Von der Gewürz-Aktie zum ersten Börsencrash
Wie mit Tulpen Millionen verbrannt wurden

Der Börsencrash von 2008 ist keine geschichtliche Einmaligkeit. Schon im 17. Jahrhundert crashte die erste Börse – wegen einer Blume.
Publiziert: 13.10.2017 um 10:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.02.2021 um 15:30 Uhr
Harry Büsser, Vinzenz Greiner

Haben Sie Gewürznelken, Pfeffer oder Muskat in der Küche? Dann sind sie schwerreich! Zumindest nach den Massstäben des 17. Jahrhunderts. Damals waren diese Gewürze wertvoller als Gold. Denn man verwendet sie auch als Konservierungsstoffe und als Grundlage für Medikamente.

Gewürze waren damals ein Statussymbol. Und der Handel damit das lukrativste Geschäft der Welt. Dieses bringt aber nicht nur Geld, sondern auch enorme Risiken mit sich.

1602 entsteht die erste Aktiengesellschaft

Von der beschwerlichen Überfahrt nach Indonesien, wo die Muskatbäume wachsen, kehren nur wenige Schiffe zurück – häufig ist dann nicht mal mehr die Hälfte der Matrosen am Leben. Die wohlhabenden Kaufleute in Amsterdam haben nicht genug Geld, um diese Risiken zu finanzieren.

Die älteste Aktie der Welt. Sie wurde am 9. September 1606 von der Niederländischen Ostindien-Kompanie ausgegeben.
Foto: Michel Porro
Aktien entstanden, weil niederländische Händler das Risiko der gefährlichen Seefahrten von und nach Indonesien finanzieren mussten.
Foto: Leemage

Die Lösung für das Problem: Geld durch die Ausgabe von Aktien einsammeln. Im März 1602 entsteht die Vereenigde Oostindische Compagnie, kurz VOC, als erste Aktiengesellschaft. Sie ist fast 200 Jahre lang das grösste Wirtschaftsimperium der Welt. Es ist das erste Mal, dass Wertpapiere ausgegeben werden, die nicht wie Schuldscheine zurückgezahlt werden müssen. Die Aktionäre bekommen Stimmrechte und Dividenden. Bis 1645 werden Naturaldividenden bezahlt, oft in Form von Pfeffersäcken. Die reichen Kaufleute werden darum auch Pfeffersäcke genannt. Kein Wunder, ein Pfeffersack war damals so wertvoll wie ein Haus in Amsterdam.

«Pfeffersäcke» wollen Reichtum mit Tulpen präsentieren

1604 stechen die ersten Schiffe der VOC in See, um Gewürze aus Indien und Indonesien, aber auch Tee, Seide und Porzellan aus China oder Kupfer und Edelsteine aus Siam (heute in etwa Thailand) zu importieren. Die VOC ist sehr erfolgreich, ihr Kurs steigt nach kurzer Zeit um 15 Prozent. Bis zum Jahr 1622 hat sich der Wert einer Aktie verdreifacht. Die Dividende beträgt durchschnittlich 18 Prozent pro Jahr. Die höchste Dividende wird 1606 mit 75 Prozent ausgeschüttet. Bis zu ihrem Niedergang beschäftigt die VOC 20'000 Seeleute, 10'000 Soldaten und beinahe 50'000 weitere Angestellte.

Viele Niederländer werden stinkreich. Das wollen sie zeigen. Sie kaufen sich eine exotische Blume aus dem Osmanischen Reich, die immer beliebter und so zum Statussymbol wird: die Tulpe. Die Nachfrage wächst mit dem Reichtum. Die Preise ziehen nach und an. Immer mehr Menschen, vom Knecht bis zum Grafen, wollen mitverdienen am Tulpenrausch: Spekulanten steigen ein, es gibt Auktionen, Börsen entstehen.

Spekulationsblase platzt

Die Preise steigen in schwindelerregende Höhen. Die teuerste jemals gehandelte Tulpenzwiebel wird im November 1636 für 17'280 Gulden verkauft. Das ist mehr als das Hundertfache des Jahreslohns eines Zimmermanns!

Ein Handelsposten der niederländischen Vereenigde Oostindische Compagnie in Indien. Gemälde aus dem Jahr 1665.
Foto: United Archives

An einer Auktion am 7. Februar 1637 aber finden Tulpenzwiebeln keine Käufer mehr. Auch nicht, als der Auktionator zwei Mal den Preis senkt. Die Nachricht spricht sich herum. Panik bricht aus. Die Spekulationsblase platzt. Die Tulpenpreise fallen ins Bodenlose. Viele verlieren ihr Vermögen, darunter auch der Maler Rembrandt.

Die VOC gedeiht jedoch weiter – bis sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Konsumwünsche in Europa ändern. Statt Gewürzen, bei denen die VOC eine Monopolstellung hat, sind andere Güter gefragt. Bei Tee, Seide und Porzellan gibt es harte Konkurrenz durch die Britische Ostindien-Kompanie. Die VOC-Gewinne gehen zurück. Der vierte Englisch-Niederländische Krieg (1780–1784) verhagelt das Geschäft.

Die erste Aktiengesellschaft wird fast 200 Jahre nach Gründung aufgelöst

Als 1781 die Schwierigkeiten der Gesellschaft öffentlich bekannt werden, bricht der Aktienkurs auf ein Viertel des einstigen Ausgabekurses ein. Die VOC hat nach Verlustjahren kaum noch Geld und verliert ihre Kreditwürdigkeit. Ihr Schicksal wird mit dem Einmarsch der Franzosen in den Niederlanden 1795 besiegelt. Sie wird aufgelöst, nur wenige Jahre vor ihrem zweihundertjährigen Bestehen. Ihre Schulden von 110 Millionen Gulden übernimmt der niederländische Staat.

Trotz Börsencrash und Untergang von bedeutenden Aktiengesellschaften wie der VOC hat sich das Konzept der Aktiengesellschaft aber bewährt. Sie ermöglicht es, Kapital zu bündeln. Dadurch konnten in der Vergangenheit grosse Infrastrukturprojekte, etwa der Bau von Eisenbahnlinien und die Verbreitung der elektrischen Telegrafen, überhaupt erst realisiert werden.

Im Gegensatz zu früher werden Aktien heute kaum mehr als physische Wertpapiere an die Eigentümer ausgeliefert, sondern zentral gelagert, beispielsweise im Fort Knox der Schweiz: Unter einem Oltner Bürogebäude lagern acht Millionen Wertpapiere im Wert von rund 3000 Milliarden Franken. 25 Meter im Untergrund werden sie von einer 3455 Tonnen schweren Decke vor Erdbeben, Feuer und Bomben geschützt.

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