird ein Handmixer-Experiment zu einer international relevanten Projekt? «Als ich gemerkt habe, dass das Material für eine Vielzahl von Anwendungen und Produktionsweisen taugt, habe ich Chemiker eingestellt und die Herstellung professionalisiert», meint Karrer. Misch-, Spritz- und Pressmaschinen für Anwendungen seines Fluid-Solids-Materials hat er in Zusammenarbeit mit dem IWK Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung entwickelt. Die ersten «FluidSolids»-Produkte kommen nächstes Jahr auf den globalen Markt. Was genau diese sind, ist – natürlich – noch streng geheim.

Swiss Valley 2: Frischluft fürs Klima

Der CO2-Ausstoss von Haushalten, Verkehr und Industrie belastet unsere Luft. Die Firma ClimeWorks filtert ihn aus der Atmosphäre. Zurück bleibt reinere Luft.

An der Birchstrasse in Zürich-Örlikon steht ein unscheinbarer Gebäudekomplex. Besucher kommen erst nach hochsicherheitsmässigen Kontrollen hinein. Denn dort wird an militärischer Flugabwehr getüftelt – und im Nebengebäude entsteht eine ebenso hochgeheime Technik. 

Dort arbeiten die beiden Ingenieure Christoph Gebald (34) und Jan Wurzbacher (33), die sich zu Beginn ihres ETH-Studiums kennengelernt haben, an ­einem revolutionären Kollektor: Er filtert Luft und scheidet via Säure-­Basen-Reaktion das Treibhausgas CO2 gasförmig aus. Die Technik, die unser Klima retten könnte, ist seit 2009 in der Entwicklung. ­Damals gründeten die beiden, aufbauend auf der Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und der Materialprüfungsanstalt Empa, die ­Firma Climeworks.

Jan Wurzbacher (l.) und Christoph Gebald entwickelten eine Technik, die in Zukunft unser Klima retten könnte. Ihre Maschine filtert CO2 aus der Luft.
Foto: Roberto Ceccarelli

Ein Kollektor, der ungefähr zwei ­Kubikmeter Platz benötigt, filtert den CO2-Ausstoss von rund 25 Autos aus der Luft. Das gesammelte CO2-Gas können in der Folge verschiedenste Kunden einsetzen: Getränkehersteller brauchen CO2, um Blasen in ihre Erfrischungen zu pressen. Gemüsehersteller leiten CO2 in Treibhäuser, um das Wachstum der Pflanzen anzuregen. Ein beachtlicher Industriezweig beschäftigt sich aktuell damit, wie sich aus CO2 – in einer umgekehrten Verbrennungsreaktion – wieder Treibstoffe für Autos und Flugzeuge herstellen lässt.

Eine Partnerschaft mit Autohersteller Audi besteht bereits. Climeworks nimmt Ende Mai in Hinwil ZH ihren ersten Kollektor in Betrieb und hat aus den oben genannten Industriezweigen bereits Pionierkunden. Gebald und Wurzbacher sehen für ihr Verfahren aber ein weit grösseres Einsatzgebiet: Regierungen und Länder könnten ­damit ihre CO2-Emissionen reduzieren. Denn der gasförmige Stoff lässt sich relativ leicht verfestigen und im Boden versenken. So bleibt er dauerhaft der Atmosphäre entzogen. Ziel der beiden Ingenieure ist, in zehn Jahren 300 bis 400 Millionen Tonnen des Treibhausgases aus der Luft zu filtern. Das entspricht der sechsfachen Emissionen der Schweiz. Erste Gespräche mit Landesregierungen und grossindustriellen Kunden seien schon gestartet, sagen Gebald und Wurzbacher – auf dass unsere Luft bald wieder reiner werde.

Swiss Valley 3: Kraft des Feuers aus der Luft

Energie aus Verbrennung gewinnen, ist umweltfeindlich. Windturbinen sind teuer, Atomkraft hat immense Nachteile. Gut, gibt es bald günstige Energie aus der Luft.

Vor 790'000 Jahren lernte die Menschheit, das Feuer zu beherrschen. Sie sicherte sich damit Wärme, Licht, die Verteidigung gegen wilde Tiere, die Erweiterung ihrer Ernährungsmöglichkeiten.

Eine zweite grosse Errungenschaft kam viel später: Ab 1930, als die Grundlagenforschung der Elektrizität längst beendet war, schöpft die Menschheit die Kraft des Feuers aus der Steckdose – das ist bis heute Standard.

Es ist aber eine riesige, teure Infrastruktur vonnöten, um den Strom in die Haushaltungen zu führen. Hochspannungsleitungen, Transformatoren, unterirdische Kabel. Abgelegene Siedlungen oder Minen nutzen bis heute Diesel-Generatoren, um Elektrizität durch Verbrennung zu erzeugen. Eine äusserst umweltfeindliche Lösung.

Der Physiker Rolf Luchsinger (50) und der Ingenieur Corey Houle (35) entwickeln nun in Dübendorf ZH eine saubere Lösung: Ihre Firma Twingtec, ein Empa-Spin-off, will Energie aus der Luft gewinnen. Hierfür stellen die beiden in Leichtbauweise einen Hybrid aus einem Drachen und einer Drohne her. Damit wollen sie die Windenergie nutzen.

Der Flügel ihrer Maschine ist an einem dünnen Seil befestigt und fliegt zyklische Bahnen, angetrieben durch den Wind. Dadurch entstehen grosse Kräfte am Seil, das sich an einer Spule ab- und aufwickelt. Der angeschlossene Generator produziert daraufhin Strom. Dieser wird an den -Verbraucher abgegeben oder in der Batterie gespeichert. All das funktioniert vollautomatisch, dank inte-grierter, neuster Drohnentechnologie.

Die Twingtec-Maschine mit einer Flügelspannweite von 15 Metern generiert ungefähr jene Energie, die 75 durchschnittliche Schweizer Haushalte verbrauchen – bei nur fünf Prozent des Materials, das eine Windturbine benötigt.

Die Grundlagen-Entwicklung von Twingtec ist abgeschlossen, Ende Jahr läuft die erste Pilotanlage. Ab 2019 sollen Flotten der Energiedrohnen in Kanada aufsteigen. Rohstofffirmen stehen Schlange, um mit Twingtec saubere Energie für den Abbau von Gold, Silber oder Kupfer herzustellen. Aber auch Siedlungen und Ferienresorts in entlegenen Gegenden können bald auf die nachhaltige Energie aus der Luft setzen. 

Swiss Valley 4: Sauberes Wasser dank Holzschwamm

Wie an der EMPA ein glücklicher Fehler zu Zauberei mit Holz führt.

Flüssigöl-Lache auf dem Wasser? Schwamm drüber – und das Wasser ist wieder sauber. Was wie Zauberei klingt, ist in den Labors der Empa in Dübendorf ZH ­Realität.

MFC macht das vermeintliche Wunder möglich, genauer: Micro Fibrillated Cellulose. Cellulose steht dabei für Pflanzenzellen­material – und Mikrofibrillen sind nanomikroskopisch kleine Fasern, die in ­den Zellwänden zu finden sind. MFC ist damit eine Hauptkomponente von Holz. Bloss verwandeln sich die ­Fasern durch verschiedene Mahlvorgänge und unter Zusatz von bis 98 Prozent Wasser in eine weisse, feuchte, formbare Paste.

Mit dieser Paste experimentiert vor vier Jahren eine Doktorandin im Empa-Team von Holzforscherin Tanja Zimmermann (49) – und stellt den Kühlschrank falsch ein. Die Masse in der Petrischale gefriert, statt bloss zu kühlen. Neben­effekt dieses Fehlers: Die Eis­Auskristallisierung dehnt kleine Hohlräume in die Masse. Wird diese getrocknet, hält man einen ultraleichten Schwamm in den Händen. Aus ­diesem Zufallsfund wächst ein ­neuer Forschungszweig: die Nanozelluloseschwamm-Forschung.

Das Prinzip der MFC-Herstellung ist nahezu unverändert geblieben: Zuerst muss die Nanozellulose-Wasser-Masse gefrieren, danach entnehmen die Forscher das Wasser und trocknen das verbleibende Gerüst – voilà der High-Tech-Schwamm.

Nun saugen Zelluloseschwämme normalerweise Wasser und Öl gleichzeitig auf. Dass der von der Empa entwickelte Schwamm wasserabstossend ist, hat mit einer ­Imprägnierung zu tun. Ein in der Zusammensetzung geheimes, aber für den Lebensmittelgebrauch zertifiziertes, rezyklierbares Flüssigmittel imprägniert die Schwämme so, dass sie Wasser abstossen. Öl saugen sie aber immer noch auf. Das Prinzip ist erweiterbar: Je nach Imprägnierungsmittel lässt sich ­beeinflussen, welche Verschmutzung der Holzschwamm aufsaugt.

Unter der Leitung von Zimmermann ­arbeiten die Ingenieure Carlo Antonini (33) und Thomas Geiger (48) daran, das Produkt massentauglich herzustellen. Ein Industriepartner steht ­bereits fest: Der Grosskonzern Weidmann Inter­national Corporation (Wicor) mit 30 Sitzen in Ländern wie Japan, USA, China und in Rapperswil SG will die Filter-Schwämme 2019 auf den globalen Markt bringen. Lokal wartet die Zürcher Seepolizei darauf, die Schwämme bei Diesel-­Unfällen auf dem Wasser anwenden zu können. 

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