«Waldmacher» Tony Rinaudo gewinnt den Alternativen Nobelpreis
«Ich pflanze Ideen, keine Bäume»

Er bringt Wüsten zum Blühen, mindert Hungersnöte und könnte zum Retter des Planeten werden: Tony Rinaudo, Gewinner des Alternativen Nobelpreises, braucht dazu nur ein Buschmesser.
Publiziert: 27.11.2018 um 21:10 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2022 um 14:20 Uhr
  • Abholzung und Rinderhaltung führt weltweit zur Verödung ganzer Landstriche. 
  • Konventionelle Wiederaufforstungsprojekte scheitern zumeist
  • Verödete Flächen fördern den Klimawandel
  • Tony Rinaudos Methode kehrt diesen Prozess sehr günstig um
  • Hungersnöte werden so vermeiden
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Sie sind gerade in Addis Abeba, in Äthiopien. Was tun Sie dort?
Tony Rinaudo: Wir, also die Organisation World Vision, haben einen grossen Workshop zum Thema Aufforstung veranstaltet. Es wird eine grosse Sache: Acht Länder der ­Sahelzone wollen das Prinzip von FNMR grossflächig anwenden.

FMNR?
FMNR heisst Farmer Managed ­Natural Regeneration, «von Bauern geleitete, natürliche Regeneration des Landes». Es geht um die ­Zukunft der Menschen in diesen Ländern und die Zukunft des Planeten.

Man nennt Sie den Waldmacher. Wieso?
Ich habe nach teuren, völlig erfolglosen Wiederaufforstungsprojekten im Niger, als ich 1983 verzweifelt fast aufgegeben hätte, Gott 
gebeten, mir einen Weg zu zeigen. Und er hat es getan.

Inwiefern?
Ich habe zum ersten Mal die kleinen Büsche, die auf dem verödeten Land wuchsen, genau angeschaut – und plötzlich gemerkt, dass sie Laub von Bäumen tragen, also gar keiner Büsche sind. Da ist 
mir bewusst geworden: Unter meinen Füssen liegt sozusagen ein unter­irdischer Wald, lebendiges Wurzelwerk, das nie die Chance hat, wieder richtig auszutreiben.

Tony Rinaudo beim Beschneiden eines vermeintlichen Busches. Es handelt sich aber stattdessen um Triebe aus den Wurzelwerk längst abgeholzter Bäume, welche mit einfachen Mitteln wieder zu Bäumen gezogen werden können.
Foto: zvg.
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Weshalb nicht?
Nach einer fast kompletten Abholzung riesiger Waldstriche seit den 50er-Jahren ist das Land kontinuierlich als Weideland für Rinder genutzt worden. Die neuen Triebe der immer noch lebenden Wurzeln wurden ständig abgefressen. Und das Land ist dabei verödet.

Mit welchen Folgen?
Es ist ein Teufelskreis: Bodenerosion, höhere Temperaturen, sinkender Grundwasserspiegel und schleichende Verwüstung. Regnet es doch einmal, kann der Boden das Wasser nicht aufnehmen. Überschwemmungen sind die Folge. Das alles führt zu Hungersnöten in ganzen Landstrichen.

Und das alles kehren Sie um?
Ja, mit ganz einfachen Methoden: Zuerst muss der Bauer Rinder und Ziegen vom Land fernhalten und entscheiden, welche Büsche er zu Bäumen heranziehen will. Dann stutzt er die vielen Triebe, die aus dem Wurzelwerk schiessen, auf drei bis fünf der stärksten – und zieht sie zu Bäumen heran. Er muss bloss ein-, zweimal im Jahr die ­unteren Triebe entlang der Stämme stutzen.

Und was sind die Vorteile davon?
Unzählige! Bäume senken die Temperatur, sie halten auch das Wasser im Boden. Einige Arten reichern den Boden mit Stickstoff an, sodass die Ernte um sie herum viel reicher ausfällt. Der Boden erodiert nicht mehr. Es entsteht ein kühleres 
Mikroklima, in welchem es mehr regnet. Der Grundwasserspiegel steigt. Versiegte Quellen beginnen wieder 
zu fliessen. Mitte der 1980er-Jahre 
haben wir in der Provinz Maradi nach einer Hungersnot diese Methode grossflächig mit FMNR angefangen. Schon sieben Jahre später hat die Region tonnenweise Getreideüberschuss erwirtschaftet. Und vorher waren sie auf Nahrungs­mittelhilfe angewiesen.

Aber es dauert doch ewig, bis diese Bäume wachsen?
Nein, die Bäume wachsen sehr, sehr schnell – weil das Wurzelwerk ja bereits vorhanden ist. Und sie bringen schon im ersten Jahr etwas: Die überschüssigen Triebe können die Menschen als Feuerholz verwenden. Für Menschen, die stundenlang laufen mussten, um sich Feuerholz zu besorgen, ist das schon eine riesige Veränderung. Nach nur einem Jahr können sie den Überschuss an Feuerholz auf dem Markt verkaufen und so einen Gewinn erzielen und diesen wieder investieren. Und sie ernten zudem mehr.

Wie viele Menschen arbeiten schon so?
Ganze Landstriche in 24 Ländern. In Niger sind sechs Millionen Hektar Land so wiederaufgeforstet worden, in Westafrika 15 Millionen, in Malawi eine Million. Das Schöne ist: Es kostet nur ein Buschmesser für den Farmer und seine Arbeit. Also 14 Dollar pro Hektar im Jahr. Vergleichen Sie das mit Wiederaufforstungsprojekten, die 8000 Dollar pro Hektar kosten – und nicht funktionieren. Über 160 Millionen Dollar sind schon für Wiederaufforstungsprojekte ausgegeben worden, wobei die allermeisten der gepflanzten Bäume sterben. FMNR hingegen greift ­deshalb so schnell um sich, weil nur schon nach einem Jahr ein Erfolg ersichtlich ist – und die Nachbarn dann mitziehen.

Sie sagen, es gehe um die Zukunft des Planeten – wie meinen Sie das?
Nun, wir alle sind auf dem besten Weg, gar nichts mehr zu ernten und den Planeten zu veröden. Weltweit erodieren die Böden, und die Temperaturen steigen. Das Zeitfenster, dies abzuwenden, ist kurz. FMNR kann nicht nur einen Einfluss aufs Mikroklima haben, sondern auch aufs globale Klima: Ein wiederaufgeforsteter Hektar Land bindet im Minimum eine Tonne CO2, diese Zahl kann bis zu 15 Tonnen steigen.

Und wie viel Land gibt es, auf dem die Methode anwendbar ist?
Zwei Milliarden Hektaren aktuell verödetes Land eignen sich für FMNR – es liessen sich also in kurzer Zeit mindestens 2 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre binden. Und es liesse sich erst noch eine nachhaltige globale Forstwirtschaft aufbauen.

Reicht das, um den Klimawandel zu stoppen?
Nein, wir müssen uns trotzdem ­einschränken, gar nicht mehr oder viel weniger fliegen, lokale Nahrungsmittel essen und weniger Fleisch konsumieren. Aber FMNR ist ein bedeutender Teil im Puzzle, das ­benötigt wird, um den Planeten und unsere Spezies zu retten.

Sie sagen, Gott habe Ihnen den Weg gezeigt – sind Sie religiös?
Oh ja! Ich bin nach meinem Forstwirtschaftsstudium für eine Mis
sionarsorganisation nach Afrika gekommen.

Aber viele religiöse Menschen glauben doch nicht an Wissenschaft und an den Klimawandel.
Ach, das sind wohl nur die, die am lautesten schreien. Mir hat Gott schon sehr früh den Weg gezeigt.

Inwiefern?
Ich habe schon als Kind nicht verstanden, weshalb andere Menschen zu wenig zu essen hatten, 
das hat mich tief getroffen. Und ich habe nicht verstanden, weshalb Bäume gefällt wurden, um dann Tabak anzupflanzen, der von Flugzeugen aus mit Gift besprüht wurde, und alle Fische in den Flüssen starben. Ich vernahm früh den Ruf ­Gottes, gegen all das etwas zu unternehmen.

Gab es Anfangsschwierigkeiten?
Unzählige! Ich wurde als verrückter Weisser wahrgenommen, der den Leuten von oben herab dik­tieren will, was sie zu tun hätten. So erreicht man keinen. Ausserdem waren wir, also meine Frau und ­unsere vier Kinder, alle an Meningitis erkrankt. Eine schwere Zeit.

Wie haben Sie es trotzdem 
geschafft, die Menschen von ­Ihrer Methode zu überzeugen?
Ein Mann in Maradi im Niger, der nichts mehr zu verlieren hatte, der mit seiner staubtrockenen Farm auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen war, hat mir die Chance gegeben. Obwohl alle anderen ihn ausgelacht haben. Schon im zweiten Jahr konnte er etwas ernten. Das hat 
zu einem Schneeballeffekt in der Nachbarschaft geführt. Ich sage immer: Ich pflanze nicht Bäume, das führt zu nichts, ich pflanze eine Idee. Schliesslich wurde sogar die Regierung aufmerksam.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Regierungen gestaltet?
Es war schwierig, Überzeugungs­arbeit zu leisten, der Bevölkerung das Recht an Bäumen zu geben.

Wem gehörten dann die Bäume zuvor?
Der Regierung, um sie zu schützen – eine gut gemeinte, aber völlig ­falsche Praxis aus der Kolonialzeit. Das Resultat war, dass niemand ein Interesse hat, Bäume zu bewirtschaften. Pro Hektar gab es im ­Niger 1980 noch rund vier Bäume. Und lokale, mafiaähnliche Orga­nisationen behaupteten jahrelang, das Recht am wenigen Feuerholz zu besitzen, das es gab. Als via ­Radio bekannt wurde, dass die ­Regierung offiziell das Recht der Bäume der Landbevölkerung überträgt, haben die Menschen angefangen, ihr Holz zu beschützen.

Sie sagten, Bäume verändern das Mikroklima.
Ja, wo Bäume gepflanzt sind, liegt die Bodentemperatur um bis zu 37 (!) Grad tiefer. Die Luft ist bis zu zehn Grad kühler.

Ich frage aus einem Grund: Bei uns in der Schweiz wird es in 
den nächsten vierzig Jahren um sechs Grad heisser.
Du meine Güte, sechs Grad! Sechs Grad sind verheerend!

Inwiefern verheerend?
Ein Grad Temperaturanstieg über dem Optimum führt zu einer 
Abnahme des Erntevolumens von zehn Prozent. Sechs Grad bedeutet im schlimmsten Fall einen Ernteeinbruch von sechzig Prozent. Ein tiefer Einschnitt in die Nahrungs­sicherheit.

Was würden Sie tun, wenn Sie über die Schweizer Landwirtschaft präsidieren würden?
Es gibt Hoffnung: Forstwirtschaft und Landwirtschaft müsste fliessender gestaltet werden. Ich rate Ihren Bauern, jetzt und allerdringendst, Bäume auf ihr Ackerland 
zu pflanzen.

Weshalb?
Um das Wasser, welches im Sommer noch fallen wird, im Boden zu behalten – und um Überschwemmungen, welche es im Winter ­geben wird, zu mindern. Die Art 
der Bäume muss den lokalen ­Gegebenheiten angepasst sein. Akazien etwa reichern den Boden mit Stickstoff an und fördern so 
die Ernte. Aber wie gesagt: Befehlen bringt nichts – man muss 
die Menschen überzeugen.

Das scheint mir in diesem Fall schwierig: Unsere Bauern könnten ihr Land ja gar nicht mehr mit Maschinen bewirtschaften.
Die Methode funktioniert auch mit in Reihen um Felder ­bepflanzten Bäumen. Schattenwurf ist ein anderes Thema in den Köpfen der Bauern – dass der Schattenwurf die Ernte minimiere. Aber meine Erfahrung in semi-aridem Klima zeigt: Ohne Bäume keine Ernte. Und wahrscheinlich werdet ihr ein semi-arides Klima haben. Das Zeitfenster, etwas zu tun, ist kurz.

Was könnten wir sonst noch tun?
Nun, wenn Sie so direkt fragen – Sie könnten natürlich für World Vision spenden, wir leisten weiter Überzeugungsarbeit. Mehr aufgeforstete afrikanische Gebiete sind ja auch sehr in Ihrem Interesse.

Inwiefern?
Wenn die Menschen in ihren Ländern Perspektiven haben, flüchten sie nicht Und sie sind weniger empfänglich für Terrororganisationen wie Boko Haram. Sie interessieren sich dafür, ihre Kinder in die Schule zu schicken, für Bildung. FMNR regeneriert nicht nur Landstriche – es gibt auch Hoffnung für die Zukunft. Wenn Menschen Hoffnung haben, investieren sie und flüchten nicht. Und das sollte das Ziel von Entwicklungshilfe sein. Aus meiner Erfahrung mit diversen Hilfsprojekten ist FMNR das einzige, das hilft. Ich erzähle Ihnen dazu gern eine Geschichte zum Abschluss.

Gern!
Bauer zu sein, war in Niger für Jahrzehnte das Unterste. Niemand war freiwillig auf seiner maroden Farm. Als ich zum letzten Mal zu Besuch war, hat mir eine Frau gesagt, sie würde jetzt täglich einmal über ihr Land zu spazieren, nur, um dessen Schönheit anzusehen. Oh, jetzt habe ich Tränen in den Augen. Wir haben den Menschen dort eine Identität zurückgegeben, einen Stolz auf ihre Herkunft.

Besitzen Sie selbst Land?
Nein, seltsamerweise. Aber ich 
bin wohl trotzdem der grösste inof­fizielle Landbesitzer der ganzen Welt – wenn ich durch Afrika reise, wollen alle, dass ich bleibe und ihre Farm bewirtschafte. Dabei machen sie das selber sehr gut. 

Vortrag: 28. November, 18.30 Uhr, Aula Universität Zürich, Rämistrasse 71, Eintritt frei.

Buch: «Tony Rinaudo – Der Waldmacher», 
erhältlich bei www.ruefferundrub.ch;
 Webseite: www.worldvision.de; Tony Rinaudo eingeben

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Trotz Energiewende werden die Welt-Klimaziele deutlich verfehlt. (Symbolbild)
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KEYSTONE/AP/FRANK AUGSTEIN

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