Das letzte Kaiserpaar von Österreich-Ungarn träumte von der Rückkehr an die Macht
Von der Schweiz aus planten sie den Putsch

Der österreichische Kaiser Karl l. flieht mit seiner Familie in die Schweiz. Hier plant er zwei Putschversuche. Seine Frau, Kaiserin Zita, verbringt ihren Lebensabend in Zizers.
Publiziert: 08.08.2019 um 22:49 Uhr
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Aktualisiert: 09.08.2019 um 11:51 Uhr
Michael van Orsouw

Es ist der 24. März 1919, die wilde Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Im Grenzbahnhof Buchs SG fällt ein einziger, schwarz polierter Salonwagen sofort auf. Darin sitzen Karl I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn, und seine Gattin Kaiserin Zita, Herzogin von Bourbon-Parma. Sie reisen unfreiwillig, denn der letzte habsburgische Kaiser muss sein Reich verlassen. Und dies nach 650 Jahren Herrschaft des Hauses Habsburg in Österreich! Kaiser Karl I. hat nach dem verlorenen Krieg alle Regierungsgeschäfte abgegeben, nicht aber den Thron. Weil er nicht offiziell abdankt, muss er ins Exil.

Gerade mal zwei Jahre ist Karl Kaiser von Österreich gewesen, er hat mitten im Ersten Weltkrieg und eher überraschend den 1916 verstorbenen Kaiser Franz Joseph beerbt. Karl ist naiv und völlig unvorbereitet Kaiser und Herrscher über ein Reich mit fünfzig Millionen Menschen geworden. Sein zeitweiliger Ministerpräsident Ernest von Koerber fällt ein vernichtendes Urteil: «Kaiser Karl ist 30 Jahre alt, sieht aus wie ein 20-Jähriger und denkt wie ein 10-Jähriger!»

Kein feierlicher Empfang in der Schweiz

Am Grenzbahnhof in Buchs nehmen zwei offizielle Vertreter der Schweiz die österreichischen Blaublüter in Empfang. Dabei untersagen die Beamten dem Ex-Kaiser und der Ex-Kaiserin jegliche politische Tätigkeit im Schweizer Exil. Zudem richten sie die besten Wünsche des Bundespräsidenten aus – dass dieser keine Zeit findet, um Karl und Zita zu empfangen, zeigt den steilen gesellschaftlichen Abstieg, auf dem sich das Kaiserpaar ohne Kaiserreich befindet.

Nach dem Ersten Weltkrieg wird der österreichische Kaiser Karl I. entmachtet und muss ins Exil. Seine Kaisergattin Zita und die Kinder begleiten ihn. In der Schweiz wird er aber nicht feierlich empfangen – ein Ausdruck des gesellschaftlichen Abstiegs.
Foto: Keystone
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Nur zwei Jahre lang im Amt

Karl I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn, wurde 1887 als Carl Franz Joseph Ludwig Hubert Georg Otto Maria von Österreich geboren. Seine Frau Zita, letzte Kaiserin (Kaisergattin) von Österreich und Königin (Königsgattin) von Ungarn, kam 1892 als Zita Maria delle Grazie Adelgonda Micaela Raffaela Gabriella Giuseppina Antonia Luisa Agnese von Bourbon-Parma zur Welt. Er starb 1922 auf Madeira, sie 1989 in Zizers GR.

Karl I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn, wurde 1887 als Carl Franz Joseph Ludwig Hubert Georg Otto Maria von Österreich geboren. Seine Frau Zita, letzte Kaiserin (Kaisergattin) von Österreich und Königin (Königsgattin) von Ungarn, kam 1892 als Zita Maria delle Grazie Adelgonda Micaela Raffaela Gabriella Giuseppina Antonia Luisa Agnese von Bourbon-Parma zur Welt. Er starb 1922 auf Madeira, sie 1989 in Zizers GR.

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Das Ziel der kaiserlichen Reisegruppe ist das Schloss Wartegg auf dem Rorschacherberg SG, das Zitas Familie gehört. Der Sonderzug fährt ohne Halt von Buchs an den Bodensee. Auf dem letzten, offenen Bahnwagen fährt das Automobil des Kaisers mit. Das Gefolge der Habsburger ist so zahlreich, dass nicht alle im Schloss Platz finden und deshalb Wohnungen in Rorschach und Staad SG bevölkern. Eine dauerhafte Lösung ist das allerdings nicht.

Trotz beengter Platzverhältnisse erholt sich der Kaiser am Bodensee vorerst von den Strapazen der letzten Kriegsmonate und den politischen Wirren danach. Er geht spazieren und wird in Rorschach von Passanten mit «Grüezi, Herr Kaiser!» angesprochen. Die Kaiserfamilie versucht tapfer, sich im neuen Leben im Exil zurechtzufinden, sie macht Ausflüge in die Umgebung und empfängt Besucher, etwa Abgeordnete von Österreich, der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Polen. Sie bieten dem Ex-Kaiser eine horrend hohe Ablösesumme von 184 Millionen Franken für sämtliche zurückgelassene habsburgische Vermögenswerte an. Dafür verlangen sie als Gegenleistung seine endgültige Abdankung. Karl, von seiner Frau Zita beraten, lehnt schroff ab: Er sieht sich als von Gott eingesetzten Kaiser, und als solcher könne er gar nicht abdanken.

Putschversuch scheitert kläglich

Die Kaiserfamilie zieht mit ihrem grossen Gefolge an den Genfersee in eine Villa des Schlosses Prangins bei Nyon VD. Hier findet das kaiserliche Ehepaar wieder Zeit für Zweisamkeit. Zwei Kinder kommen in der Schweiz zur Welt, Rudolf und Charlotte. Die Familie besucht Ausflugsorte in der ganzen Schweiz, reist zur Habsburg im Aargau, zudem ins Kloster Heiligkreuz in Cham ZG, nach Freiburg, aber auch nach Disentis GR.

Das Leben in der Schweiz mit dem Hofstaat und den Reisen kostet Geld, das der gestürzte Kaiser nicht hat, zumal er auf die angebotene Ablösesumme verzichtet hat. Allerdings hat sein Oberstkämmerer in weiser Voraussicht in vier grossen Koffern die privaten Bestände der kaiserlichen Schatzkammer in die Schweiz gebracht. So lässt die Kaiserfamilie über abenteuerliche Kanäle immer wieder eines ihrer Schmuckstücke verkaufen, damit genügend Bargeld zur Verfügung steht.

Auch wenn das Leben des abgehalfterten Kaisers nach aussen sehr geruhsam wirkt, ist Karl doch politisch tätig, was ihm eigentlich nicht erlaubt wäre. Der Ex-Kaiser korrespondiert mit Monarchen und Ministern in ganz Europa, denn er heckt waghalsige Pläne aus. 1921 reist er inkognito nach Ungarn, getarnt mit Autobrille und Schminke wie an einem Faschingsball. Hastig beruft er in Budapest ein Gipfeltreffen mit führenden Politikern Ungarns ein. Aber Karl hat seine Position völlig falsch eingeschätzt: Er hatte an eine friedliche Machtübergabe der ungarischen Regierung an ihn geglaubt – sein Putsch scheitert kläglich.

Rückhalt in der Schweiz bröckelt

Karl kehrt daraufhin reumütig an den Genfersee zurück. Der missratene Putschversuch hat unterdessen auch in der Schweiz für Schlagzeilen gesorgt. Doch der Bundesrat bekräftigt das Asylangebot. Der Waadtländer Staatsrat hingegen entscheidet anders und erklärt den Kaiser in seinem Kantonsgebiet zur unerwünschten Person.

Deshalb muss die kaiserliche Familie wieder einen neuen Aufenthaltsort suchen. Dazu reist sie in die katholische Innerschweiz, die weit genug von der Landesgrenze entfernt ist, ins Schlosshotel Hertenstein bei Weggis LU, ein markantes Gebäude mit Treppengiebel und Türmchen direkt am See. Es ist gross genug, um die Familie mit ihrem rund hundertköpfigen Hofstaat zu beherbergen. Die Rechnung für das Schlosshotel allein beläuft sich innert weniger Monate auf mehr als 100'000 Franken.

In den Medien sind die Meinungen geteilt: Ist das Exil des Kaisers ein «wichtiger Beitrag zur Erhaltung des Friedens in Europa», wie es heisst? Oder eher das Gegenteil? Dem eilig aus Bern angereisten Staatssekretär versichert der ehemalige Monarch, sich «jedwelcher politischen Tätigkeit» zu enthalten.

Doch das ist eine schamlose Lüge. Denn wieder hält sich Karl nicht an die ihm auferlegte politische Abstinenz. Der gestürzte Kaiser bereitet den nächsten Putschversuch in Ungarn vor, obwohl er permanent bewacht wird. Aber der Luzerner Wachtmeister Fritz Huwiler drückt beide Augen zu, als Zita und Karl ihre Koffer packen und mühelos von Hertenstein nach Ungarn reisen.

Auch dieser Umsturzversuch misslingt kläglich; das kaiserliche Ehepaar hat seine Position schon wieder massiv überschätzt. Zita und Karl werden in Budapest verhaftet. Doch Detektiv Huwiler, der faktisch als Fluchthelfer fungierte, erhält eine wertvolle, goldene Taschenuhr mit Kaiserkrone und einem Brillanten.

Nach Madeira verfrachtet

Zita und Karl dürfen nach dieser Episode nicht mehr zurück in die Schweiz. Sie werden von den ungarischen Polizeibehörden auf ein Schiff gebracht, das sie auf die portugiesische Atlantikinsel Madeira bringt. Der Gedanke, der dieser Reise zugrunde liegt: Das Exil soll so weit von Österreich entfernt liegen, dass der gewesene Kaiser nicht nochmals einen Putschversuch lancieren kann.

Nach dem verlorenen Weltkrieg und nach den zwei gescheiterten Putschversuchen geht es dem Kaiser auf Madeira nicht gut. Er, der schon zuvor eine schwache Gesundheit hatte, erleidet nun noch eine Lungenentzündung. Am 1. April stirbt Karl I. in seinem 35. Lebensjahr. Zita ist nun sehr früh Witwe geworden und wird in den kommenden 67 Lebensjahren nur noch schwarze Kleider tragen.

Zitas Herz bleibt in der Schweiz

Nach ihrem Tod 1989 wird Zitas Leichnam zuerst nach Chur ins Kantonsspital gebracht. Dort wird er einbalsamiert, indem das Blut durch Formalin ersetzt wird. Zudem wird das Herz entnommen, Spezialisten konservieren es und legen es in einen silbernen Behälter, der speziell dafür angefertigt worden ist – das entspricht einer habsburgischen Gepflogenheit. Danach geht der einbalsamierte Leichnam nach Muri AG, wo er während zwölf Tagen aufgebahrt wird. Dann geht er auf die nächste Reise. Zunächst wird in Chur ein Requiem gefeiert, bevor die sterblichen Überreste nach Wien überführt werden. Dort wird die Leiche im Stephansdom aufgebahrt. Über 150'000 Menschen tragen sich in Wien in die Kondolenzbücher ein. Zehntausende säumen die Strassen, als sechs schwarze Hengste den kaiserlichen Hofleichenwagen durch die Innenstadt Wiens ziehen. Die Fernsehstationen in ganz Europa übertragen die fünfstündige Trauerfeier live. Zitas Herz bleibt in der Schweiz. Es wird während einer separaten Trauerfeier in der Loretokapelle im aargauischen Muri beigesetzt. Die Beisetzung des Herzens ist buchstäblich eine Herzensangelegenheit, sodass die Klosterkirche auch bei dieser Feier übervoll ist.

Nach ihrem Tod 1989 wird Zitas Leichnam zuerst nach Chur ins Kantonsspital gebracht. Dort wird er einbalsamiert, indem das Blut durch Formalin ersetzt wird. Zudem wird das Herz entnommen, Spezialisten konservieren es und legen es in einen silbernen Behälter, der speziell dafür angefertigt worden ist – das entspricht einer habsburgischen Gepflogenheit. Danach geht der einbalsamierte Leichnam nach Muri AG, wo er während zwölf Tagen aufgebahrt wird. Dann geht er auf die nächste Reise. Zunächst wird in Chur ein Requiem gefeiert, bevor die sterblichen Überreste nach Wien überführt werden. Dort wird die Leiche im Stephansdom aufgebahrt. Über 150'000 Menschen tragen sich in Wien in die Kondolenzbücher ein. Zehntausende säumen die Strassen, als sechs schwarze Hengste den kaiserlichen Hofleichenwagen durch die Innenstadt Wiens ziehen. Die Fernsehstationen in ganz Europa übertragen die fünfstündige Trauerfeier live. Zitas Herz bleibt in der Schweiz. Es wird während einer separaten Trauerfeier in der Loretokapelle im aargauischen Muri beigesetzt. Die Beisetzung des Herzens ist buchstäblich eine Herzensangelegenheit, sodass die Klosterkirche auch bei dieser Feier übervoll ist.

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«Kaiserin Zita», wie sie sich nach wie vor nennt, lebt danach in Spanien, Belgien, Kanada und Luxemburg; sie zieht ihre acht Kinder gross, reist viel umher, hält Vorträge über das Haus Habsburg und sammelt Geld für Hilfswerke.

Zita verbrachte ihren Lebensabend in Zizers

Machen wir einen Zeitsprung in die 1960er-Jahre, Zita ist mittlerweile siebzigjährig. Sie lässt sich im St. Johannes-Stift im ehemaligen Schloss der Bündner Adelsfamilie von Salis in Zizers GR nieder. Zita hat hier keine Privilegien, ausser einem eigenen Speiseraum. Jeden Morgen besucht sie mit den anderen Hausbewohnern die Messfeiern in der grossen Hauskapelle.

Zu ihrem 90. Geburtstag bekommt Zita endlich die Erlaubnis, erstmals seit 1919 wieder nach Österreich zu reisen. Als sie nach 63 Jahren Verbannung nach Wien kommt, jubeln ihr Tausende zu. Es ist ein später Triumphzug für die alte Monarchin.

Nach dieser Genugtuung verbringt Zita einen geruhsamen Lebensabend in Zizers. Sie hat übrigens nirgends so lange gelebt wie dort, nämlich 27 Jahre. Schliesslich stirbt die Monarchin am 14. März 1989 im Alter von 96 Jahren, als Mutter von 8 Kindern, Grossmutter von 32 Enkelkindern und Urgrossmutter von 48 Urenkelkindern.

BLICK-Serie Royale Schweiz

Hat die Schweiz einen besonderen Bezug zu Königinnen und Kaisern, weil sie nie welche hatte? Dieser Frage geht Autor, BLICK-Kolumnist («Leuthen Vonz Heuthen») und Historiker Michael van Orsouw in einer sechsteiligen History-Serie nach. Bei den royalen Geschichten aus der Schweiz handelt es sich um vom Autor bearbeitete Vorabdrucke aus dem Buch «Blaues Blut», das Mitte August im Verlag Hier und Jetzt erscheint.

BLICK-Leser erhalten das Buch (312 Seiten, gebunden) zum exklusiven Vorzugspreis von 30 statt 39 Franken (inkl. Versandkosten). Bestellung mit Rabattcode «Blick-Royals» an admin@hierundjetzt.ch oder Telefon 056 470 03 00. 

Hat die Schweiz einen besonderen Bezug zu Königinnen und Kaisern, weil sie nie welche hatte? Dieser Frage geht Autor, BLICK-Kolumnist («Leuthen Vonz Heuthen») und Historiker Michael van Orsouw in einer sechsteiligen History-Serie nach. Bei den royalen Geschichten aus der Schweiz handelt es sich um vom Autor bearbeitete Vorabdrucke aus dem Buch «Blaues Blut», das Mitte August im Verlag Hier und Jetzt erscheint.

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