Von Züri-Hummer bis Robiniensirup
Heute gibt es invasive Arten zum Znacht

Warum nicht essen, wovon es sowieso zu viel gibt? Das Kochen mit nicht einheimischen Pflanzen und Tieren ist ein Trend-Thema in der Gastronomie. Auch in der Schweiz.
Publiziert: 25.09.2021 um 20:37 Uhr
Jonas Dreyfus

Es schmecke nicht so stark nach Wild wie zum Beispiel Hase, sagt der Koch Ivan Tisdall-Downes in einem Interview mit der Zeitung «The Telegraph» über das Fleisch des Grauhörnchens. Er serviert es in Form eines Ragouts und als Teil einer Lasagne im Restaurant Native in London.

Das Kochen mit nicht einheimischen Arten, die sich rasant ausbreiten, ist angesagt in der Gastronomie – auffällige Beispiele wie die Eichhörnchen-Lasagne bringen den Restaurants viel Aufmerksamkeit. Es mag im ersten Moment seltsam klingen, dieses Tier zu essen, macht aber durchaus Sinn: Rund 2,5 Millionen Exemplare der aus den USA stammenden Grauhörnchen leben in England, wo sie die einheimischen Rothörnchen zu verdrängen drohen. Jäger schiessen sie zu Hunderten ab, danach werden sie entsorgt. Wenn einige von ihnen stattdessen auf dem Teller landen, hilft das, den sogenannten Foodwaste, die Verschwendung von Lebensmitteln, ein wenig einzudämmen.

Ähnlich sieht die Situation in der Schweiz mit den Roten Amerikanischen Sumpfkrebsen aus. Im Moment gibt es im Katzensee im Kanton Zürich keine andere Möglichkeit, die Vorherrschaft der invasiven Art zu bekämpfen, als sie zu fischen. Als sogenannten Züri-Hummer bieten Restaurants die Tiere als Speise an.

Rolf Rüegg (71) ist einer von zwei Hobby-Fischern, die auf dem Katzensee im Kanton Zürich Rote Amerikanische Sumpfkrebse fischen dürfen.
Foto: NZZ-Photographen-Team
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Dasselbe passiert im Tessin mit sogenannten Neophyten: nicht einheimischen Pflanzenarten, die sich rasant ausbreiten und einheimische Arten verdrängen. Zu ihnen gehört der Japanische Staudenknöterich, den die Schweizer Wildpflanzen-Spezialistin und Köchin Meret Bissegger in der Casa Merogusto in Malvaglia serviert. Natürlich könne man die Pflanze nicht bekämpfen, indem man sie esse, sagt sie. Dazu sei der Japanische Staudenknöterich viel zu verbreitet. Ausserdem sei er nur ganz jung, beim ersten Mal Schneiden, wirklich geniessbar. «Doch anstatt ihn dann wegzuwerfen, lohnt es sich, ihn weiterzuverwerten.»

1. Rolf Rüegg und die Roten Amerikanischen Sumpfkrebse

Wie diese Krebse, die rund zehn Zentimeter gross werden können, in die Schweiz gelangten, ist unklar. Wahrscheinlich hat ein Aquariumbesitzer ein Exemplar ausgesetzt. Vor 25 Jahren tauchte der Rote Amerikanische Sumpfkrebs erstmals im Schübelweiher in Küsnacht im Kanton Zürich auf, wo er in kurzer Zeit die ansässigen Arten Galizier- und Edelkrebs verdrängte. Schuld ist ein Virus, welches das Tier in sich trägt und gegen das es selbst immun ist. Im Schübelweiher sorgen inzwischen Aale dafür, dass die invasive Art nicht überhandnimmt.

Im Katzensee am Zürcher Stadtrand gibts keine Aale. Deshalb erhielt Rolf Rüegg (71), ein ansässiger Hobby-Fischer, mit einem Kollegen zusammen als einziger die Bewilligung, die Tiere zu einzufangen und an Restaurants zu verkaufen.

Die «NZZ» begleitete Rüegg diesen Sommer für eine Reportage. Drei bis vier Stunden pro Tag ist er von Mitte Juni bis Mitte August mit seinem Ruderboot unterwegs, um die rund zwanzig Reusen mit den gefangenen Krebsen zu leeren. Reusen sind im Wasser liegende Käfige, in die ein tiefgefrorener Fisch als Köder gesetzt wird. Die Krebse krabbeln über eine sich verengende Öffnung hinein und kommen nicht wieder heraus.

Rund 1000 Kilogramm habe er in dieser Saison verkauft, sagt Rüegg gegenüber Sonntagsblick. Abnehmer sind Restaurants in Zürich. Der Züri-Hummer, wie ihn seine Fans nennen, macht sich gut auf der Karte von hippen Szene-Beizen. Manche Köche servieren ihn in einem Sud aus Weisswein. Die Gäste knacken die Tiere auf und tauchen sie bei Bedarf in Saucen aus Knoblauch, Mayonnaise oder Safran. Dazu gibts zum Beispiel Bratkartoffeln.

Seit 2018 sind «präzisierende Vorgaben zur fachgerechten Tötung» von Panzerkrebsen in Kraft, was auch die Sumpfkrebse betrifft. Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV müssen die Köche sie mit Elektroschocks betäuben, bevor sie die Krebse in siedendem Wasser kochen dürfen.

2. Meret Bissegger und der Japanische Staudenknöterich

Diese Pflanze wächst zu Büschen heran, ihre Blüten bestehen aus weissen Knötchen und sehen eigentlich hübsch aus. Doch der Japanische Staudenknöterich ist in Europa und den USA eine der gefürchtetsten Unkrautarten. Er bedroht die heimische Fauna, weil er robust ist und schnell wächst – auch unterirdisch. Aus einem kleinen Stück Wurzel, das beim Jäten in der Erde zurückbleibt, wachsen schnell neue Triebe. Ursprünglich gelangte er als Zierpflanze zu uns, später setzte man ihn ein, um Uferböschungen natürlich zu befestigen.

Wenn man ihn koche, schmecke er ein wenig wie Rhabarber, sagt Meret Bissegger (61). «Aber weniger sauer. Leute, die Rhabarber nicht mögen, sind oft positiv überrascht.» Die Tessinerin kocht in ihrer Casa Merogusto in Malvaglia unter anderem mit Wildpflanzen, gibt Kurse und veröffentlicht Bücher.

Bissegger macht zum Beispiel aus dem Japanischen Staudenknöterich Wähen. In ihrer Küche verwertet sie weitere invasive Arten zu Speisen. Die jungen Triebspitzen der Kanadischen Goldrute brät sie in Olivenöl an, bis sie krokant wird. Beim Kanadischen Berufkraut kocht sie den jungen Teil, bevor er blüht, kurz in kochendem Salzwasser und brät ihn mit Knoblauch und Olivenöl. Oder sie integriert ihn in eine Frittata. «Er schmeckt ein wenig wie grüne Peperoni.» Das Franzosenkraut serviert sie mit Kartoffel, Rösti oder Kartoffelsuppe. Wer einen Garten hat, kämpft mit dem Franzosenkraut. «Viele, die bei mir gegessen haben, sagen: Jetzt hasse ich es ein bisschen weniger.»

3. Gabriela Walter und die Robinienblüten

Die Robinie ist beliebt – eine deutsche Stiftung wählte sie vergangenes Jahr zum Baum des Jahres. Ursprünglich stammt sie aus dem Südosten Nordamerikas, wo sie entlang der Appalachen auf sandigem, felsigem Boden wächst. Wenn sie kontrolliert gepflanzt wird, zum Beispiel in Parks oder in Form von Alleen, ist sie für andere Arten keine grosse Bedrohung. Seit dem Zweiten Weltkrieg breiten sich die Robinien jedoch selbständig und weitflächig aus.

Sie gilt als invasiver Neophyt. Unter anderem, weil ihre Wurzeln den Boden mit Stickstoff anreichern. Das verdrängt Arten, die keinen Stickstoff ertragen. Sie kehren auch nicht zurück, wenn die Robinie entfernt wird.

Gabriela Walter (50), hauptberuflich Kundengärtnerin aus Dietikon ZH, verarbeitet Blüten von Robinien zu Sirup. Früher, als sie für konventionelle Gartenbaubetriebe arbeitete, sei ihr immer wieder «die Nulltoleranz» gegenüber Sachen aufgefallen, die nicht von Menschenhand gepflanzt wurden. Um dem entgegenzuwirken, begann sie, neben einheimischen Wildpflanzen auch «ungewollte» Pflanzen zu konservierbaren Nahrungsmitteln zu verarbeiten und unter anderem auf ihrer Webseite Wildundedel.ch zu verkaufen.

Der Geschmack ihres Robiniensirups erinnere ein wenig an Jasmin, sagt Walter. Die Blüten übergiesst sie mit heissem Zuckerwasser und lässt sie mit Zitronenscheiben 24 Stunden ziehen. Danach entfernt sie Blüten und Zitronenscheiben, kocht die Flüssigkeit auf und füllt sie in Flaschen ab. Walter stellt auch Sirup aus Vogelbeeren her. Was viele nicht wüssten: Sie seien genauso essbar wie Holunderbeeren. Voraussetzung sei, dass sie vor dem Konsum gekocht würden. «Genau für solche Dinge möchte ich die Menschen sensibilisieren.»

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