Marc Vogel (47), Leitender Arzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen, erklärt
Das passiert im Gehirn, wenn wir trinken

Alkoholsüchtigen leider unter dem Vorurteil, dass sie schon aufhören könnten, wenn sie nur wollen würden. Ein Suchtexperte erklärt, wieso es nicht so einfach ist.
Publiziert: 20.05.2022 um 18:20 Uhr
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Aktualisiert: 03.06.2022 um 15:14 Uhr
Julia Klavins

Medizinisch gesehen ist Alkoholismus eine Krankheit. Trotzdem werden Betroffene im tagtäglichen Leben mit dem Vorwurf des Selbstverschuldens konfrontiert. Zu unrecht laut Marc Vogel (47), Leitender Arzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel: «Der grösste Faktor einer Suchterkrankung ist die genetische Veranlagung, die mindestens 50 Prozent des Risikos einer Erkrankung ausmacht.»

Blick tief ins Glas

Alkohol in der Migros? Was bis vor kurzem undenkbar schien, könnte bald Realität werden. Blick geht diese Woche in einer Serie der Frage nach, wie und weshalb die Schweiz trinkt – und wieso die Migros-Abstimmung Anfang Juni mehr als der Entscheid eines Supermarkts ist. Alle Teile auch auf Blick.ch und in der App.

Lesen Sie morgen: Was die Verfügbarkeit von Alkohol für einen Ex-Alki bedeutet und was beim Trinken in Hirn und Körper passiert.

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Weiter ausschlaggebend für eine Suchterkrankung ist die neuronale Struktur des Gehirns, welche sich durch den Alkoholkonsum verändert. Regel- und übermässiges Trinken führen dazu, dass eine starke Ausschüttung von Dopamin — also das Empfinden von Lustgefühlen — nur noch durch Alkohol erreicht werden kann. Da sich das Gehirn an die Substanz gewöhnt, muss immer mehr getrunken werden, um dasselbe Level an Lust zu erreichen. «Weitere Faktoren, die anfällig für eine Alkoholsucht machen, sind frühkindliche Erfahrungen oder emotionaler Missbrauch,» erklärt Vogel.

Marc Vogel (47) ist Leitender Arzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an den UPK Basel. «Im Gegensatz zu anderen Drogen, muss man sich beim Alkohol aufgrund seiner allgegenwärtigen Präsenz und Verfügbarkeit aktiv gegen ihn entscheiden,» erklärt er.
Foto: zVg
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Die Psyche hinter dem Alkoholkonsum

Aber wieso hören Trinker nicht einfach auf zu trinken? Suchtkranke blenden mittel- und langfristige Konsequenzen ihrer Handlungen aus. Wenn sie Lust nach Alkohol verspüren, tritt die unmittelbare Wirkung in den Vordergrund. Vogel sagt dazu: «Die meisten Betroffenen wissen, dass ihnen der Alkohol nicht guttut und möchten eigentlich auch nicht trinken. Demgegenüber steht der körperliche Drang, etwas trinken zu müssen, um überhaupt noch Lust empfinden zu können.» Der französische Philosoph Albert Camus wies bereits auf diese Diskrepanz zwischen Körper und Geist hin: «Wir gewöhnen uns ans Leben, ehe wir uns ans Denken gewöhnen.» Gemeint ist: Wir wissen, dass wir nicht sollten — der körperliche Drang ist in diesem Moment aber stärker als die Vernunft. Dazu kommt: «Das Tückische bei der Entscheidung für oder gegen ein Glas Alkohol ist, dass man sich aufgrund seiner allgegenwärtigen Präsenz und Verfügbarkeit aktiv gegen ihn entscheiden muss,» so Vogel.

Alkoholismus ist keine unheilbare Krankheit. Das Gehirn und seine Funktionsweisen sind zwar ein bestimmender Faktor bei der Entstehung einer Suchterkrankung, sie sind es aber auch bei der Heilung. Das Gehirn ist plastisch, was bedeutet, dass es formbar und anpassungsfähig ist. Die meisten neuronalen Verhaltensmuster — wie der Drang nach Alkohol — können verändert werden. Einige alkoholbedingten Veränderungen im Gehirn seien zwar selbst nach langer Abstinenz noch nachweisbar. «Aber sie werden immer weniger,» sagt Vogel.

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