Finanzexperte Urs Birchler über die Bancomaten
«Der Geldautomat ist die einzige Finanzinnovation, die nur dem Kunden dient»

Der erste Bancomat war ein Flop. Jahre später setzte er sich trotzdem durch. Urs Birchler, ehemaliges Mitglied der Direktion der Nationalbank, sagt, wie die Maschine die Gesellschaft verändert hat.
Publiziert: 01.07.2023 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2023 um 12:38 Uhr
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Nicola AbtReporter Sport

Der Geldautomat hatte einen Fehlstart. Ende der 1960er-Jahre startete die City Bank of New York ein Pilotprojekt. Das Fazit nach wenigen Monaten? Vor allem Prostituierte und Glücksspieler nutzten die Automaten. Dadurch erhielt der Bancomat ein zwielichtiges Image, das noch einige Zeit an ihm haften blieb. Die Geldmaschine setzte sich trotzdem durch. Am 1. November 1967 wurde in Zürich der erste Schweizer Bankautomat in Betrieb genommen.

Für Urs Birchler (73), ehemaliges Mitglied der Direktion der SNB und Professor für Bank- und Geldwesen an der Universität Zürich, hat der Bancomat das Verhalten der Gesellschaft verändert. «Man war nicht mehr auf die Öffnungszeiten der Banken angewiesen.»

Der ehemalige US-Notenbankchef Paul Volcker (1927–2019) sagte gar: «Der Geldautomat ist die einzige nützliche Erfindung der Bankenbranche in jüngster Zeit.» Birchler stimmt ihm zu und ergänzt: «Es gibt viele Finanzinnovationen, aber die meisten davon sind dazu da, um Gebühren oder Risiken zu verstecken. Nicht so der Bankautomat, der hat dem Kunden gedient.»

So sah der erste Geldautomat in der Schweiz aus. Er wurde 1967 in Zürich eröffnet.
Foto: Keystone
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Idee in der Badewanne

Der Erfinder heisst Luther George Simjian (1905–1997). Der Armenier entwickelte 1939 den ersten Geldautomaten. Jahrzehntelang wehrten sich die konservativen Banken gegen die Neuerfindung. Nach dem Flop in New York verschwand seine Maschine in der Versenkung. 1965 konzipierte John Shepherd-Barron (1925–2010) ein anderes Modell.

Die Idee dazu kam dem Schotten im Frühjahr 1965 in der Badewanne, wie er später dem Sender BBC schilderte. An dem Tag war ihm das Bargeld ausgegangen. Die Öffnungszeit seiner Bank verpasste er um wenige Minuten. Zwei Jahre später feierte sein Modell die Weltpremiere in London.

Geheimzahl und Lochkarte

Was heute die Kreditkarte ist, war Ende der 60er-Jahre eine Lochkarte aus Papier. Mit ihr und einer Geheimzahl konnte man sein Geld an einem Automaten beziehen. Nach zehn Bezügen mit maximal 200 Franken musste eine neue Karte her. Im Vergleich zu heute fehlte diesen Geräten die Verbindung zu einem Zentralcomputer, um Informationen abzugleichen. Jeder Geldautomat war eine eigene «Insel».

Die Anzahl der Bancomaten stieg rasant an und erreichte Ende 2019 mit rund 7250 Exemplaren ihren Höhepunkt. Seither sinkt die Zahl. Trotzdem ist das Netz in der Schweiz dicht. Gemäss der Swiss Money Map beträgt der durchschnittliche Weg zum nächsten Geldautomaten 1138 Meter. Die durchschnittliche Distanz zur nächsten Bankfiliale liegt bei 1624 Metern.

Eine neue Vision

1978 beauftragten die Schweizer Banken die Telekurs AG mit dem Aufbau und Betrieb eines Bankautomatensystems. Neu erfolgte der Datenaustausch zwischen den Automaten und der zentralen Verarbeitung nicht mehr via Lochstreifen, sondern elektronisch.

Die Entwicklung der Bancomaten dürfte weitergehen. Six, die die Infrastruktur für die Finanzplätze betreibt, äusserte bereits mehrfach die Idee, dass sich Banken künftig Geldautomaten teilen könnten. Die Software würde je nach Kundenkarte das Erscheinungsbild ändern. Damit könnte man in der Schweiz mit der Hälfte der Automaten gut auskommen, so ihre Vision.


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